fann eben nie Gemeingut werden, kann nie allen zutheil werden. Von der religiösen Ungläubigkeit zur Sozialdemokratie ist nur ein Schritt, und dieser Schritt ist hier leider bereits gethan worden. Herr Hammer ist natürlich zu klug, die Politik und die sozialen Fragen im Verein zu behandeln, er beschränkt sich auf Geschichte, Literatur und Naturwissenschaft, aber es hat sich neben dem Bildungsverein bereits ein sozialdemokratisce: Arbeiterverein ge­bildet, und ich habe die moralische Ueberzeugung, daß Herr Hammer insgeheim den ersten Anstoß zu dieser verderblichen Gründung gegeben hat, daß er gewissermaßen der Taufpathe des jungen Vereins war und ihn unter der Hand mit Rath und That unterstüßt."

Diesem Theil der Eröffnungen des Rektors gelang es, Frau von Larisch sowohl, als die muntere Emmy nachdenklich und schwankend zu machen, und die erstere begnügte sich mit einem beinahe ein wenig kleinlanten:

Es dürfte doch voreilig sein, sich bei einer so schweren An­schuldigung auf nichts zu stüzen, als auf die eigne moralische Ueberzeugung und vielleicht, wenn's hoch kommt, auf einige vage Indizien."

Zu einer wesentlich verschiedenen Auffassung bekannte sich Martha, mit einer ruhigen Sicherheit, mit einer furchtlosen Ent= schiedenheit, die niemand von dem stillen, schüchternen, allezeit nachgiebigen und fügsamen Mädchen erwartet hatte. Und wenn nun Herr Hammer wirklich in näheren oder ent­fernteren Beziehungen zu jener Partei stünde, wenn er ihr mit ganzer Seele angehörte was folgte daraus? Für mich nicht, daß ich fernerhin meine Ansichten über Herrn Hammer, sondern daß ich meine Ansichten über seine Partei zu ändern hätte. Ich würde nicht Herrn Hammer meine Achtung und Theilnahme ent­ziehen, weil er zur Sozialdemokratie gehört, sondern ich würde die Sozialdemokratie achten und ihre Entwicklung mit Theilnahme verfolgen, weil Herr Hammer sich ihr angeschlossen hat. Ich habe kein Urtheil über die Partei, die ich bisher nur von ihren Feinden, und immer nur oberflächlich schildern hörte, wenn aber ein Mann von dem Charakter, dem Wissen, der Erfahrung und den Gemüths­eigenschaften Herrn Hammers Sozialdemokrat ist, so kann die Sozialdemokratie unmöglich das sein, als was ich sie schildern hörte."

Fräulein Emmy sagte lebhaft:" Du hast gewiß recht, Martha; wenn ich jetzt Papas Ansichten habe, so werde ich ebenso gewiß späterhin die Ansichten meines Mannes zu den meinigen machen; ich glaube, das ist die Pflicht einer Frau und das ist selbst verständlich. Nicht wahr, Frau Reftor?"

Es fiel niemanden ein, die Konsequenzen zu ziehen, welche diese Parallele der Kleinen so nahe legte; der Rektor aber er widerte mit seinem vollen Selbstbewußtsein und mit viel Aplomb: " Das ist allerdings streng weiblich gedacht, meine Damen. Denken gnädige Frau ebenso?"

Leontine zauderte einen Moment, dann entgegnete sie:" Ich weiß nicht so recht, es ist aber möglich, wahrscheinlich sogar, daß ich mich ebenfalls den Ansichten meines Gatten afkomodiren würde, wie dies ja auch die Frau Rektor vorhin durch ihr Kopfnicken bejahte."

Der Rektor hatte seinen letzten Trumpf noch nicht ausgespielt. Er hob wieder an:

" Fräulein Hoyer wird sich vielleicht in der Praxis von ihrer Theorie lossagen, wenn sie erfahren hat, daß jeder Fortschritt jener in meinen Augen verdammenswerthen Partei eine direkte Schädigung ihrer Interessen ist."

Martha schüttelte energisch den Kopf. Wohl kaum, Herr Rektor. Muß man der Wahrheit entgegen sein, sobald sie uns Schaden bringt? Das ist nicht sehr männlich gedacht."

" Sie erinnern sich zweifelsohne noch des Krawalls in diesem Frühjahr, bei welchem Herr Hammer eine noch nicht vollständig aufgeklärte Rolle spielte eine sehr zweifelhafte, sehr bedenkliche Rolle jogar!?"

" Ich muß Ihnen nochmals widersprechen, Herr Rektor. Für mich ist diese Rolle eine vollständig aufgeklärte. Ein Zufall hat mir vor einigen Wochen die Kenntniß aller Nebenumstände ver­schafft und ich glaube, auch Sie würden nicht umhin fönnen, wären Sie in die geheime Geschichte dieses Vormittags eingeweiht wie ich, das Benehmen des Herrn Hammer bei dieser Gelegen heit über jeden Tadel und über jeden Verdacht erhaben, wenn nicht gradezu bewunderungswürdig zu finden."

"

Sie hatte das bewunderungswürdig" so betont, daß selbst der Rektor stubig ward.

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" Ich wäre begierig, diese gewiß höchst interessanten Neben­umstände kennen zu lernen, indessen kann ja dieser Punkt immer­hin in der Schwebe gelassen werden. Vermuthlich steht Ihnen aber für ein anderes Vorkommniß, das in die Zeit Ihrer Ab­wesenheit fällt, keine derartige intimere Kenntniß zur Seite. Oder hat Ihnen der Herr Kommerzienrath von dem Streik erzählt, der vor etwa sechs Wochen ganz unvorhergesehen in der Fabrik zum Ausbruch kam?"

Es gehörte nicht zu den Gewohnheiten des Kommerzienraths, seine Tamen mit geschäftlichen Vorkommnissen zu unterhalten: die Thatsache war ihnen vollständig neu. Der Rektor erzählte denn, mit schlecht verhehlter Schadenfreude jedes Wort zu einem Pfeil für Martha zuspizend:

" Denken Sie sich also, die Arbeiter, die seit dem Krawall eine fast unheimliche Ruhe beobachtet hatten, traten plötzlich mit der Forderung einer Lohnerhöhung hervor und beriefen sich darauf, daß in allen Fabriken des Distrikts die Löhne in der letzten Zeit erhöht worden seien, nur bei ihnen nicht."

Und war dem in Wirklichkeit so?" warf Martha dazwischen. " Ich bin darüber nicht genau informirt, ich denke aber, es war so; doch

Kein, doch', Herr Rektor! Schlimm genug übrigens, wenn dann die Leute erst haben fordern müssen.

,, Aber, Fräulein Hoyer, man wird ihnen doch nicht freiwillig mehr geben! Das kann doch nur Ihr Scherz sein? In Wirklich­keit hat der Herr Kommerzienrath die verlangte Lohnerhöhung verweigert, um nicht durch Nachgiebigkeit zu Wiederholungen auf­zumuntern, und so kam der Streit zum Ausbruch. Herr Reischach konnte es auf einen längeren Ausstand nicht ankommen lassen, auf ein paar Tage kam es jedoch nicht an, und wenn dann nur etwa der dritte Theil der Leute muthlos ward und zurückkam, konnte er die Lücken durch von andern Orten herbeigezogene Kräfte nothdürftig ausfüllen, seine Lieferungskontrakte innehalten und es ruhig abwarten, bis die Noth die Streifenden mürbe und windelweich gemacht hatte. In der That tamen schon nach ein paar Tagen einzeln und in Trupps ältere, verheirathete Leute und meldeten sich zur Wiederaufnahme der Arbeit, und der Plan des Herrn Kommerzienraths würde vollständig geglückt sein, wenn nicht plötzlich die bittend und demüthig Wiedergekommenen die Arbeit nochmals eingestellt hätten und zwar Mann für Mann. Alle Vorstellungen und Versprechungen des Herrn Kommerzien­raths waren vergebens, er predigte tauben Ohren, und aus mancherlei Andeutungen ging hervor, daß die Arbeiter wußten, in welcher Nothlage er sich befand und daß er bei einer Fort­dauer des Streits in einer Woche mehr verloren hätte, als die Lohnerhöhung in einem Monat austrug. Die Arbeiter, mit denen er verhandelte, zuckten zu allen seinen Versicherungen mit un­gläubigem, spöttischen Lächeln die Achseln, und es ist kaum ein Zweifel, daß ihnen von einem Eingeweihten, dessen Versicherung ihnen eine hinreichende Bürgschaft war, verrathen worden ist, in welcher Lage sich der Herr Kommerzienrath befand und daß ihm garnichts weiter übrig blieb, als nachzugeben. Wer diesen schimpflichen Verrath begangen hat, darüber kann man zur Zeit nur Vermuthungen haben, aber diese Vermuthungen stüßen sich auf so mancherlei Jndizien, und es ist bereits eine Fährte auf­gefunden, die uns das schlaue, scheue Wild schließlich doch in's Garn liefern wird. Mit etwas Zähigkeit und Geduld kommt man immer an's Ziel und braucht noch nicht einmal auf glück­liche Zufälle zu hoffen. Ich kann Ihnen nur soviel sagen, daß Herr Weinlich und ich ein und dieselbe Vermuthung hegen, und Herr Weinlich ist ein feiner Menschenkenner und hat Gelegenheit, Tag für Tag Beobachtungen anzustellen, und zwar auch außer­halb des Comptoirs und außerhalb der Stadt."

,, Womit Sie jedenfalls andeuten wollen, daß das scheue, schlaue Wild Herr Hammer ist und daß sich Spione finden, die ihm nachschleichen, um zu ermitteln, ob er mit jemanden von den Arbeitern einen geheimen Verkehr unterhält, Spione, die sich ihres eigenthümlichen Handwerks nicht einmal schämen? In der That, Herr Reftor, ich muß Ihnen zu lebhaftem Danke verbunden sein für die hohe Meinung, die Sie von mir hegen, indem Sie glauben, daß auch ich diesem Komplott Gelingen wünsche. Wo­durch habe ich Ihnen je Veranlassung gegeben, mich so hoch zu stellen und zu wähnen, daß ich solche Intriguen billigen könnte, mögen sie nun gerichtet sein gegen wen sie wollen?"

-

Diesmal gerieth selbst der Rektor in Verwirrung, er fühlte, wie ihm eine brennende Röthe in die Wangen stieg, und er er­kannte, daß er sich zu weit hatte fortreißen lassen und seine