Karten unvorsichtigerweise offengelegt hatte. Er stotterte in arger Verlegenheit:

,, Sie nehmen die Sache entschieden zu tragisch, Fräulein Hoyer, so böse, als Sie glauben, ist es ja garnicht gemeint. Und dann dachte ich, Sie würden nicht so ganz gleichgiltig gegen eine Unter stügung der Prätensionen der Arbeiter sein und berücksichtigen, daß jede Lohnerhöhung den Geschäftsertrag, an dem Sie ja Jhren Antheil haben, erheblich schmälern muß."

" Ich muß Ihnen dankbar dafür sein, daß Sie mir Gelegen­heit geben, mich gegen die Annahme zu verwahren, als sei ich zugänglich für solche Erwägungen. Ich habe ja keinen Einfluß auf die Leitung des Geschäfts, würde ich jedoch in solchen Fällen befragt, so können Sie sicher sein, daß ich stets und prinzipiell für die Bewilligung von Lohnerhöhungen sein würde; es ist hart und beschämend genug für mich, daß ich erst durch solche Vor­tommnisse zum Nachdenken über diese Dinge komme."

Frau von Larisch, die gleich Emmy alle Phasen des eigen thümlichen Duells mit Spannung verfolgt hatte( Frau Storck, die ihren Gatten blind bewunderte und es garnicht fassen konnte, daß jemand und obendrein eine Dame den Muth hatte, ihm zu widersprechen, hatte in sprachlosem Staunen dagesessen und sich den Angstschweiß von der Stirn getrocknet, da sie, pri­vaten Erfahrungen zufolge, jeden Augenblick einen Ausbruch rück­sichtslosen Zorns von ihrem Eheherrn erwarten mußte), brachte das Gespräch durch eine Frage an den Rektor mit der Gewandt heit der Weltdame auf einen andern, minder gefährlichen Gegen­stand, und der Rektor war ihr dankbar dafür, denn er war mit seinem Latein zu Ende. Eine gewisse peinliche Verstimmung war aber doch nicht zu beseitigen, das Gespräch schleppte sich nur mühsam weiter und man empfand es allseitig als eine Erleich­terung, als der eitte Schulmonarch sich erhob und zum Aufbruch rüstete. Er hielt es für gerathen, Martha, die ihm in unver kennbar ablehnender Haltung gegenüberstand, wenn möglich zu begütigen, und so sagte er denn in fast schmeichelndem Tone:

" Ich hoffe, Fräulein Hoyer, die kleine Meinungsverschieden heit, die heute zu meinem innigsten Leidwesen zwischen uns zutage getreten ist, wird nicht im Stande sein, mir Ihr Wohlwollen zu entziehen; ich würde dies unaussprechlich bedauern und hoffe auf eine nachsichtige Beurtheilung meiner Kühnheit, die vielleicht zu weit ging; hätte ich ahnen können, daß der Gegenstand unseres Gesprächs das Glück hat, von Ihnen so wohlwollend beurtheilt zu werden, so würde ich selbstverständlich unterlassen haben, meine vielleicht sehr irrigen Vermuthungen über denselben so unverhohlen zu äußern."

Es bedarf der Entschuldigung nicht, Herr Rektor; Sie haben mir, wenn auch unabsichtlich, einen namhaften Dienst geleistet, indem Sie mir Aufschluß über Verhältnisse gaben, die mich in teressiren, die man aber beharrlich der Kenntniß der Frauen entzieht."

Uebrigens hatte der Rektor, der sich auf dem Heimweg ziemlich heftige Vorwürfe über sein Ungeschick machte, niemanden durch seine Abbitte und den demüthigen Ton derselben getäuscht. Die Damen hatten sämmtlich das Gefühl, daß dieses hart an einen Wort­wechsel streifende Gespräch dem unverkennbaren Haß des hoch­müthigen Pädagogen nur neue Nahrung zugeführt habe, und daß Wolfgang die Folgen bald genug empfinden werde. Es hatte etwas wie Tücke und Bosheit in den Augen des sich aus sehr materiellen Rücksichten Demüthigenden gefunkelt, und für der gleichen Symptome ist das Auge einer Frau, namentlich dann, wenn ihre Sympathien und Antipathien in's Spiel kommen, wunderbar hellsichtig. Leontine sowohl als Emmy, wie wenig die letztere auch im Grunde von dem ganzen Streite begriffen hatte, hatten ganz insgeheim denselben Gedanken: Er muß ge­

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warnt werden, damit er sich durch Vorsicht schüßen kann; der Rektor und Weinlich dürfen ihr Spiel nicht gewinnen. Aber wie?" Martha's Entschiedenheit hatte ihnen imponirt und sie mit einer gewissen Bewunderung erfüllt, grade weil sie eines solchen offenen Frontmachens unfähig gewesen wären, aber würde Martha denselben klugen und praktischen Gedanken haben? Er kam ihr allerdings, aber nur, um mit einem stolzen Lächeln zurückgewiesen zu werden. Ihre Bewunderung Wolfgangs war eine viel zu tiefe und ächte, als daß sie sich mit der Idee, ihn zu warnen, vertragen hätte. Er stand ihr viel zu hoch, als daß sie hätte fürchten können, jenes edle Paar werde etwas gegen ihn aus­richten. Sie mochten ihr Schlimmstes, ihr Außerstes thun, war er ihnen nicht zehnfach überlegen, würde er nicht alle ihre Nezze wie Spinnengewebe zerreißen, alle ihre Pläne durchkreuzen, auch ohne ihre Hülfe, auch ohne ihre Warnung? Er war keiner von den Männern, die eines so kleinlichen Beistandes von Frauen­hand bedürfen, und sie zagte im voraus vor dem erstaunten, halb stolzen, halb mitleidigen Blick, mit dem er sie ansehen, vor dem beschämenden Lächeln, mit dem er ihr sagen würde:" Ich danke Ihnen, Sie haben es gut gemeint, aber die Warnung ist über­flüssig. Glauben Sie, daß ich diese Intriguen nicht durchschaue und daß ich mit diesen Gegnern nicht ganz allein fertig werde?" Und das war noch der günstigste Fall. Konnte er nicht in der Warnung, die sie ihm zukommen ließ, einen unzarten Annäherungs­Stand es versuch sehen, der sie in seiner Achtung herabsetzte? doch ohnedies schon wie ein dunkles, banges Geheimniß zwischen ihnen, sollte sie nun auch noch mit eigner Hand den letzten Pfad verschütten und unwegsam machen, der ihn ihr vielleicht doch wieder zuführte? Sie vermochte den Gedanken nicht zu ertragen, nein, sie durfte ihn nicht warnen wollen.

Es war eine seltsame Aufregung, die für den Rest des Abends die doppelt schweigsam Gewordene beherrschte. Was war nur über sie gekommen, was war in ihrem Innern vorgegangen, daß sie unter Verleugnung ihres eigensten Wesens für eine Stunde aus der zarten Schäferin Johanna zur geharnischten Jungfrau wurde, daß sie streiten gelernt und scharfe, ja bittre Accente ge­funden hatte? Sie begriff sich selber nicht, und so wenig war sie daran gewöhnt, eine andere, als eine passive Energie zu ent­wickeln, daß die ungekannte Anstrengung und Erregung noch lange in ihr nachzitterte. Sie fühlte sich, als der unausbleibliche Rückschlag kam, der jeder starken Anspannung unserer Geistes­kräfte zu folgen pflegt, ermattet und erschöpft, und es beschlich sie eine eigne Art von Traurigkeit, aber selbst diese Ermattung hatte etwas Süßes und Hand in Hand mit der Traurigkeit ging ein Gefühl von Glück, Stolz und Zufriedensein mit sich selbst, das sie um keinen Preis hätte hingeben mögen. Es war so un­wahrscheinlich, daß Wolfgang je erfuhr, wie tapfer sie für ihn eingetreten war und aus ihrem Munde erfuhr er es gewiß nie, aber was kam darauf an? War es nicht genug, daß er, wäre er ungesehen Zeuge der Szene gewesen, ihr freundlich zugenickt und einen Blick voll ermunternder Zustimmung für sie gehabt hätte? Ihre Natur schrat vor Streit und Widerspruch zurück, das aber wußte sie, daß sie, wenn sie Wolfgang wiederum ver­unglimpfen hören sollte, keinen Moment zaudern würde, ganz ebenso für ihn einzutreten, gegen die ganze Welt, wenn es sein mußte. Nur das fragte sie sich noch, ob sie auch alles gethan habe, was sie Wolfgang schuldig war, ob sie den Rektor, den sie jetzt geradezu hassen zu können glaubte, auch nach Verdienst zu­rechtgewiesen habe. Und lange, lange noch lag sie in der Nacht, die diesem aufregenden Abend folgte, schlummerlos in den Kissen und legte die Haud vor die brennende Stirn und sann und sann. ( Fortsetzung folgt.)

von Victor Hugo

Das Weibchen? Todt hingestreckt. Das Männchen? Ein Kater leckt Gierig sein warmes Blut.

Zum Neftchen auf der Zweige Rand, Wer kehrt zurück? Niemand! O, du arme, kleine Brut!

Lied

übersetzt von Theodor Curti .

Man schleppte den Hirten fort, Erschlug den Hund. Es sucht den Ort Der Wolf und ersteigt den Damm. Die Krippe, wo es Futter fand, Wer hütet sie? Niemand! O, du armes, kleines Lamm!

Der Vater deportirt! Jm Spital Die Mutter! Welche Qual! Im Zimmer geht der Wind.

Die Wiege bewegt von lieber Hand, Wer schaukelt sie? Niemand! O, du armes, kleines Kind!