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( Schluß.)
In der Kritik der theoretischen( reinen) Vernunft" geht unser Philosoph näher auf die Gegenstände ein, mit denen sich der Menschengeist in seinen Untersuchungen und wichtigsten Denk prozessen beschäftigt. Dieser Gegenstände sind vorzugsweise drei, und zwar die Idee der menschlichen Seele, die Idee der Welt und die Idee Gottes. Die Lehre von der menschlichen Seele ( Seelenlehre, Psychologie) erklärte und hielt bis dahin dieselbe für ein rein geistiges, also von aller Körperlichkeit freies, unzer störbares, einheitliches, persönliches, vernunftbegabies und unsterbliches Wesen. Alle die bisherigen, dahin zielenden Behaup
tungen erklärt Kant für falsch und erschlichen, die ganze Ansicht für unstichhaltig. Daraus, sagt er, daß ich in Gedanken mein Denken vom Körper trennen kann, folgt noch lange nicht, daß mein Denkvermögen auch in der That ohne meinen Körper fortdenken könne. Die ganze hergebrachte Seelenlehre ist daher unhaltbar und unannehmbar. Die Aufgabe der neuen Seelenlehre kann darum nicht sein, sich mit übernatürlichen und überschwänglichen Spekulationen abzugeben, sondern nur die Kenntniß unserer selbst und deren Anwendung zum praktischen Gebrauch zu fördern.
Erscheint hier Kant als ziemlich entschieden in seinen Schluß folgerungen und Aufstellungen, so ist er es weniger oder eigentlich garnicht in seiner Untersuchung über die Welt- oder kosmologische Idee. Hier zeigt er nur, daß sich zwischen der bisher für richtig gehaltenen Lehre von der Welt und den Ergebnissen des streng wissenschaftlichen Denkens unlösbare Widersprüche geltend machen. Er begnügt sich, diese Säße und Gegensätze nebeneinander zu stellen, ohne sich für eine Weltanschauung bestimmt auszusprechen, vielmehr ist sein letzter Schluß daraus, daß der Streit ein nichtiger und nußloser sei. Diese Unentschiedenheit in einer so wichtigen Untersuchung ist sehr zu beklagen und hat, wie wir gleich sehen werden, ihre nachtheiligen Folgen nach sich
gezogen.
Was nun die Gottesidee betrifft, so weist Kant einfach und schlagend nach, daß alle bisher aufgestellten und für die Basis der Theologie wie der sogenannten positiven Religionen gehaltenen Beweise für das Dasein eines persönlichen, übernatürlichen Gottes nichts taugen, sondern theils auf falschen Voraussetzungen, theils auf falschen Schlüssen beruhen.
Die nachtheiligen Folgen von Kant's Unentschiedenheit in der Untersuchung der kosmologischen Idee zeigen sich in seinem zweiten Hauptwerk, nämlich der Kritik der praktischen Vernunft ". Hier
handelt es sich um die Untersuchung der Sittlichkeitsfrage und Feststellung von deren Basis. Es ist ihm in dieser Schrift nicht möglich, sich vom Alten loszumachen. Wäre er in der kosmologischen Untersuchung konsequent weiter gegangen, bis er einen ganz neuen Standpunkt gewonnen gehabt hätte, so hätte dieses nur der monistische sein können und damit wäre auch eine ganz neue Basis für die Sittenlehre gewonnen worden. Das geschah nicht, und darum sieht Kant, dem die Sittlichkeit auch praktisch das höchste war, sich genöthigt zu erklären, daß ein persönlicher Gott und die Unsterblichkeit der menschlichen Seele zwar nicht bewiesen werden könnte und theoretisch auch nicht annehmbar seien, deren Annahme oder Glaube aber von der praktischen Vernunft zur Begründung der Sittlichkeit nothwendig gefordert werden müßte. Ob der scharfe Kopf nicht mag eingesehen haben, daß auf diese Weise seine ganze Begründung der Sittlich feit in der Luft schwebt? Müssen wir uns in diesem Punkte ganz von ihm abwenden, so können wir aus gutem Grunde seinem aufgestellten obersten Grundsatz der praktischen Moral oder seinem sogenannten„ kategorischen Imperativ" vollkommen beistimmen. Derselbe heißt: Handle stets so, daß die Marime deines Wollens und Handelns zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung werden kann, d. h. daß beim Versuche, die Maxime deines Handelns als
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