allgemein befolgtes Gesez zu denken, kein Widerspruch heraustommt." Die„ Kritik der Urtheilskraft " beschäftigt sich mit den Gesetzen über das Begehrungsvermögen, Lust, Unlust, Schönheitssinn, ästhetischer Geschmack u. a. Außer diesen Werken sind noch zu nennen seine Schrift über„ Die Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft", über„ Anthropologie"," Metaphysik der Sitten ", Logik und eine große Zahl kleinerer Schriften und Abhandlungen, theils moralphilosophischen, theils naturwissenschaft lichen Inhalts. Bemerkenswerth ist, daß Kant mit seinem logischen und mathematischen Wissen schon vieles voraus hatte, was die Erfahrungswissenschaft später als wirklich sich so verhaltend bestätigte.
Politisch war Kant prinzipieller Republikaner und anerkannte die Berechtigung der französischen Revolution. Seine politischen Grundsätze sprach er unumwunden aus in den beiden Abhandlungen:" Zum ewigen Weltfrieden" und" Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht". Besonders verwerflich erklärte er die Politik vom sogenannten„ europäischen Gleichgewicht". Selbst als man jene gewaltige Umwälzung in Frankreich der Verirrungen wegen, in die sie gerathen war, verurtheilen wollte, ließ er sich von seiner Ansicht nicht abwendig machen, daß dieser Sturm doch noch zum Segen der Menschheit gereichen und deren Entwicklung fördern werde.
Unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. von Preußen hatte er manche Ünannehmlichkeit und Anfechtung zu bestehen, eine so geachtete Stellung er auch in der Gelehrtenwelt einnahm. Dieser König, der dem Cagliostro und anderen Betrügern Bewunderung zollte, erließ das berühmte, Wöllner'sche Religionsedift", welches auch auf den Philosophen von Königsberg Anwendung fand und ihm unter Androhung schärferer Maßregeln jede Besprechung theologischer Folgen verbot. Kant versprach über diesen Gegenstand zu schweigen, solange der König lebe. Immanuel Kant verfaßte seine Werke alle in deutscher Sprache, jedoch in einer nur schwer verständlichen Schreibweise. Als ihn einmal ein ehemaliger Schüler besuchte, frug er ihn, ob er auch seine Schriften lese. Dieser antwortete:" Ja, Herr Professor, aber ich habe dazu nicht genug Finger!" Kant: Wie so?" Schüler: Nun sehen Sie, wenn ich so einen großen, zusammen gesetzten Satz von Ihnen angefangen habe, so sebe ich immer da einen meiner Finger hin, wo wieder ein Zwischensaz anfängt,
-
366
aber alle meine zehn Finger reichen nicht aus, um so einen ganzen Sah zu Ende zu bringen."- Kant gestand selbst ein, daß er die Kritik der reinen Vernunft ", welche eine Gedankenarbeit von wenigstens zwölf Jahren enthalte, in 4-5 Monaten niedergeschrieben habe, mit der größten Aufmerksamkeit auf den Inhalt, nicht aber auf die Art der Darstellung.
Was die Lebensweise Kant's antrifft, so war er ein durch und durch sittlicher Mensch. Sein ganzes Thun und Lassen war die getreueste Verwirklichung seiner sittlichen Grundsäße und Anschauungen. Außerdem werden noch besonders zwei hervorragende Charaktereigenschaften von ihm verzeichnet. Die eine ist sein unbesiegbares, sogar zu Entbehrungen bereites Bedürfniß nach Unabhängigkeit. Aus diesem Grunde legte er die Stelle als Unterbibliothekar nieder, hat er nie geheirathet und war das akademische Lehramt ihm so zusagend. Sodann herrschte in seinen Verrichtungen die größte Pünktlichkeit. Morgens früh 5 Uhr stand er auf, Abends 10 Uhr ging er zu Bett; täglich zur bestimmten Stunde, ja Minute machte er einen Spaziergang, aber allein, weil er während desselben nicht sprechen wollte. Man erzählt, daß Leute, an deren Wohnung er auf seinem Spaziergange regelmäßig vorüberzugehen pflegte, nach seinem pünktlichen Erscheinen ihre Uhr stellten. Nur die Lektüre des neu erschienenen Emile von J. J. Rousseau war im Stande, ihn einige Tage vom Spaziergange abzuhalten. Im Umgang zog er gebildete Bürgers- und Geschäftsleute den Gelehrten vor. So sehr er bereit war, um seiner persönlichen Freiheit willen Entbehrungen zu ertragen, liebte er eine gute Tafel und verstand es vortrefflich, dieselbe durch lebhafte und geistreiche Unterhaltung in die Länge zu ziehen. Gerne lud er Gäste zu sich ein, dieselben durften aber nie weniger als die Zahl der Grazien( drei) und nie mehr als die Zahl der Musen( neun) betragen. Für Kranke seiner Bekanntschaft zeigte er große Theilnahme, waren sie aber gestorben, so sprach er nie mehr von ihnen, sondern gab sich alle Mühe, sie zu vergessen. In den letzten siebzehn Jahren besaß er ein kleines Haus, in dem er still und einsam lebte. Seine sorgfältige Lebensweise ließ ihn ein Alter von beinahe 80 Jahren erreichen. Im Jahre 1797 entsagte er seinem Lehrstuhl. In seinem letzten Lebensjahre verließ ihn Verstand und Gedächtniß. Sein Körper schrumpfte mumienartig zusammen. Er starb am 12. Februar 1804.
Anziehungskraft oder Antrieb?
Sowie auf staatlichem Gebiet die charaktergebenden Einrich tungen und Grundsäße der Gegenwart noch stark durchsetzt sind mit den Rückständen vergangener Zeiten und gleichzeitig die Anfäße für künftige soziale Bildungen ihre Wurzeln treiben, so ist auch der Zustand im Reiche der Wissenschaft. Auch sie schleppt noch, und zwar theils bewußt, theils unbewußt, mancherlei un flare und irrthümliche Anschauungen längst überwundener Entwicklungsepochen mit sich herum. Hypothesen, die durch neuere Forschungen sich als unklar und nichtig erwiesen haben, werden doch mit Hartnäckigkeit festgehalten von vielen Gelehrten, die das Neue darum bekämpfen, weil sie schon Bücher in anderem Sinne geschrieben haben. Auch ist der Geistesmuth, eine Idee bis in ihre legten Konsequenzen fortzudenken, noch immer viel seltener, als der rohe physische, der gegen feindliche Granaten anstürmt. So wurde Liebig wüthend bekämpft, als er seine große Theorie der Bodenerschöpfung und der Pflanzenernährung durch anorganische( mineralische) Stoffe aufstellte, deren praktische Konsequenzen freilich zwar die Möglichkeit in Aussicht stellten, auf derselben Bodenfläche eines Kulturlandes Nahrungsstoffe für millionen mehr Bewohner hervorzubringen, die aber gegen so manchen Professors liebgewordene Vorurtheile verstieß.
So geschah es, daß der Aufsatz, in welchem zuerst der Gedanke der Erhaltung von Bewegung und Kraft ausgesprochen wurde, von dem größten für derartige Veröffentlichungen bestimmten wissenschaftlichen Journal nicht angenommen ward, eine zweite Arbeit über dasselbe Thema von einem, von dem ersten unabhängigen, Forscher dasselbe Schicksal erfuhr und beide wohl ein Jahrzehnt unbeachtet blieben, bis der Theorie endlich von England her in ihrem Entstehungsland Deutschland Eingang verschafft wurde. Schließlich ward ihr zuerst neben den alten Hypothesen ein Platz gegönnt, ohne daß man oft den Wider
-
spruch beachtete, in dem sie zu ihnen stand; die neuen Beziehungen, die sie eröffnete, wurden mit verdroßenem Stillschweigen aufgenommen, gerade wegen ihrer Klarheit ohne Widerlegung, da man gegen eine in sich so begründete, mit allen bekannten Erscheinungen so im Einklang stehende Ansicht mit Erfolg nicht aufzukommen voraussah.
-
-
da
Nachdem der denkende Bruchtheil der Menschen den ganz nnwissenschaftlichen und kindlichen Gläubigkeitsstandpunkt man meinte, jedes Ding sei so, wie es sei, weil eine übernatürliche" Macht so gewollt habe überwunden hatte, und man die Erscheinungen zwar schon zergliederte in ihre Einzelheiten, ohne doch den Zusammenhang viel zu beobachten, glaubte man dieselben schon damit erklärt zu haben, daß man zur Bezeichnung des Vorgangs ein Wort unterschob, das man dann die Ursache nannte; während man sich um das, was der zu erklärenden Erscheinung voranging und folgte, durchaus nicht kümmerte. saure Geschmack eines Stoffes sollte danach von einem Gehalt an allgemeinem„ Säurestoff" herrühren, die äßenden Eigenschaften eines anderen von darin enthaltenem„ Aezstoff"; das Thier bewegte sich, weil es" Lebenskraft" besäße!
-
Wir belächeln das jetzt; gehört denn aber die noch gang und gäbe„ Erklärung": der in die Höhe geworfene Stein fällt zur Erde weil er schwer ist, in eine andere Kategorie? Was ist denn Schwere? als ein Wort für die beobachtete Thatsache, daß unter gewissen Umständen zwei Körper sich einander nähern, d. i. der eine gegen den andern fällt! oder daß ein Körper Druck oder Zug gegen ein Hinderniß ausübt, d. i. zu fallen strebt!
Oder ist das eine Erklärung, wenn im Sinne unsrer Schulbücher noch hinzugefügt wird: alle Körper ziehen sich gegenseitig an, und der Fall fleinerer Massen gegen die Oberfläche der Erde ist nur eine Einzelerscheinung dieses großen, allgemeinen Gesetzes,