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Der Schlächter von Lithanen.
Episode aus dem polnischen Aufstande. Von Karl Hannemann. ( Fortsetzung.)
Es war mit außerordentlichen Schwierigkeiten verknüpft, bis zu Murawiew zu gelangen. Der Tyrann ließ sich nur höchst ungern herbei, eine Audienz zu ertheilen. Hatte man diese große Gunst endlich zugesichert erhalten, so mußte man sich noch verschiedenen Formalitäten unterwerfen.
Dieselben bestanden in einer Durchsuchung der Kleider des Bittenden nach Waffen. Mit dieser Durchsuchung, gleichviel welchem Geschlechte der Betreffende angehörte, wurde irgend ein Kosak betraut, der diese Angelegenheit in Gegenwart seines Het mans zu erledigen hatte.
Anständigerweise hätte diese Untersuchung bei Frauen auch von Frauen unternommen werden müssen, allein Murawiew fand eine Art teuflischer Lust daran, das Schamgefühl der Polinnen auf diese Weise zu verhöhnen.
Aus dem Gesagten erklärt sich, daß niemals ein Mordversuch gegen den Tyrannen unternommen werden konnte. Wehe dem Unglücklichen, bei welchem man eine Waffe gefunden hätte, er wäre von den ihrem General treu ergebenen Soldaten in Stücke zerrissen worden!
Thaddäa Liwinska befand sich im Wachtlokale inmitten der Kosaken , welche theils mit Würfelspiel sich beschäftigten, theils sich in lärmender Weise unterhielten.
Dichte Wolken eines übelriechenden Tabaks stiegen zur Decke des Gemachs empor und bewirkten, daß das junge Mädchen fast unaufhörlich husten mußte. Das war indeß nicht das einzige Unangenehme, was Thaddäa's Lage mit sich führte. Sie war gezwungen, obenein noch manchen rohen Scherz, welchen die Soldaten in Betreff ihrer Person machten, geduldig anzuhören. Unzweifelhaft hätte sie sich Mißhandlungen ausgesetzt, wenn sie ihre Entrüstung, und wäre es auch nur durch eine Geberde, kundgegeben haben würde.
Die Tochter Liwinski's mochte etwa 17-18 Jahre zählen. Sie war eine schlanke Gestalt mit üppig entwickelten Körperformen, die durch die kleidsame lithauische Tracht noch mehr hervorgehoben wurden. Auf ihrem schönen und edlen Antlig, welches von schwarzen Locken umrahmt war, lag der Zauber jener holden Jungfräulichkeit, der oft den rohesten Charakteren Scheu und Ehrfurcht abnöthigt. Ihre Wangen waren bleich, ihre seelenvollen Augen blickten traurig zu Boden, in den feinen Linien ihres Antlizes lag ein Ausdruck von tiefer Melancholie und bittrer Verzweiflung.
Nachdem sie länger als eine halbe Stunde den Blicken und Späßen der Soldaten ausgesetzt gewesen, wurde Thaddäa Liwinska endlich aus ihrer peinlichen Situation erlöst.
Ein Hetman erschien, näherte sich dem wachthabenden Unteroffizier und rief ihm zu:
Visitiren!"
Dann wandte er sich zu dem jungen Mädchen und sagte: " Folge mir, Mädchen!"
Thaddäa wußte, daß es einer Durchsuchung ihrer Kleidung galt. Sie hatte gezittert, als sie daran dachte, daß dies im Wachtlokale vor allen Soldaten geschehen könnte, was bisweilen beliebt wurde.
Als sie dem Hetman und dem Unteroffizier in ein Nebengemach folgen mußte, athmete sie ein wenig erleichtert auf.
Haben Sie Waffen in Ihren Kleidern?" fragte der Unteroffizier.
Nein, mein Herr," antwortete Thaddäa.
Indessen mußte Thaddäa sich gefallen lassen, daß der Unteroffizier jedes andere Kleidungsstück an ihrem Körper befühlte. Er empfand zum Glück kein Gefallen an solcher Situation und war selbst froh, als er zu Ende war. Nun?" fragte der Hetman.
" Nichts gefunden, Hauptmann."
" Schön. Um so besser für dich, Mädchen. Hier nimm dein Kleid!" Indem er dem Mädchen das Kleid zuwarf, fügte er lachend hinzu:„ Du kannst von Glück sagen, daß ich die Durchsuchung leitete. Mein Kollege Istworschtschik würde nicht so glimpflich mit dir umgegangen sein."
Mit diesen Worten ging der Hetman lachend hinaus. Die Jungfrau hatte sich, das Antlig von Schamröthe übergossen, mit dem Oberkleide bedeckt.
Der Unteroffizier flüsterte ihr beruhigende Worte zu und ersuchte sie dann, ihm zu folgen.
Thaddäa gehorchte. Sie stiegen eine Treppe hinauf, welche zu einem durch Kerzen erhellten Flur führte.
„ Die letzte Thür da," sagte der Unteroffizier, führt zu den Gemächern Seiner Exzellenz." Flüsternd fügte er hinzu:
Nur Muth, Fräulein, und viel Glück zu Ihrem Vorhaben." Darauf begab er sich in das Wachtlokal zurück. Die Jungfrau schritt hastig den Flur entlang. Als sie die bezeichnete Thür erreichte, traten zwei bis an die Zähne bewaffnete Kosaken an ihre Seite und eskortirten sie bis an das Zimmer des Generals. Dann blieben sie vor der Thür stehen.
Als Thaddäa den Mann gewahrte, der so viel Unheil über ihr Vaterland gebracht, konnte sie sich eines Schauders nicht erwehren. Doch das war nur Sache eines einzigen Augenblicks. Dann richtete sie sich stolz in die Höhe. Sie besaß eine stolze Seele und mochte sich weder demüthigen, noch in zerknirschter Haltung vor dem Manne erscheinen, den man den Schlächter von Lithauen" nannte. Sie schaute ihn mit ihren großen, klaren Augen durchdringend an.
Der schreckliche Kommandant der russischen Truppen saß in einem Lehnstuhle hinter einem Tische, auf welchen er den mit einem Dolche bewaffneten Arm ausgestreckt hatte.
Murawiew war groß und starkknochig gebaut. Sein nicht unschönes Antlig war von einem dichten, schwarzen Barte umrahmt; in seinen Gefichtszügen sprachen sich unbeugsame Energie, Härte und Grausamkeit aus. Seine kleinen grauen Augen hatten einen stechenden, unheimlichen Ausdruck. Die aufgeworfenen, Wenn er den etwas bleichen Lippen verriethen Sinnlichkeit. Mund öffnete, machte sich stets ein tückischer Zug um denselben bemerkbar.
Die anmuthige jungfräuliche Erscheinung des jungen Mädchens flößte indeß dem Tyrannen unwillkürlich eine Art Achtung ein und unter diesem Einflusse sagte er in ziemlich gemäßigtem Tone: " Was wünschen Sie, mein Fräulein? Gnade für Ihren Vater?" " Nein!" antwortete Thaddäa kurz.
Murawiew heftete einen Blick unverhohlenen Erstaunens auf sie und zog seinen dicken Kopf aus den Schultern hervor, in denen er zur Hälfte verborgen war.
,, Sie meinen," erwiderte er dann, daß Ihre Bitte in dieser Hinsicht eine vergebliche wäre? Sie haben recht; denn für Rebellen gibt es keine mildere Strafe, als den Tod. Und Ihr Vater ist ein solcher. Seit seinem achtzehnten Jahre hat Michael Liwinski für das gekämpft, was er Lithauens und Polens Freiheit nennt.
" Du weißt, Mädchen," mischte der Hetman sich ein, daß du Im Jahre 1831 nahm er an der Rebellion in Warschau Antheil; Knutenhiebe erhalten würdest, wenn du gelogen hättest." " Ich weiß es, mein Herr."
Schön, wir werden sehen. Entkleide dich!" Das junge Mädchen wich bestürzt zurück. ,, Nein, mein Herr!" rief es mit vor Scham glühenden' Wangen . " Freilich, Mädchen," erwiderte lachend der Hetman, oder willst du vielleicht, daß wir das Geschäft besorgen sollen? Vor
wärts!"
" Sie haben nur nöthig, des Oberkleides sich zu entledigen," sagte der junge Unteroffizier in möglichst mildem Tone.
Diese tam mit niedergeschlagenen Augen dem Befehle nach. Das Oberkleid wurde dem Hetman überreicht, der sorgsam jedes Fältchen untersuchte.
ich nahm ihn gefangen und ließ ihn zum Tode verurtheilen. Es gelang ihm, zu entfliehen und im Auslande ein behagliches Dasein zu führen. Sie mögen aus diesen Notizen erkennen, daß ich gut unterrichtet bin. Anstatt, daß er nun hätte zufrieden sein sollen, sich in Sicherheit zu befinden, kehrte er zurück, um Mitglied des Revolutionsfomité's zu werden. Er feuerte seine Landsleute mit Wort und That an und theilte Waffen aus. LiwinskiDwor, seine Geburtsstätte, welche sein Freund Boleslaus Platen käuflich an sich gebracht hatte, diente als Ort der Zusammenkunft und Korrespondenz der Insurgentenanführer. Sie wußten darum und haben es nur meiner außergewöhnlichen Milde zu danken, daß Sie, anstatt dem Tode zu verfallen, in Ihrer Wohnung ausgepeitscht wurden."