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Thaddäas Antlig blieb unbeweglich, selbst als Murawiew mit| dann nach den Gemächern seiner Gemahlin, mit welcher er um höhnischem Lächeln von der Züchtigung sprach, die einer seiner diese Stunde zu speisen pflegte. Rosaken vor wenigen Tagen an ihr vollstreckt hatte. Ihr Scham­gefühl hatte sich damals gegen eine solche entehrende Strafe empört. Heute zuckte nicht ein Muskel in ihrem Madonnengesicht.

" Ich habe diese Ihre Milde nicht vergessen, Exzellenz." " Das ist mir lieb; ich habe es stets gern, daß man mich in gutem Andenken behält," entgegnete Murawiew. Um jedoch wieder auf Ihren Vater zu kommen, so sage ich Ihnen, daß mein Entschluß über ihn bereits gefaßt ist: Michael Liwinski wird gehenkt werden."

" Ich weiß es, Exzellenz." " Nun?" fragte der General ungeduldig." Weshalb sind Sie dann gekommen? Was haben Sie von mir zu erbitten?"

" Die Gnade, welche ich von Ihrer Exzellenz wünsche," ant wortete Thaddäa, mit Absicht den Ausdruck erbitte" vermeidend, ,, ist die, meinen Vater nicht 24 Stunden am Galgen hängen zu lassen, sondern mir seinen Körper zu übergeben, sobald der Tod fonstatirt ist.

Murawiew schaute sie erstaunt und mißtrauisch an. " Ha!" rief er, das ist ein sonderbares Verlangen. Weshalb soll der Leichnam Ihres Vaters früher vom Galgen entfernt werden, als dies sonst zu geschehen pflegt?"

Weshalb fragen Sie, Exzellenz?" erwiderte das junge Mädchen ruhig. Meine Kindespflicht

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Murawiew herrschte ihr durch eine Geberde Schweigen zu. Er sann einige Augenblicke über die eigenthümliche Art von Gnade nach und heftete seine stechenden Blicke auf Thaddäa. Als deren Antliß sich indessen nicht um eine Linie veränderte, sagte er endlich:

Sie werden wissen, daß der Leichnam eines Gehenkten das alleinige Eigenthum des Henkers ist?"

" Ich weiß es, Exzellenz, und..."

" Und daß ein solcher Leichnam ausgelöst werden muß?" " Ich erbiete mich, die dafür zu bestimmende Summe zu ent­richten.

Hm! Es sind für den Leichnam 4000 Rubel zu zahlen. Es dürfte Ihnen schwer fallen, diese Summe zu beschaffen." " Ich werde sie beschaffen, Exzellenz."

Aber woher? Sie besigen kein Vermögen mehr. Sie waren nicht einmal im Stande, die geringe Geldstrafe zu bezahlen und wußten doch, daß Ihuen dann die förperliche Züchtigung erspart geblieben wäre."

" Allerdings, Exzellenz," erwiderte Thaddäa mit leichtem Er röthen, ich konnte jene Summe nicht bezahlen und wenn es mir auch möglich gewesen wäre, würde ich sie dennoch nicht gezahlt haben."

" Ah!" rief der General, und warum nicht?"

" Weil die Beschimpfung nur meiner Person galt," antwortete das junge Mädchen ruhig. Hier aber handelt es sich um die Beschimpfung meines Vaters, die ich, wenn irgend möglich, ver­hindern möchte. Ich komme daher wieder auf meinen Wunsch zurück. 4000 Rubel sind eine hohe Summe; ich selbst könnte nicht einmal den hundertsten Theil davon entrichten. Aber ich habe Freunde, und diese werden mir helfen."

Meinethalben denn, es sei, ich will Ihnen diese Gnade er­zeigen. Sie bezahlen noch heut Abend 4000 Rubel und werden dafür morgen den Körper Ihres Vaters erhalten. Er wird Ihnen ausgeliefert werden, nachdem die Strangulation fest­gestellt ist."

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Würden Ihre Exzellenz mir vielleicht auch die Erlaubniß bewilligen, meinen Vater heute noch einmal besuchen zu dürfen?" Nein!"

Der kurze entschiedene Ton, in welchem Murawiew dieſes eine Wort sprach, überzeugte Thaddäa, daß jeder weitere Versuch nußlos ſein würde.

Sie machte eine stolze Verbeugung und entfernte sich. Murawiew blickte dem jungen Mädchen mit höhnischem Lächeln nach.

" Eine seltsame Gnade, die ich da soeben gewährt habe," sprach er für sich. Dergleichen ist noch nie von mir erbeten worden. Nun, mir bringt die Geschichte keinen Schaden, sie macht im Gegentheil mich um 4000 Rubel reicher. Eine kleine Ent­schädigung für die Freilassung meiner Leibeigenen. Verflucht, daß Seine Majestät diese abgeschmackte Idee realisiren mußte!" Der General erhob sich nach diesen Worten, ging einige male mit starken Schritten im Zimmer auf und ab und begab sich

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In einer finstern Zelle des baufälligen Klosters befanden sich drei zum Tode Verurtheilte. Zwei von ihnen schienen zu schlafen.

Der Dritte, ein ehrwürdiger Greis mit langem Bart, hielt seine Blicke beständig auf die Thür geheftet, lauschte auf das geringste Geräusch, daß sich draußen vernehmen ließ, und weinte still vor sich hin.

Es war nicht die Furcht vor dem drohenden Tode, welche dem Manne bittere Thränen auspreßte. Nein, Michael Liwinski fürchtete den Tod nicht. Er hatte ihm so oft in das Antlitz ge­schaut; der Tod hatte sich ihm angekündigt durch breite, tiefe Wunden, deren Narben die zitternde Hand des Greises auf seiner Brust fühlen konnte!

Auch den Tod durch Henkershand fürchtete der alte Freiheits­kämpfer nicht. Warum auch? Es war ja nur die Sache eines einzigen Augenblicks! Ein wenig Luftmangel, ein rascher, jäher Druck, ein leichtes Zucken und Recken des Körpers und alles war vorüber!

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Aber er mußte zwei Güter verlassen, an welchen sein Herz mit unsäglich treuer Liebe hing: sein Vaterland und seine Tochter.

Sein Vaterland! Es hatte in diesem Momente voraussichtlich seine blutigste, unglücklichste und letzte Revolution vollendet, mit welcher es die ehemalige Freiheit zu erringen gedacht. Die alte oligarchische Republik verlor den letzten Rest ihrer tapferen und heldenmüthigen Kämpen.

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Aber hatte Polen nicht selbst Schuld an seinem Unglück? War es denn nicht selbst in sein Verderben gerannt? Gewiß. Es fonnte nicht anders kommen. Unter Poniatowski , dem in den Fesseln der nordischen Semiramis wie man Katharina von Rußland nannte liegenden Polenkönige, war das unglückliche Land verweichlicht, versumpft. Allen erdenklichen Lastern fröhnten Adel und Regierung, während das arme Volk unter schmachvoller Behandlung seufzte und auf's schändlichste gemißbraucht wurde. Als dann seine Bedrücker, die Starosten, die Gefahr herauf­beschworen hatten, da sollte dieses gemißhandelte Volk sein Blut und Leben daran seßen, um seine Bedrücker zu vertheidigen. Ha! Wer hatte denn das Vaterland in Gefahr gebracht? Wer denn anders, als der hohe Adel? Das Volf war doch unschuldig an den Lastern derer, die ihm mit gutem Beispiel hätten voran­gehen müssen!

So war denn alles verloren! Sein Vaterland hatte seit einem Jahrhundert Freiheit und Ehre eingebüßt, erstere durch die Genußsucht und weibische Zaghaftigkeit seiner Großen, die Ehre durch deren Laster.

Ach, welchen Illusionen hatte sich der edle Freiheitskämpe hingegeben und wie bitter war er enttäuscht worden! Wie oft hatte er voll glühender Sehnsucht gehofft, daß eine freundschaft­liche Hand den Flug des weißen Adlers unterstüßen würde, damit er sich wieder zu seiner einstigen Höhe emporzuschwingen vermöchte! Aber ach, es war kein Retter erschienen und langsam mußte Liwinski sein armes Samogitien unter den Wunden, die ihm die russischen Bärentazen geschlagen, verbluten sehen!

Dort unten lag Frankreich , das undankbare Frankreich , welches den Polen Versprechungen gemacht und sie nicht erfüllt hatte. Armes Frankreich ! Vielleicht ging es seiner Strafe entgegen für die Treulosigkeit, die es gegen das unglückliche Samogitien be­wiesen. Es hatte nicht verstanden, sich im Herzen Europas einen mächtigen Alliirten zu erhalten, der fähig gewesen wäre, das Wachsen der Reiche zu verhindern und der moskowitischen Er­oberungssucht einen unüberwindbaren Damm entgegenzusetzen.

Und seine Tochter, die schöne Thaddäa! Gewiß ließ auch sie ihren Thränen freien Lauf und gedachte seiner in Verzweiflung. Sie hatte versucht, ihm noch ein letztes Lebewohl zuzurufen, war aber heute von dem Tyrannen zurückgewiesen worden, wie es morgen von den Soldaten geschehen wird, wenn sie ihre Hände dem alten Vater entgegengestreckt, der seinen letzten Gang, den Gang zum Tode antritt!

Plößlich erzitterte der Alte und der Thränenquell seiner Augen versiegte wie durch einen Zauber. Der Greis richtete sich aus seiner gebückten Haltung empor und lauschte. Es wurden Schritte vernehmbar, die sich rasch der Thür von Liwinski's Zelle näherten.

( Schluß folgt.)