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Wiener Lebensbilder.
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III. ( Schluß.)
Betrachten wir uns nun aber das vielgerühmte ,, wohlthätige Wien" von einer andern Seite. Ich habe Ihnen in meinem letzten Briefe von dem abermaligen Krache der ,, Komischen Oper" berichtet, durch welchen mitten im Winter über 150 Theatermitglieder brodlos gemacht wurden. Was war natürlicher, als daß die so plößlich an den Rand des Elendes versetzten Chor- und Orchestermitglieder eine Akademie in Scene seßten, um in deren Erträgniß wenigstens eine momentane Hilfe zu finden; es war dies keine von ,, blaublütigen" Dilettanten veranstaltete ,, Wohlthätigkeits"-Akademie, wie so manche andere, sondern die Arrangeure derselben waren selbst die Bedürftigen, die sich an das wohlthätige Wien " um Hilfe wandten, nachdem in allen Blättern bereits auf ihre Nothlage hingewiesen worden war. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirth gemacht es sollte sich bald zeigen, daß es ja nur Proletarier waren, welche die Einladung ergehen ließen. Schon bei der Suche nach zugkräftigen Mitwirkenden machte sich dieser Umstand fühlbar; so hatte der Vorstand unseres Alteweiber, pardon- Männergesangsvereines anfangs zugesagt, dann aber, als das Programm gedruckt werden sollte, die Zusage mit der Motivirung zurückgenommen, daß einzelne Mitglieder des Vereines in dem ,, berrufenen" Hause am Schottenring nicht singen wollten; der berühmte Geiger Ole Bull , der gerade hier weilte, erklärte, vor seinem eigenen Konzert nicht anderswo spielen zu wollen, welches Bedenken ihn aber nicht abhielt, auf dem Künstlerabend der Gesellschaft der Musikfreunde mitzuwirken freilich ist Reichsfinanzminister Baron Hoffmann Präsident dieser Gesellschaft, und solchen Leuten kann man doch nichts abschlagen. Und als endlich die Mitwirkenden alle gewonnen, ein gediegenes Programm zusammengestellt und dasselbe ausgezeichnet durchgeführt worden war, war das finanzielle Ergebniß tros des wohlthätigen Zweckes ein derart mißliches, daß auf jeden Betheiligten kaum Ein Gulden österreichischer Währung fam! Die meisten Logen und Sitze, welche den P. T. Herrschaften ins Haus geschickt wurden, tamen zurück, und sogar zwei der bestfituirten Theaterschriftsteller, welche ihre Erfolge und nebstbei auch viel Geld bei der Bühne gesammelt, sandten die ihnen angebotenen Logen zurück. Der eine war verhindert, der andere unpäßlich und daher beide nicht in der Lage, sich an einem menschenfreundlichen Werke zu betheiligen. Von der Bühne herab Moral und Menschlichkeit predigen und bogenlange Artikel über das ,, wohlthätige Wien" schreiben, das ist freilich leichter wohlfeiler. Richtet euch nach meinen Worten und nicht nach meinen Werken." Würde man versprochen haben, die Namen der edelmüthigen Abnehmer von Logen und Sißen durch die Tagesblätter zu veröffentlichen, so wäre das Ergebniß gewiß ein größeres gewesen! Was nüßt der Mantel, wenn er nicht gerollt ist, was nüßt die Wohlthätigkeit, wenn man mit ihr nicht in den Ruf eines wohlthätigen Mannes kommt? So mag sich auch der vor nicht langer Zeit verstorbene, bekannte Eisenbahnbauunternehmer Baron Albert Klein gedacht haben, von dessen Wohlthätigkeitssinn damals die Nekrologe in allen Zeitungen überflütheten. Da wurde erzählt, daß er in Zöptau und Brünn Dampfkochapparate habe aufstellen lassen, in welchen für tausende von Armen Gratissuppen zubereitet würden. Wer aber die ausgehungerten Arbeitergestalten in den Baron Klein 'schen Eisenwerken zu Zöptau , Reitenau, Stefanau 2c. gesehen hat, der bekommt seine eigenen Gedanken in puncto der Wohlthätigkeit des Herrn Barons. Die Arbeiter jener Gegend wissen auch davon gar manche liebenswür dige Kleinigkeit zu erzählen. Als Beispiel möge nur nachfolgende Episode dienen: Ein alter, arbeitsunfähiger Mann ersuchte ihn einmal um eine Unterſtügung; darüber gerieth der große Arbeiterfreund" derart in Zorn, daß er den Alten persönlich zum Thore hinausjagte und ihm noch einige Liebenswürdigkeiten nachbrüllte. Da bemerkte er jedoch, daß einige Arbeiterfrauen, die gerade aus der Kirche kamen, ob seines Gebrülles stehen blieben, und nun änderte er plötzlich den Ton, sagte mit freundlichster Miene zu dem eben Hinausgejagten: Kommen Sie( für gewöhnlich gebrauchte er nur die Anrede: Ihr) herein, lieber Mann!" und gab dem Armen schließlich fünf Gulden! Aehnliche Fälle von Baron Klein'scher Wohlthätigkeit" ließen sich in Menge erzählen.
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So viel steht jedenfalls fest, daß der Wohlthätigkeitssinn" des Herrn Albert Klein( den Baronstitel erhielt er erst vor etwa drei Jahren) ihm in der Vermehrung seiner Reichthümer keinen Eintrag that. Der nun über die Grenzen Desterreichs hinaus bekannte ,, Straßen- und Eisenbahn- Klein" war der Sohn ganz armer Eltern, seine älteren Brüder hatten noch als Teichgräber gearbeitet, ihm selbst jedoch war der Spaten erspart geblieben, da seine Brüder ihn, als den Jüngsten, studiren ließen. Als er starb, stand er im 70. Lebensjahre und hinterließ ein Vermögen von mehr als dreißig Millionen Gulden. Das hat er natürllich alles ,, erarbeitet" und erspart"; der Architekt Zailler wies 1873 in der Wiener Neuen Tribüne" nach, daß Klein beim Baue der mährischen Grenzbahn( Sternberg- Grulich) allein 6 Millionen ergründete. Bailler wurde damals zwar wegen Erpressung verurtheilt, es bleibt aber nichtsdestoweniger wahr, daß heute die Mährische Grenzbahn ihren Aktionären keinen Kreuzer trägt. Wie dem aber auch sei, bei dreißig Millionen kann man es sich leicht einige tausend Portionen
Bettelsuppe kosten lassen, um in den Ruf eines Wohlthäters der Armen" zu kommen.
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Es lebe die ,, Wohlthätigkeit"!
Viennensis.
Panem nostrum quotidianum da nobis hodie!"( Seite 364.)
Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus noch ein, Kehrt' ich mein verirrtes Auge
8ur Sonne, als wenn drüber wär' Ein Ohr, zu hören meine Klage, Ein Herz wie mein's,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
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Diese Zeilen des herrlichen Goethe'schen Gedichtes Prometheus " fielen uns ein, als wir das treffliche Bild Gröglers erblickten. Panem nostrum quotidianum da nobis hodie! Unser täglich Brot gib uns heute! Mit diesen Worten der ,, vierten Bitte" des Vaterunsers hat der Künstler sein Bild benannt. Ja, zwei von den dargestellten Personen beten um täglich Brot gewiß inbrünstig und heiß, es sind die beiden Gestalten rechts, im Vordergrunde des Bildes, eine Mutter und ihr Kind, die, gebrochen und gramgebeugt, auf einem geringen, bescheidenen Plaß sich zusammengekauert haben. Aber kein Prophet Elias wandelt heute mehr auf Erden herum, um den Mehlkasten und den Delkrug der Witwen mit unerschöpflichem, drei Jahre lang vorhaltenden Vorrath zu versorgen, wie der Prophet der Witwe zu Zarepta gethan haben soll. Um was mag aber das Gegenstück zu dieser armen, unglücklichen Mutter, der über dem Leiden ihres Kindes das Herz brechen möchte, die reiche Dame in Sammet und Seide, beten, wenn sie überhaupt betet? Was heißt bei ihr täglich Brot? Sollen wir die Küchenzettel" beider vergleichen? Wir haben das nicht nöthig; das abgehärmte, magere, bleiche Antlig der beiden Proletarierinnen, das uns halb abgewandte volle, runde und blühende Gesicht der reichen Dame sprechen mehr als es irgendetwas anderes könnte. Die zur Rechten haben vielleicht straßauf, straßab Arbeit gesucht, und nirgends welche gefunden. Endlich überwinden sie die Scham und wollen die Mildthätigkeit der Reichen anrufen. Da treten sie in ein Haus. An der Thüre steht ein Schild: ,, Mitglied des Vereins gegen Hausbettelei"; so einer von den Vereinen, deren einer neulich das schöne Geständniß ablegte, daß auf jedes Zweipfennigstück, das aus seiner Kasse einem Armen verabreicht wird, 5 Pfennige Schreibegebühren und Verwaltungskosten kommen! Demüthigung und Selbsterniedrigung sind ohne Erfolg gewesen: Menschen können oder vielmehr Menschen wollen nicht mehr helfen! Die Pulse der Armen fliegen fieberhaft, das Hirn glüht, die Kräfte schwinden immer mehr und mehr, da kamen sie hierher und hoffen nun auf eine überirdische, übernatürliche Hülfe! Wir können nicht spotten über diesen Wahn! Dieser Schmerz ist heilig. Dagegen unsre schöne, geschmückte Reiche ist nur erschienen, um einer Modegewohnheit Genüge zu leisten, um ihre Garderobe bewundern zu lassen und den Neid der andern zu erregen: eitel unheilige und unchriftliche Beweggründe das! Was that sie, um ihr tägliches Brot zu verdienen? An diese brillantengeschmückten, weißen, kleinen Hände kam gewiß nie rauhe Luft oder Sonnenschein, sie waren stets im Freien mit Handschuhen überzogen, haben gewiß höchstens Klavier gespielt und getändelt. Und hinter ihr der Lakai", der mit albernem Stolze auf seine Livree sich für etwas viel das Kleid der besseres hält, als diese beiden Frauen aus dem Volke, Knechtschaft läßt ihn sich aufblähen und geringschäßig auf den ,, Pöbel" herabschauen. Auch dieses Gesicht ist äußerst ausdrucksvoll gezeichnet und spiegelt diese Gedanken klar wieder. Oben im Hintergrund an dem Altar finden wir die ebenso prächtigen, lebenswahren Gestalten der Geistlichen, deren Züge alle Eigenschaften zur Erscheinung bringen, die an gar vielen ,, Dienern des Herrn" so widrig sind: der Hochmuth, die Heuchelei, Bornirtheit, ja Roheit leuchtet unverkennbar aus diesen Gesichtern. Siehe Volk, das sind die Mittler zwischen dir und deinem Gott, der dir Speis und Trank geben soll, wenn dich hungert und dürstet! Hilf dir selbst, von ,, jenen Bergen" kommt dir keine Hülfe! Dann kannst du mit Goethe's Prometheus" folgende, an den Göttertönig Zeus gerichtete Worte sprechen:
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Wer half mir
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Wider der Titanen Uebermuth? Wer rettete vom Tode mich,
Bon Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet, Heilig glühend Herz
Und glühtest jung und gut, Betrogen, Rettungsdant Dem Schlafenden da droben? Ich dich ehren? Wofür? Hast du Schmerzen gelindert Je der Beladenen?
Hast du Thränen geftillet Je des Geängsteten?
wt.
Herr
Die Linde zu Neuenstadt an der Linde.( Bild Seite 365.) Die ,, deutsche Eiche", von der noch immer soviel gefaselt wird, ist, wie man doch endlich allgemein wissen sollte, durchaus nicht der deutsche Baum schlechthin; dieser ist viel mehr die Linde. Sie begegnet uns in Sage und Geschichte und im Volkslied äußerst häufig; Lieder, wo die ,, deutschen Eichen" ihr Unwesen treiben, sind allemal Kunstdichtungen, deren Ver fasser eben den wahren deutschen Baum nicht kannten; das deutsche Volkslied weiß von deutschen Eichen nichts. Unter der Linde tagten