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„ Aber Emmy , was hast du auch nur mit mir? Ich glaube| machen. Aber sie ist so verliebt, so schrecklich verliebt, daß se wirklich nicht, daß es so war, wie du sagst." ganz unpraktisch zu Werke geht, und das kann noch lange so gehen, wenn Herr Hammer sich nicht ein Herz faßt."
" Nicht? Sieh einmal an! Und doch," fügte sie leise hinzu, sahst du so glücklich aus, als nun ja, als hättest du Herrn Hammer getroffen und als wäre er sehr liebenswürdig gegen dich gewesen."
Du wirst unartig, Emmy ," erwiderte Martha und suchte einen strafenden, vorwurfsvollen Ton anzunehmen, aber ihre Stimme zitterte und eine tiefe, brennende Röthe überfluthete ihr Gesicht bis herab zum Halse.
" Sei nicht böse, Martha!" flüsterte Emmy wieder.„ Es kam mir aber so vor, und du weißt doch, daß mir das Herz auf der Zunge sigt. Uebrigens, was wäre denn weiter Schlimmes dabei? Oder ist meine Vermuthung denn gar so unwahrscheinlich und fönnte es denn nicht so gewesen sei? Hat er dich nicht immer ausgezeichnet und siehst du ihn etwa nicht gern?"
" Ich liebe die Scherze über so ernste Dinge nicht!" erwiderte Martha, die sich rasch gefaßt hatte, und damit ließen sie das verfängliche Thema fallen.
Der Kommerzienrath hatte sich mit halbgeschlossenen Augen in die schwellenden Divantissen zurückgelegt und verrieth durch nichts, daß er auch nur eine Silbe von den geflüsterten Worten bernahm.
Dennoch war ihm keine Silbe entgangen, und es gingen ihm allerlei blendende Lichter auf. Der alte Praktikus verrieth dies allerdings nicht, als sich jedoch Martha, Müdigkeit vorschützend, zurückgezogen hatte, um ihr Zimmer aufzusuchen, sagte er unbefangen und harmlos zu Emmy :
" Apropos, was habt ihr denn vorhin über Hammer verhandelt? Darf man dies wissen oder ist es ein Geheimniß?"
Die Kleine war ein wenig betreten und es war ihr eigentlich nicht lieb, von Marthas gemuthmaßter zarter Neigung sprechen zu sollen. Doch sie hatte wenige Tage vorher wieder eine von den Novellen aus weiblicher Feder gelesen, die von der Ueber zeugung diktirt sind, daß die Männer das so unendlich viel sensitivere und scharfsichtigere weibliche Geschlecht in unwürdiger Vormundschaft zu erhalten suchen und es von oben herab und ohne die ihm gebührende Achtung behandeln, und daß sie ohne jede Ahnung von dem reichen, ehrwürdigen und rührend lieblichen Seelenleben ihrer Frauen und Töchter und Schwestern sind; es reizte sie, ihrem Herrn Papa, der vielleicht auch ein solcher Tyrann war( wer fonnte es wissen? Diese Männer verstecken unter ihrer Galanterie vielleicht nur die hochmüthige Nichtachtung, mit der sie auf die Frauen herabblicken es ist abscheulich!) den Nach weis zu führen, daß sich unter seinen Augen ein förmlicher Kleiner Roman abgespielt habe, ohne daß er auch nur eine blasse Ahnung davon bekam, und ihm dann zu sagen:" Nicht wahr, ein Mann ist doch nicht klug genug, um alles zu durchschauen, und wir Frauen geben ihnen trotz unserer, Inferiorität noch allerlei Räthsel auf?" Sie sagte also ziemlich spöttisch und übermüthig:
,, Also jetzt fällt dir endlich etwas auf und auch nur, weil wir zu laut und unvorsichtig gewesen sind? Und doch haben wir andern längst Bescheid gewußt, ohne daß uns Martha ein Wort gesagt hätte. Das ist wirklich amüsant, und am Ende könnte ich mich ebenfalls verlieben, ohne daß du etwas davon merktest."
Ah bah Einbildungen! Was ihr nicht alles zu wissen glaubt! Manchmal mögt ihr ja recht haben, aber noch viel häufiger vergallopirt ihr euch."
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Das war also grade der männliche Dünkel, den Emmy hatte bekämpfen wollen. Mit mehr Eifer als Besonnenheit erwiderte sie: " Nun ja, wir ich meine auch Leontine haben natürlich die Augen nur dazu im Kopfe, um nichts zu sehen, oder doch nur das, was wir sehen wollen. Eine Frau und ein Mädchen haben eben kein Urtheilsvermögen, und wenn sie etwas wissen wollen, so haben sie sich nur etwas eingebildet."
„ Aber kind, was fällt dir denn ein? Du thust ja grade, als hätte ich dich beleidigen wollen, und doch glaube ich es dir ganz gern, daß sich zwischen Martha und dem Herrn Hammer etwas angesponnen hat; es würde mich sogar interessiren, genaues darüber zu erfahren, denn ich glaube fast, hier müßte jemand vermitteln, wenn die beiden zusammenkommen sollen; Hammer wird eben nicht den Muth haben, seine Bewerbung anzubringen, und so können sie noch lange neben einander herlaufen und sich nach einander sehnen und alle erdenklichen Umstände machen und die Zeit vergeuden."
Emmy lachte. Allerdings, Papa, langweilig wird die Geschichte, und Martha sollte vielleicht Herrn Hammer einige Avancen
Es fiel dem praktischen Kommerzienrath garnicht ein, zu fragen, ob denn auch Wolfgang, schrecklich verliebt" sei; er meinte wohl, das sei überhaupt nicht nöthig, und man könne sich eine Bewerbung um Martha auch ohne eine eigentliche Liebesneigung genügend erklären. Er lächelte überlegen und ein wenig ironisch, als Emmy fortfuhr:
„ Es ist übrigens hübsch, daß Martha noch einen Mann bekommt, der sie liebt; Herr Hammer ist ja auch ein ganz netter Mann und hat sie sehr, sehr gern."
Herr Reischach mofirte sich im stillen über diese mädchenhaftromantische Schwärmerei, nahm sie aber gelassen hin und sagte: „ Nun, ich werde mir den Fall überlegen und dann die nöthigen Schritte thun; ich hoffe, die wunderliche Geschichte soll rasch in's Reine kommen."
„ Aber Papa, wirst du es denn auch zart und vorsichtig genug anfangen?" wendete Emmy nach einigem Zögern ein. Sie war in der That sehr geneigt, zu glauben, daß Papa sich eben nicht besonders zum Heirathsvermittler qualifizire.
" Paperlapapp, Kind; ich habe schon zartere Angelegenheiten geregelt und selbst mit Martha wollte ich fertig werden, wieviel mehr mit einem jungen Manne."
Und er lächelte so selbstbewußt und überlegen, daß seine Tochter, die seine Schwächen auf's Haar kannte, Bedenken trug, weitere Zweifel zu äußern, wennschon es ihr feineswegs unmöglich schien, daß der fluge Herr Papa kläglich Schiffbruch leiden und sie in dem Glauben an das Dogma von der Unfähigkeit der Männernatur, die tieferen Empfindungen eines Frauenherzens zu verstehen und angemessen zu behandeln, bestärken würde. Sie begnügte sich also mit einem leichten, vieldeutigen Achselzucken und packte ihre Plisséstickerei zusammen, um ihr Zimmer aufzusuchen.
,, Viel Glück also, Papa, zu deiner zarten Mission!" sagte sie scherzend noch in der Thür; sie sah nicht mehr, wie verschmitt Papa vor sich hin schmunzelte. Er war seiner Sache ja ganz sicher, und als er nach seinem Zimmer ging, um dort noch eine Cigarre zu rauchen, schnipste er vergnügt und im Vorgenuß einer für ihn humoristischen Situation mit den Fingern der fleischigen Rechten und murmelte vor sich hin: Was werden Sie für Augen machen, Herr Hammer, und wie hastig werden Sie zugreifen, wie gern Ihren unpraktischen Träumereien entsagen, um für sie ein solides Glück einzutauschen! Wie solid dieses Glück ist, davon haben Sie schwerlich auch nur eine annähernde Vorstellung. Als armer Teufel gehen Sie heute zu Bett und morgen Abend sind Sie ein gemachter Mann; es wird nicht jedem so bequem gemacht, und wie lange hat es gedauert, bis ich mit Hängen und Würgen es soweit gebracht hatte."
Fräulein Emmy brauchte längere Zeit als sonst zu ihrer Nachttoilette. Eine nahe bevorstehende Verlobung im nächsten Kreise der Verwandtschaft oder Bekanntschaft hat ja unter allen Umständen etwas Aufregendes für alle jungen Mädchen dieses Kreises, und hier handelte es sich beinahe um eine ältere Schwester, um deren Zukunft man schon recht besorgt gewesen war. Und es war ja außerdem ein wahrhafter kleiner Roman, der sich seinem fröhlichen Ende zuneigte und in dem sie selber eine erhebende und rührende Rolle spielte. Wie groß und edelherzig, wie uneigennüßig und selbstverleugnend war es von ihr, daß sie Martha den zuführte, der eigentlich ihr gehörte, der sie schen und aus der Ferne im stillen anbetete, der seine Augen nicht zu ihr zu erheben wagte! Er konnte längst ihr Verlobter sein, wenn nur ein wenig kühner und sie ein wenig entgegenkommender war, wenn sie nicht lieber die Muse, als die Frau eines Dichters ward; er dichtete vielleicht schwärmerisch- melancholische Stanzen an sie in demselben Augenblick, in welchem sie auf ihn verzichtete, um eine andere durch seine Hand zu beglücken. Ach ja, des war wieder einmal ein Ausfluß jener wunderbaren Erhabenheit und Seelengüte, die dem Frauenherzen eigen ist und die ihre Opfer im stillen bringt und mit bluttendem Herzen lächelt, weil sie andere glücklich sieht, ein Ausfluß jener Entsagungsfähigkeit, von der die Männer nichts ahnen und an die sie nicht glauben, weil sie sich ihnen nicht aufdrängt, und an die sie nicht würden glauben mögen, auch wenn sie sich ihnen täglich vor Augen stellte, weil sie dann vor den Frauen ehrfürchtig und bewandernd die Knie beugen müßten. Niemand, niemand, auch Wolfgang und Martha nicht, erfuhren je, was sie gethan und wie edel und selbstlps sie