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geschritten, wenn seine scharfe Art uns nicht die Bahn gebrochen hätte. Die Behauptung, Voltaire habe sich in seinen letzten Tagen wieder zum Christenthum bekehrt, ist falsch; dies beweist ein kurzer Blick auf diese Zeit. Auf Antreiben seiner Nichte unternahm er im Februar 1778, 84 Jahre alt, noch einmal eine Reise nach Paris  , wo ihn das Volk beinahe vergötterte, während der in Versailles   sich aufhaltende Hof ob seiner Ankunft in große Ver­legenheit gerieth; Ludwig XVI.   ließ sogar in den Registern der Verhaftsbefehle seines Vorgängers nachsuchen, ob sich kein Aften stück vorfände, das Voltaire den Aufenthalt in Paris   verbiete, es fand sich aber nichts.

Den vielen Aufregungen und Anstrengungen war indeß der alte Mann nicht mehr gewachsen; schon am 2. März ließ er mit dem Arzt einen Abbé rufen, damit man nicht, wie er sagte, seinen Leichnam auf den Schindanger werfe. Zu dem Abbé sagte er: " Sie wissen, weshalb ich Sie rufen ließ; wenn es Ihnen gefällig ist, machen wir das kleine Geschäft auf der Stelle ab." Nachdem der Abbé seine Beichte gehört, wollte derselbe ihm auch das Abendmahl reichen, Voltaire   aber machte ihn darauf aufmerksam, daß er Blut speie und sagte: Da müssen wir uns doch in acht nehmen, das des lieben Gottes nicht mit dem meinigen zu ver­mischen." Einem Freunde, der ihn einige Tage später fragte, ob er wirklich gebeichtet habe, erwiderte er:" Je nun, Sie wissen, wie es hierzulande zugeht, man muß ein wenig mit den Wölfen heulen; an den Ufern des Ganges   wollte ich mit einem Kuh­schwanz in der Hand sterben."

Einige Jahre vorher hatte er einmal an Friedrich geschrieben: " Ich fürchte den Tod nicht, aber ich habe eine unüberwindliche Abneigung gegen die Art, wie man in unsrer heiligen römisch­fatholischen apostolischen Kirche stirbt; es scheint mir äußerst lächerlich, daß man sich ölen läßt, um in die andere Welt zu gehen, wie man die Achsen seines Wagens schmieren läßt, wenn man auf Reisen geht."

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Den Ueberzeugungen, welche er sein ganzes Leben lang ver­focht, blieb Voltaire bis zum letzten Augenblick treu. Nur darf nicht vergessen werden, daß er durchaus kein Atheist war; mit seinem berühmten: Écrasez l'infame! vernichtet die Infame! meinte er nicht die Religion überhaupt, sondern nur die christ­liche Kirche; Gott hat er immer respektirt, aber alle diejenigen, welche in seinem Namen die Menschheit betrogen haben, schonungs­los gegeißelt. Von ihm rührt auch der Ausspruch her: Wenn es keinen Gott gäbe, so müßte man einen erfinden" für das Volt nämlich! Von unten, von der Masse, erwartete er kein Heil; Voltaire, dieser Hauptbegründer einer neuen Zeit, stand

eben mit einem Fuße noch auf dem Boden der alten, er war der auch heute noch verbreiteten irrigen Meinung, das Volk be­dürfe des Glaubens an einen strafenden und belohnenden Gott, theils als Trost im Unglück, theils als nothwendigen Zügel, um es in Zucht und Ordnung zu halten; das Volk aber wird eines Tages beweisen, daß diese Ansicht ein Irrthum ist und daß es ebenso, wie schon heute aufgeklärte und gebildete Menschen, auch ohne besondern Glaubensapparat und religiöse Zucht- und Dressur­mittel ein moralisch geregeltes Leben zu führen im Stande sein wird.

Von diesem ersten Krankheitsfalle erholte Voltaire sich wieder, aber am 28. Mai stand der Abbé schon wieder vor dem Bette des nunmehr wirklich mit dem Tode Ringenden, der auf die Frage, ob er an die Gottheit des Erlösers glaube, sich mit den Worten abwandte: Laßt mich in Frieden sterben!" Nachdem die Geistlichkeit, wie vorauszusehen war, das Be­gräbniß verboten hatte, wurde die Leiche so eilig und still als möglich nach der Abtei Scellieres bei Troyes   gebracht, deren Abt Voltaire's Neffe   war, und dieser ließ seinen Onfel am 2. Juni nach einem feierlichen Todtenamte in der Klosterkirche begraben. Kaum war dies geschehen, als ein Erlaß des Bischofs von Troyes  das Begräbniß untersagte; das Verbot kam zu spät, Voltaire  hatte der Klerisei auch im Tode noch ein Schnippchen geschlagen. Elf Jahre später begannen die Pariser  , in Praxis zu über­setzen, was Voltaire   sie theoretisch gelehrt hatte, und im Jahre 1791 dekretirte die Nationalversammlung die Versetzung der Reste Voltaire's zugleich mit denen Rousseau's nach der zum Bantheon umgewandelten Genovefakirche; nach neunundzwanzig Jahren wurde das Pantheon   wieder Kirche und die beiden un heiligen Leichen wurden aus der Gruft in ein Gewölbe unter der Vorhalle gebracht; wieder nach zehn Jahren gab die Juli­revolution den umhergeworfenen Gebeinen ihre vorige Ruhestätte wieder. Man sagte später, von diesen sei nichts mehr zu finden gewesen, die Geistlichkeit habe Kalt darauf schütten lassen, um sie gänzlich zu vertilgen; sie hätte damit unbewußt den Antichrist ihrem Christus gleichgestellt, der ja auch keine irdischen Reste auf der Erde zurückgelassen haben soll. So möglich es wäre, daß die Geistlichkeit ihren Haß auf solche Weise an den Gebeinen Voltaire's ausgelassen hätte, so lächerlich wäre ein solches Be­ginnen, denn das, was der Mensch ob er als Christ oder Antichrist gelebt auf Erden zurücklassen kann, sind ja nicht die paar armseligen Knochen, sondern es ist sein Geist, der unsterblich in seinen Werken unter den Menschen fortlebt und fortwirkt, so­lange es Menschen gibt, die diese Werke zu verstehen und zu be­wundern fähig sind. ( Fortsetzung folgt.)

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Ein Stück Kulturgeschichte des Mittelalters im Orient.

Von A. Bebel. ( Schluß.)

Wo der Ueberfluß die Schwelgerei ermöglicht, da hat unter den bisherigen Formen der Menschheitsentwicklung stets neben dem Reichthum die bitterste Armuth ihre Hütten aufschlagen müssen. Bagdad  , das zur Chalifenzeit über eine million Ein­wohner zählte, barg in sich dieselben Gegensätze, die jede moderne Großstadt heute in sich birgt.

Und wie heute an den Tischen der Reichen und Mühseligen sich gerne ein Heer von Schmeichlern und Schmaroßern einfindet, so war es in noch höherem Grade der Fall in jenem Zeitalter und in Ländern, in denen, die Gastfreundschaft zu den ersten Tugenden gehörte. Das Schmeichler- und Schmaroßerthum bildete, wie die Angehörigen jedes wirklichen Gewerbes im Orient und später im christlichen Mittelalter, eine wohlorganisirte Zunft, die ihr charakterloses Handwerf nach bestimmten Regeln trieb; und da ist es denn höchst ergöglich, zu hören, wie der Altmeister einer solchen Zunft seinen Genossen Verhaltungsregeln gibt und im Tone des Kapuziners in Wallenstein's   Lager, über den Verfall der edlen Schmaroßerkunst flagt, als er einem in die Zunft Neuaufgenommenen das Bestallungsdiplom einhändigt, das im Auszug folgendermaßen lautet:

Dies ist das Bestallungsdiplom des N. N. für d N. N., ausgefertigt bei gefunden Sinnen, doch krank von innen,

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geschwächt im Kauen und besorgt um sein Verdauen,- bei des Lebens Ausgang-und der Ewigkeit Anfang, als Er­mahnung und Berathung an die edlen Kunstsproßen und Sufy- Zunftgenossen, die Tellerlecker und nimmersatten Fein­schmecker der Tofaily- Gilde, deren Mühle immer geht, deren Gier nie stille steht, die Männer mit gaffendem Mund und klaffenden Schlund.

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Heil über euch! Und Gott lobpreise ich zugleich,- den Einzigen, der euch mit Zähnen zum Beißen und Kauen be­wehrt, der euch weite Mäuler und tiefe Schlünde gewährt,- und dem Propheten spende ich mein Lob, der des Islams Fahne erhob, die Verwandten zu ehren befahl und mit den Armen zu theilen das Mahl!

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" Hiermit thue ich denn kund, daß ich sah, wie die Männer vom Eßbunde und die Meister der Freßkunde immer seltener auf Erden, einen Stern nach dem andern sah ich schwinden; in Stadt und Land ist kaum einer zu finden,- de. diese hohe Kunst noch inne hat, der all' ihre Schliche und Griffe im Sinne hat, wie man in den Speisesaal sich schleicht - und die gedeckte Tafel erreicht. Das höchste, was jetzt einer leistet, ist, daß er sich an die Reichen macht; dann fitt er an deren Tische in Demuth und Andacht,- schürzt elegant seinen

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