dessen Gesetze nur den Besitzenden nützlich, den Besitzlosen aber schädlich sind, in welchem das Geld allein Werth hat, Ehrenstellen und Anhang verleiht, der Arme aber überall nachstehen muß, ein solcher Staat befindet sich in einem Auflösungsprozeß, der früher oder später zur Katastrophe führt.
" Die Völker der Neuzeit halten keine Sklaven mehr, dafür find sie es aber selbst; mögen andre unsre Zustände preisen, mir erscheinen sie eher ein Produkt der Feigheit als der Humanität." Wenn Rousseau keinen Grund hat, die Zustände seiner Zeit zu preisen, so haben wir heute wahrhaftig ebensowenig Grund dazu, auch wir schleppen vielfach noch Sklavenketten, so verwerflich, wie diejenigen des Alterthums.
Es muß und wird aber dereinst gelingen, jenes Problem zu lösen, an dem sich so viele, und auch Rousseau , vergeblich abgemüht haben, eine Form des Staates zu finden, worin es weder Reich noch Arm, weder Hoch noch Niedrig, weder Herren noch Knechte gibt, sondern wo alle gleich an Rechten und Pflichten sind und in welchem das zur Wirklichkeit wird, was schon Aristoteles als Zweck des Staates aufstellt, daß das vereinigende Band eines glücklichen und menschenwürdigen Daseins alle Menschen zu dem Zwecke eines vollkommenen, selbstgenügenden Lebens umschlingt, zu einem Leben in Glückseligkeit und Schönheit. Rousseau's letzte Lebensjahre waren eine fortgesetzte Leidensgeschichte; ein sonderbares Mißtrauen gegen alle, die ihm näher standen, bemächtigte sich seiner, die fortgesetzten Quälereien und Verfolgungen seiner zahllosen Feinde umdüsterten seinen Geist; da er glaubte, auch seine seitherigen Freunde und Bekannte seien mit seinen Feinden im Bunde, so verfaßte er eine Art von Rundschreiben, worin er bittet, man möge ihn doch über die Motive und Urheber des Bannes, unter welchem er stehe, aufklären. Mit der Aufschrift: An jeden Franzosen , der noch Recht und Wahrheit liebt," suchte er es auf öffentlichen Straßen und Plätzen an solche Personen zu vertheilen, deren Gesichter ihm Ehrlichkeit und Gerechtigkeit auszudrücken schienen, aber alle wiesen es zurück mit der Bemerkung, daß das nicht ihre Adresse sei.
Seine Gemüthsstimmung wurde immer düsterer, es wurden ihm von verschiedenen Seiten Anerbietungen gemacht, und er entschloß sich endlich am 20. Mai 1778 in ein zum Schlosse eines Herrn von Girardin gehöriges Haus überzusiedeln. Kaum aber hatte er sechs Wochen hier zugebracht, als er am 2. Juli plötzlich und unerwartet starb.
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Es scheint, daß die lange verbreitete Meinung, er habe sich selbst das Leben genommen, unbegründet ist und daß ein Schlagfluß die Ursache seines Todes war.
Die kulturhistorische Mission dieser beiden Männer besteht unstreitig in dem, was sie direkt oder indirekt für die erhabenste That der neuern Geschichte, für die französische Revolution, waren.
Groß und erhaben ist diese weltbefreiende That in ihrer hochherzigen Grundrichtung; in allen Reden und Schriften jener Zeit erschallten die schönen Losungsworte von der Machtvollkommenheit und Selbstherrlichkeit des Volkes, von Freiheit und Gleichheit, von Gewissensfreiheit und der Macht der Tugend. Alle denkenden Menschen haben diese Epoche mitgefeiert. Eine erhebende Rührung herrschte zu jener Zeit, ein Enthusiasmus des Geistes durchzitterte die Menschheit, als sei es zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit dem Jrdischen gekommen. Man erkannte schon damals die beispiellose Tragweite dieser Revolution; während alle früheren Revolutionen in Deutschland , Holland und England nur ganz nationale, örtliche, besondere Zwecke verfolgt hatten, erstreckte sich die französische Revolution, wie die in Amerika , in ihren Zwecken und Grundsäßen auf die ganze Menschheit. Aber die Schwäche der französischen Revolution, die Ursache ihrer Ueberstürzung und ihrer Niederlage ist der Mangel an Einsicht in die geschichtliche Grundbedingung allmählicher Uebergänge und Gewöhnungen. Die begeisterten Freiheitshelden glaubten auch ihrerseits erreichen zu können, was in Amerika leicht und schmerzlos erreicht worden war; fonnten dort die großen Anschauungen der englischen Freidenker verwirklicht werden, so glaubte man, die gleiche Gunst werde auch den Lehren der französischen Denker beschieden sein. Man vergaß, daß Amerika nicht wie Frankreich und Europa mit unzerreißbaren Banden an eine 200jährige Vergangenheit geknüpft war. Der Fanatismus des allgemeinen, alle Wirklichkeit und geschichtliche Bedingung vernachlässigenden Gedankens, wie er sich in der Literatur ausgesprochen hatte, erzeugte den Fanatismus der Schreckensherrschaft, woran die Revolution scheiterte; aber sie hat der Zukunft Aufgaben gestellt, an deren Lösung die Geschichte unablässig fortarbeitet.
Es wäre natürlich verkehrt, von Voltaire oder Rousseau geradezu die Revolution mit allen ihren Folgen abzuleiten; die ersten Aeußerungen der Revolution waren allerdings die Verwirklichung von Rousseau's und Voltaire's Gedanken über Menschenrecht und Menschenwürde, und zwar strebten die Männer von 1789 und 1792, die Voltaire 'schen Gedanken zu verwirklichen, während diejenigen von 1793 aus Rousseau's Schule kamen, aber die Hauptursache der französischen, wie jeder gewaltsamen Revolution überhaupt ist allein der zähe Widerstand der herrschenden Klassen. Weder der eine noch der andere hätte den Verlauf der Revolution gebilligt; Voltaire liebte den Verkehr mit hohen Herrschaften und Rousseau haßte jede Gewaltthat, er hätte niemals die Kraft besessen, handelnd an politischen Weltereignissen theilzunehmen. Die Aufgabe beider war mehr, auf geistigem Gebiete die Herrschaft verjährter Vorurtheile anzugreifen, sie förderten den Gedankenumsturz, der dem Umsturz der bestehenden Ordnung voranging.
Aengstliche Gemüther hört man vielfach die Befürchtung aussprechen, wir stünden gegenwärtig wieder vor einem ähnlichen Umsturz des Bestehenden, manche gehen sogar soweit, den Zustand der Gegenwart mit dem der alten Welt vor ihrer Auflösung zu vergleichen, und man wird allerdings nicht leugnen können, daß sich manche Vergleichungspunkte darbieten; diese vollständig aufzufinden und zu beurtheilen, wird aber nur einer spätern Zeit möglich sein. Dagegen sei hier zum Schlusse der ganz ungerechtfertigten Selbsttäuschung unsrer Zeit gedacht. Man hat sich so sehr daran gewöhnt, unser Zeitalter das Jahrhundert der Aufklärung und des Fortschritts zu nennen, zu prahlen damit, daß wir in zehn Jahren weiter fortschritten, als früher die Menschheit in 100 oder 200 Jahren, so daß man jeden, der nur im mindesten dieser Meinung widerspricht, für einen Dummkopf oder für verrückt hält, und doch haben wir alle Ursache zur Bescheidenheit, weniger als je sind wir berechtigt, so vornehm und geringschäzend auf frühere Zeiten zurückzublicken. Alle Achtung vor den Fortschritten auf dem Gebiete der Technik und Industrie und der Kriegführung, d. h. des Massenmords, aber auf geistigem Gebiete hat das 19. Jahrhundert nur sehr spärliche und dürftige Fortschritte zu verzeichnen.
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Das frevelhafte Wort:„ Die Wissenschaft muß umkehren," das der preußische Kirchenrechtslehrer vor 20 Jahren aussprach, hat sich bewahrheitet und zwar auf keinem andern Gebiete in so erschreckendem Umfang, als dem der Pädagogik. Die fromme strenggläubige Reaktion, von der dies Wort ausging, hat es meisterhaft verstanden, sich in die Schule einzudrängen und dieselbe vollständig zu beherrschen, sie hatte wohl begriffen, daß der nächste Weg, sich der Zukunft zu versichern, durch die Schule führe. Dem unsichtbaren und unheimlichen Einfluß dieser finstern Richtung haben wir es zu danken, wenn Ed. Sack in seiner neuesten gegen die Prügelpädagogen gerichteten Schrift sagen fonnte:" Die pädogische Wissenschaft ist umgekehrt, sie ist auf dem Wege rückwärts bereits in der Nähe des düstern grausamen Mittelalters angelangt."
Wer unbefangen und unparteiisch die Fortschritte des vielgerühmten 19. Jahrhunderts auf geistigem Gebiete prüft, der wird schmerzlich enttäuscht finden, daß dieselben äußerst gering sind im Vergleich mit denen, welche das 18. Jahrhundert auf zuweisen hat. Der Geist des 19. Jahrhunderts steht beinahe ausschlieslich im Tienste der Technik und Industrie, sowie einer Staatsgewalt, welche nur zu gut versteht, die Wissenschaft durch allerlei Nebensachen, wie Adelsdiplome, Titel, Orden und dergleichen freien Männern gleichgiltige Dinge zu ködern und in ihren Dienst zu bringen. Der Name der Philosophie, welchen das 17. und 18. Jahrhundert zu einem so geachteten machten, ist zum Ekel geworden, seitdem die Nachkommen des großen der Revolution vorangehenden Zeitalters immer reaktionärer versumpften und unter dem Namen" Philosophie" einen metaphysischen Urbrei zusammenrührten, den der Haupturheber dieser traurigen Geistesverirrung, Hegel selbst, am treffendsten kennzeichnete mit den Worten: Von meinen Schülern hat mich nur einer verstanden und dieser eine hat mich mißverstanden!"
Die moderne Naturwissenschaft verspricht zwar die herrlichen Blüthen, welche der französische Materialismus des vorigen Jahrhunderts getrieben hat, zu einer wohlschmeckenden und nahrhaften Frucht auszureifen, aber gerade die Jugend, welche am empfänglichsten dafür wäre, wird ängstlich davor behütet, und für den, der die mächtigen Anstöße kennt, welche die Menschheit auf ihrem Wege zu einer höheren Kulturstufe durch Voltaire und Rousseau