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Wie ein Communard den Versaillern entkam.
( Schluß.)
Wieviel Thüren blieben verschlossen, wieviel alte Freunde waren taub, wieviel herzliche Beziehungen wurden verleugnet. Am selben Tage bat mein Freund Longuet, Mitglied des Communeraths, Herrn Laurent- Pichat, den starren Republikaner, den „ Reinen" des Kaiserreichs( er ist heute Senator und steht in der Vorhut derer, die eine Amnestie befürworten) um Obdach. LaurentBichat kannte Longuet seit langer Zeit und war sein Mitarbeiter an den kleinen tapfern Blättern des Quartier Latin gewesen, die zuerst das Feuer gegen das Empire eröffneten. Als zweifacher Millionär und Bejißer eines prachtvollen Hauses im Faubourg St. Germain war er aus zwei millionen Gründen vor jeder Nachforschung geschützt. Er empfing seinen alten Mitarbeiter, wie ein Millionär einen Communard nur immer empfangen kann und geleitete ihn mit der tröstlichen Zusicherung wieder hinaus, daß die Versailler in zwei bis drei Tagen das Erschießen einstellen würden. Wie Longuet über diese zwei bis drei Tage herauskommen wollte, das blieb eben ihm überlassen.
Am nächsten Morgen( Montag) begaben wir uns frühzeitig auf die Suche nach einem wirklichen Zufluchtsort und brachten den ganzen Tag damit zu, bei unseren Freunden und Bekannten die Runde zu machen. Der eine war abwesend, der andere weigerte sich, weil seine Frau vor Angst umgekommen wäre; dieser bot uns mit süßsaurer Miene für einige Stunden seine Gastfreundschaft an, jener hatte reaktionäre Nachbarn. Wir machten diese entmuthigende Rundreise zu Wagen und wechselten vorsorglich häufig die Droschke, denn von den Kutschern hieß es, daß sie mit der Polizei auf denkbar bestem Fuße standen. Gegen 7 Uhr abends willigte eine uns befreundete Dame, deren Mann verreist war, ein, uns zu verbergen, obgleich ihr Hausmann bereits zwei Nachbarn zur tödtlichen Kugel verholfen hatte. Sie wohnte Rue Drouot . In den reichen Stadttheilen waren die Hausmeister Hauptlieferanten für die Mitvailladen. So hatten wir endlich eine wirkliche Zuflucht. Wir blieben hier vierzehn Tage und beschäftigten uns damit, die Zeitungen zu lesen und unabweis liche und unangreifbare geschichtliche Dokumente zu sammeln. Jeder Augenblick brachte uns die Kunde von dem Tode eines Freunde, eines Bekannten, eines Mitlegionärs. Alle Blätter ohne Unterschied der Farbe und Nuance, republikanische, legitimistische, orleanistische, bonapartistische, verherrlichten die Armee, beschimpften die Besiegten, applaudirten den Mezeleien. Die enragirtesten gaben die wahrscheinliche Adresse von Communards an, die man vom Leben zum Tode bringen müsse und fuhren, um die Wuth der Bourgeoisie immer auf's neue zu schüren, mit ihren un sinnigen Erfindungen fort. Wir wohnten im Geiste den Abschlachtungen bei, die in so unmittelbarer Nähe vor sich gingen; wir sahen lange Züge von Gefangenen sich durch den Staub schleppen, umringt von wilden, finstern Reitern, welche jeden Nachzügler unbarmherzig niedersäbelten und den Unglücklichen den Garaus machten, die nicht mehr folgen konnten; wir hörten das Geheul, welches man in Versailles bei Ankunft der Gefangenen aus stieß; das Geschrei in der Orangerie und in den Gefängnissen, in denen man vierzigtausend menschliche Wesen in wirrem Durch einander zusammenpferchte, und die Füsilladen von Satory zerrissen uns die Ohren. So kam es, daß wir, obgleich vor jeder Gefahr geschützt, bleich und hager und hohläugig aussahen, wie Gefolterte.
Aller Augenblice nahm man Personen fest, die das Verbrechen begangen hatten, Geächteten ein Asyl zu gewähren. Wir mochten die Verantwortlichkeit unserer Wirthin nicht verlängern. Ich hatte an Freunde in der Provinz geschrieben; in Erwartung ihrer Antwort pertrauten wir uns einem pariser Freunde an. Er kam und kurz darauf ließ er uns wissen, daß er einen Unterschlupf gefunden habe, aber nur für mich allein. Da Humbert weniger Verwandte und Freunde hatte, als ich, so bestimmte ich meinen Freund, daß er ihm dieses Asyl verschaffte, und sie gaben sich für 9 Uhr abends ein Rendezvous hinter der Kirche Notre Dame de Lorette. Zur verabredeten Stunde verließ uns mein Kamerad. Ich habe ihn nicht wieder gesehen. Fand er meinen Freund nicht am verabredeten Orte? Hatte der, welcher ihm ein
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Obdach gewähren sollte, seinen Entschluß bereut? Ich weiß es nicht. Aber zwei Tage darauf las ich in den Zeitungen, daß Humbert im Quartier Latin , wohin er sich unklugerweise begeben hatte und wo sein Gesicht nur zu bekannt war, verhaftet worden sei. Er befindet sich zur Stunde in Neukaledonien , im Bagno! Im Bagno wegen drei oder vier Zeitungsartikeln, während die Bonapartisten, die Frankreich den Preußen überliefert haben, während die Leute vom Figaro", welche die Massenabschlachtung von tausenden von Männern, Frauen und Kindern gefordert und erlangt haben, während ein Gallifet, welcher hundert Personen erschießen ließ, lediglich weil sie den Juni 1848 erlebt hatten, während die elenden Gefängnißwärter, welche schwangre Gefangene mit dem Fuß vor den Leib traten, während die Macher" der Staatsstreiche, die das Geschick von Millionen monatelang in Frage stellten, sich im Glück und im Schmuck der Orden auf dem Gipfel der französischen Gesellschaft blähen, welche sie zerrütten und vernichten und auf dem Pflaster von Paris , welches sie mit Blut besudelt haben. Seit seiner Ankunft im Bagno wurde Humbert mit einem berüchtigten Giftmörder zusammengeschmiedet; vor sechs Monaten wurde er von einem Gefangenwärter geohrfeigt und erhielt obendrein vierzehn Tage Gefängniß, weil er es wagte, bei der Verwaltung Beschwerde darüber zu führen. Am zweiten Tage nach dem Weggange Humbert's hielt ich es für klug, mich aus dem Staube zu machen, da der Hausmeister anfing, Besorgnisse zu erwecken. Man bezeichnete mir einen Freund, der in der Rue Lafayette ein Hotel hielt. Er nahm mich wohl auf, aber schon vier Stunden nach meiner Ankunft kam er zu mir gestürzt, um mir mitzutheilen, daß im benachbarten Hotel eine Haussuchung stattfinde und daß man ohne Zweifel auch zu ihm kommen werde. Ich raffte meine Habselig feiten eiligst zusammen und war schon auf der Treppe, als ich auf einen mir ergebenen Freund, Namens 3., stieß, der mich suchte. Seit einiger Zeit von Paris abwesend gewesen, war er zurückgekehrt, um mich zu retten, und in meinem vorherigen Asyl hatte man ihm meine neue Adresse gegeben. Er konnte unmöglich in einem passenderen Moment kommen. Er wohnte Chaussee Clignancourt, wohin wir uns zu Wagen begaben.
Dieser Stadttheil, der an die Buttes Montmartre stößt, war militärisch besetzt; das Haus meines Freundes trug sogar auf seiner Façade zahlreiche Spuren des Kampfes; nichts war unsicherer als ein solches Obdach. 3. hatte zum Glück im Foubourg St. Antoine einen Freund, der Weinhändler war und mit herzlicher Bereitwilligkeit auf den Vorschlag einging, mich zu verbergen; am nächsten Tage schickte er mich nach Vincennes , wo sich seine Niederlage befand.
Während der nun folgenden vierzehn Tage schickte mir einer meiner Freunde, der Maire in einer Stadt des Südens war, einen beliebig auszufüllenden Inlandspaß, und 3. bereitete in A., seiner im Norden gelegeneu Heimathsstadt, alles für die Ueberschreitung der Grenze vor. Am verabredeten Tage kehrte ich in einer Verkleidung mit dem Geschirr des Weinhändlers nach Paris Im Coupé auf die zurück und reiste auf der Nordbahn ab. Abfahrt wartend, entfaltete ich ein auf dem Perron gekauftes Zeitungsblatt, die neueste Nummer des„ Bien Public". Diese Nummer theilte mit, daß ich verhaftet sei. Ich hatte bereits gelesen, daß ich todt, daß ich gefangen, daß ich als Flüchtling in London angekommen sei.,
Ein Freund 3.'s erwartete uns in A. auf dem Bahnhof. Er besaß ein kleines Dampfboot, dessen er sich bediente, um Ver gnügungsfahrten auf den Kanälen zu unternehmen, die von A. in die Schelde führen. Das Boot war fahrtbereit und Freunde erwarteten uns auf demselben. Wir fuhren morgens 6 Uhr ab und erreichten am Abend die belgische Grenze, und ich war gerettet. Gerettet ja, aber ach! allein! Und um welchen Preis! Troß der zahlreichen Unterstützungen, die mir förderlich gewesen waren, hatte ich mehr als tausend Francs aufzuwenden gehabt. Wie viele tapfre, treue Männer, die ohne alle Hilfsmittel waren, haben infolge dessen dem Garn der versailler Häscher nicht entschlüpfen können!
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