theuer vergüten zu lassen, und so cifrig sind die Weißröcke" bei ihrem Werke, daß es nicht weniger als 200 Seften unter den orthodoren" Russen gibt, deren Religionsbekenntnisse theilweise total von einander verschieden sind.

Was die russische Beamtenwelt werth ist, mögen folgende Geschichten zeigen. Fürst Wiskoff besaß tausende von wüst liegenden Aeckern- Kanäle, Straßen, Eisenbahnen nirgends weit und breit. Hätte er sich nun, zum Zwecke der Anlage solcher, mit anderen Adeligen verbinden wollen, so hätten sie die Bureau­fratie so derb schmieren müssen, um auch nur die Erlaubniß hierzu zu erhalten, daß ihre Kapitalien würden verschlungen worden sein. Und dabei ist Südrußland so enorm reich an Halmfrüchten, daß es mit Leichtigkeit in eine Kornkammer für ganz Europa verwandelt werden könnte.

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Weiter: Je korrupter ein Stadtrath( als Körperschaft) ist, desto größer die Chancen seiner Wiederwahl, denn mit der Wähler eigenem Gelde( das sie in Form von Bestechungen erhalten haben) können sie am sichersten alle benöthigten Stimmen erkaufen."- Jeht aber aufgepaßt! Vor etwa 20 Jahren, als der Brannt­weinhandel von der Regierung an Spekulanten verpachtet wurde und diese ihr Monopol zur Berechnung exorbitant hoher Preise mißbrauchten, entschloß sich sogar die russische, im ewigen Schnaps­rausche hinduselnde Bauerschaft, sich dieses Genusses zu enthalten, um die Preise herunterzudrücken; denn sie wußte, daß es einen Tarif gab, der nur dadurch umgangen werden konnte, daß die Alleinhändler die Provinzialbehörden bestachen. Und da geschah's, daß die Pächter darob sich bei der Regierung beschwerten, worauf­hin diese Mäßigkeitsvereine als unerlaubte geheime Gesellschaften" aufgelöst wurden. Doch damit noch keineswegs genug: mit Polizei und Militärgewalt wurden die Leute zum Schnapstrinken gepeitscht, denen, die auch jetzt noch standhaft blieben, wurde der Wuttky eingegossen, worauf sie als Rebellen eingesteckt wurden. " Diese Dinge flingen unglaublich, sie sind aber wahr."

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Daß in Rußland die verschiedensten Werke verboten sind, an deren Verbietung anderwärts nicht zu denken wäre( z. B. J. St. Mills, Nationalökonomie", ja Thiers, Macaulay, sogar Thackeray's Virginier"; Dickens ; Dumas Vater gibt es nur in verhunzten Ausgaben), daß sonach demokratische oder gar sozialistische Ver­öffentlichungen es erst recht sein müßten, bedürfte wohl keines Wortes. Und doch erscheinen anonym sozialistische Broschüren bei allen Verlegern, unbeanstandet von den Censoren( in den 9 Universitätsstädten), an welche sämmtliche zu veröffentlichende Werke vorher eingesandt werden müssen. Aber dafür gehören mehrere Besuche der Herren Censoren im Jahre auch zu den wichtigsten( und kostspieligsten!) Geschäftsreisen der Verleger! Geheimpressen und Geheimkolporteure säen Unmassen von sozia listischen Pamphleten sowohl, als von wirklicher Schand- und Schundliteratur aus, und die Polizei läßt sie gewähren wohl wissend warum.

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Ehescheidungen, in Rußland nicht erlaubt, sind gleichwohl, eines Formfehlers" wegen sehr häufig: reine Geldsache eben, ,, wie das allermeiste in Rußland ."

Wichtig werden Bestechungen auch in Sibirien , worüber später, wenn wir auf diese liebliche Eigenthümlichkeit Rußlands zu sprechen kommen.

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Wie alle Halbbarbaren ungemessenste Prunksucht lieben, so prahlen auch halbbarbarische Staaten gern mit gewissen Anstalten, die verschwenderischeste Wohlthätigkeit zur Schau tragen, aber doch eben nur herzloser, ja schädlichster Prunk sind. Da gibt es z. B. in Moskau ein Findelhaus von ungeheuren Dimensionen, das- alle Dörfer im Umkreise gründlich korrumpirt hat. Wie so? Folgendergestalt. Es sind darin 2000 Säuglinge und 1700 Säug­ammen untergebracht. Fünfzig Kinder werden täglich ohne weiteres aufgenommen, so wie sie nur vor das Thor der Anstalt gebracht werden. Grandios, nicht wahr? Nach sechs Monaten werden sie auswärts in Kosthäuser gethan, die Pflegemütter erhalten acht Schillinge pro Monat durch fünf Jahre. Was ist nun die Folge davon? Alle Bauermädchen, die zu heirathen vergessen" haben, schicken ihre Sprößlinge in das Findelhaus, bieten sich selbst als Ammen an und stillen dann ihre, des Wiedererkennens halber vorher tätowirten Kinder, wofür sie hinterdrein noch Geld ein nehmen. Dies Manöver wiederholt manches Frauenzimmer von einem Jahr zum andern... So sind denn Unsittlichkeit und Betrug förmlich prämiirt. Die Beamten wissen das auch sehr wohl und reißen, unter sich, ihre Wize über die Anstalt, aber die Regierung geht von ihrem Prinzip nicht ab. Alexander II. errichtete in Petersburg ein riesenhaftes Spittel für durch Un­

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glücksfälle arbeitsunfähig Gewordene. Das Ganze war aber wieder durch unsinnigen Luxus so verführerisch eingerichtet, daß faule Arbeiter sich selbst verstümmelten, nur um Aufnahme zu finden. Bald wimmelte es denn von verstellten Gebrechlichen, die durch ihre in Permanenz erklärte Trunkenheit die wirklichen Kranken verscheuchten. Infolge dessen wurde eines Tages reine Wirthschaft gemacht: sämmtliche Insassen des Spittels wurden mit einigen Rubeln à Person auf die Straße gesetzt und die Anstalt in ein Irrenhaus verwandelt. Dieses hatte alsbald außerordentlichen Zuspruch und in kürzester Frist waren alle die alten Genossen- jezt als angeblich Wahnsinnige und Fall­süchtige wieder zurückgekehrt! Und dagegen war auch durch die nicht gerade sanften Heilversuche der Aerzte nichts auszurichten, denn ein Mujick"( russischer Bauer), kann schon eine gehörige Portion Doktorei vertragen, wenn es gilt, sich frei Quartier winter­über zu verschaffen." Und so ist's im Schwange bis auf den heutigen Tag, indem man sich von oben her darein ergeben hat, daß es doch wohl das beste sei, dem Dinge seinen Lauf zu lassen. Selbstverständlich liegt der Fehler in dem marktschreierisch- prahle­rischen Zuschnitte, der der Welt einen gewaltigen Begriff von der kaiserlichen Menschenliebe und Humanität beibringen soll." Privat- Wohlthätigkeitsanstalten gibt's in Rußland nicht, da kein Moskowite so thöricht ist, sein Geld in die Hände nicht zur Rechenschaft zu ziehender Personen gelangen zu lassen." So geht zwar alles, wie an sich ganz richtig wäre, vom Staate aus, nur daß er den Verhältnissen und Bedürfnissen absolut keine Rechnung trägt. Da wird also z. B. nach abstraktem Schema von oben herabdekretirt: so und so viele Armenhäuser sind zu errichten, wo und wie ganz egal! Da muß eine Stadt mit nur ganz wenig Armen ein Armenhaus bauen; wendet der Bürgermeister sub­missest ein, die Steuerzahler hätten in jüngster Zeit gar tief in den Geldbeutel für... und für... greifen müssen, so kommt gleichwohl der Bescheid herab, die Stadt bedürfe notorisch eines Armenhauses und der Bien' muß!" Geht aber der Gouver neur, der z. B. ein Spital dekretirt hat, ab, so verfällt es sofort. Zudem sind die Aerzte daselbst unwissende Quacksalber. In Rußland haben Regierungseinflüsse alle und jede selbstständige lokale Regung lahmgelegt, und wenn eine ganze Stadt vom Aussage befallen würde, es würde sich solange kein Finger rühren, bis eine Weisung von oben herabkommt."

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Sehen wir uns nach anderen Staatseinrichtungen, nach den Bildungsanstalten Rußlands um. Da wird man nun freilich sehr wenig erwarten, vielleicht aber erwartet man doch noch zu viel. Für Truppen und kaiserliche Feste ist immer Geld da, für Schulen niemals." Nun, das wäre noch nicht spezifisch russisch; das soll, bestem Vernehmen nach, vielfach anderwärts ziemlich ähnlich sein. Der Handelsstand, sich selbst überlassen, errichtete sich Privatschulen mit deutschen Lehrern, aber der Kanzler Gortschakoff erkannte die Gefahren dieses Systems und-ver­bot alle Privatschulen für den Mittelstand, da sie eine bessere Bildung gewährten als die Staatsschulen. Eine hochkultivirte Aristokratie, ein offiziell unterrichteter oder mißunterrichteter Mittel­stand und eine gänzlich unwissende, ungebildete große Menge das ist das Ideal des russischen Reichskanzlers von einem leicht regierbaren Staate." Jedem der zehn Schulbezirke steht ein Curator" vor, dessen Wissenschaftlichkeit Nebensache und dessen Höflingsmanieren für seine Wahl entscheidend sind. Dem Namen nach allmächtig, thut er doch garnichts ohne seinen akademischen Rath", der aus zwei pensionirten Professoren, drei Offizieren und einem Polizeibeamten besteht. In ihren Händen ruht das ganze Erziehungswesen, alle Gelder zu Bildungszwecken passiren ihre Hände und ein gut Theil davon bleibt auch in denselben. Will ein Ausländer eine Lehrerſtelle erhalten, so muß er vor allem gründliche Kenntnisse der russischen Geschichte besigen, deren wichtigste Punkte dahin lauten: 1) Die strategische Kunst der kaiserlichen Generale, nicht der grimmige Frost vernichtete 1812 die große Armee" Napoleons ; 2) Waterloo war ein russischer Sieg, denn der Czar war der Oberfeldherr der europäischen Koalition, Wellington somit sein Untergebener. Abgemacht, Sela! Jedem Lehrer ist nicht nur der Lehrstoff, sondern auch dessen ganz genaue Begrenzung streng vorgeschrieben, die geringste Ueber­schreitung dieser Bestimmung wird geahndet. Dorfschulen, Schöpfungen gutherziger Grundbesizer, existiren nur wenige und die Behörden sehen sie mit scheelen Augen an. Indessen begnügt sich die Regierung damit, den orthodoxesten und unwissendsten" Lehrer hinzubeordern. Bauern, die lesen können, sind daher sehr selten; ein Dorfpope thut manchmal ein Uebriges und erbarmt

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