lichten Sammlung seiner" Chansons"*), und jede Seite dieser Lebensbeschreibung bildet einen sprechenden Beweis für die edle Bescheidenheit ihres Verfassers, welche sich viele von den literari­schen Tageslöwen unserer Zeit, die so oft ihren eigenen Ruhm verkünden und durch schändliche Reklame austrompeten lassen, zum Muster nehmen sollten.

Am 19. August 1780 in Paris   geboren, ward unser Dichter zu einer Amme nach Auxerre   gebracht.

,, Die Amme hat mich im August

Sammt Geld und Windeln übernommen. Sie war gar schön und zwanzig just, Bin mit ihr nach Auxerre   gekommen, Ergeh' es hart dir oder lind:

Ade, du arm pariser Kind!"**)

So erinnert sich Béranger später dieser seiner Amme, welche ihn mit großer Sorgfalt und Zärtlichkeit behandelte und, obgleich sie sehr unregelmäßig bezahlt wurde, ihn nach drei Jahren nur mit schwerem und betrübtem Herzen an seinen Großvater zurückgab.

Dieser Großvater, ein Schneider, mein armer und alter Groß­vater," in dessen dürftiger Stube der große Dichter das Licht der Welt erblickt hatte, spielt in den Chansons Bérangers eine der liebenswürdigsten Rollen, und mit reizvoller Naivetät hat ihn der Dichter später vor allem in dem Gedicht Der Schneider und die Fee" seiner Muse, die ihn beim Großpapa einst ein gewiegt," gegenübergestellt.

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Warum er bei seinem Großpapa" und nicht im Hause seines Vaters geboren worden?

Er war eben ein arm pariser Kind", er hat seine Wiege ge­habt in dem Paris   voll Gold und voll Elend", in dem Paris  , welches er doch geliebt hat mit dem ganzen Feuer des Franzosen  , so daß er sagt: Wenn man den Ort seiner Wiege wählen könnte, so würde ich Paris   gewählt haben, welches nicht erst unsre große Revolution erwartet hat, um die Stadt der Freiheit und Gleich­heit zu sein."

Sein Vater war erst Schreiber in der Provinz gewesen und dann nach Paris   gekommen, wo er bei einem Gewürzhändler Buchhalter ward. Fast dreißig Jahre alt, dachte er sich zu ver heirathen. Ein junges Mädchen von neunzehn Jahren, lebendig, artig, gut erzogen, ging alle Morgen an der Thür des Gewürz­händlers vorüber, um sich in ein Modemagazin zu begeben, wo sie arbeitete. Dieses Mädchen war die Tochter des Schneiders Champy, welcher außer ihr noch sechs andere Kinder besaß und seinem Schwiegersohn, dem Vater Bérangers nichts als gute Rathschläge mit in die Ehe geben konnte.

Schon nach sechs Monaten verschwenderischen Zusammenlebens trennten sich die beiden Gatten. Der Vater ging nach Belgien  ; die Mutter begab sich wieder zu ihren Eltern und beklagte wenig die Abwesenheit eines Mannes, für welchen sie niemals viel Leidenschaft empfunden hatte, obgleich er gut, liebenswürdig, munter und von einem angenehmen Aeußeren war.

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Unter diesen Verhältnissen wurde Frankreichs   größter Lieder dichter bei seinem guten, alten Großvater" in der Rue Mont­orgueil, einer der unreinlichsten Straßen von Paris  , geboren. Wer hätte gedacht, daß ich die Wälder, die Felder, die Blumen und Vögel so sehr lieben würde?" erzählt der Dichter in Er­innerung an seine damalige Umgebung.

Von Auxerre   zurückgekehrt, erhielt er seitens des Großvaters eine außerordentlich liebevolle Erziehung. Béranger, schon sehr frühe von heftigen Kopfschmerzen, die ihn erst in späteren Jahren ver­ließen, geplagt, wurde nicht so bald zur Schule geschickt und suchte sich auch dann derselben soviel wie möglich zu entziehen. Seine Großeltern ließen ihn gewähren, obgleich sie beide Freunde des Lesens waren und sich sehr eifrig mit Prévôts, Raynals und Voltaires Werken beschäftigten, wie denn der Dichter von seiner Großmutter erzählt: Sie citirte ohne Aufhören Herrn von Voltaire, was sie jedoch nicht hinderte, mich am Frohnleichnamsfeste nach dem heiligen Sakrament gehen zu lassen."

Seine Mutter führte den Knaben zuweilen in die Theater des Boulevards und gönnte ihm die Theilnahme an Landpartien, aber der Knabe, der viel hörte und wenig sprach, alles, aber nicht Lesen lernte, lebte meist von ihr getrennt. Den Vater hatte er

*) Sprich, ohne die g mehr hören zu lassen, als in Schlange, Klang 2c.: Schangsong, zu Deutsch   Lieder. **) L. Seeger hat die Selbstbiographie Bérangers in seine deutsche  Uebersetzung der, Chansons" aufgenommen( 2. Aufl., 2 Bde., 1859); ich übersetze aber stets wörtlich nach dem französischen   Original.

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bis zum neunten Jahre nur ein- oder zweimal, gelegentlich seiner Durchreise durch Paris   gesehen. Zu Anfang des Jahres 1789 kehrte derselbe zurück, und Béranger wurde in eine Pension der Vorstadt Saint- Antoine geschickt, wo er zwar weder Unterricht im Lesen, noch im Schreiben genoß, aber dennoch schon die Lektüre flassischer Schriftwerke begann. Er fragt sich selbst einmal: Wie habe ich lesen gelernt? Ich habe mir darüber niemals Rechen­schaft zu geben vermocht."

Eine der lebhaftesten Erinnerungen aus dieser Zeit war für Béranger die Einnahme der Bastille, welcher er von dem Dache des Hauses aus, in welchem er damals lebte, zusah. Obgleich bei seinen Mitschülern beliebt, blieb er doch ein völlig in sich zurückgezogenes Gemüth und lehnte allein an der Gitterthür, wenn die Früchteverkäufer draußen auf der Straße den Pensionären ihr Taschengeld ablockten. Leider war ich dazu verurtheilt, sie Revue passiren zu lassen, denn ich ich hatte kein Taschengeld!" Er war eben ein ,, arm pariser Kind".

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Nicht lange blieb Béranger in der Pension der Vorstadt Saint­Antoine; sein Vater, der inzwischen Notar geworden war, hatte keine Lust mehr, das nöthige Geld für den Unterhalt des Sohnes zu zahlen, und es trat eine neue Wendung im Leben des Knaben ein.

Der neunundeinhalb Jahre alte Knabe wurde von seinem Vater, ohne vorherige weitere Anmeldung, in Begleitung einer alten Cousine nach der Stadt Peronne   geschickt, wo eine Tante Bérangers den Gasthof zum Königsschwert" hielt. Diese nimmt die Ankömmlinge in Empfang, liest den Brief, den der Vater dem Sohn als Einführung mitgegeben, und sagt endlich, sie könne sich nicht überbürden. Als sie jedoch erfuhr, wie den alten guten Großvater der Schlag gerührt habe und dieser kaum selbst das Leben fristen könne, und weitere Berichte über die Lage der Dinge, sah sie den hübschen Jungen an und besann sich eines besseren.

,, Sie drückte mich an sich," schreibt Béranger, und sagte mit Thränen in den Augen: Armer Verlassener, ich will deine Mutter sein!"

,, Niemals ist ein Versprechen besser gehalten worden."

Die Erziehung, welche diese geistig regsame und für ihre Ver­hältnisse sehr gebildete Frau dem Knaben zutheil werden ließ, ist unstreitig auf die Entwicklung Bérangers von dem bedeutendsten und nachhaltigsten Einfluß gewesen. und nachhaltigsten Einfluß gewesen. Daß sie ihrem Pflege­befohlenen lesen lehrte, daß sie bei einem alten Schulmeister für ihn Unterricht im Schreiben ermöglichte und auch seine Fertig feiten in der Zeichenkunst, für welche er außerordentliches Talent an den Tag legte, weiterzubilden bestrebt war, das will noch wenig sagen. Die Hauptsache ist, daß sie ihn mit den Werken Racines, mit den freien Gedanken Voltaires und mit anderen bedeutenden Geistern, deren Schriften sich alle in ihrer Bibliothek fanden, bekannt machte und ihm vor allem ihre eigenen sittlichen Grundsäge und republikanischen Ideen einimpfte.

Ein schreckensvolles Ereigniß unterbrach diese im ganzen heiter dahinfließende Zeit von Bérangers Aufenthalt zu Beronne: der Knabe wurde vom Blizz getroffen.... Er erwachte zwar wieder aus seiner Betäubung, aber, hatten ihn schon vorher häufige Fieberanfälle und das sich stets erneuernde Kopfweh heimgesucht, so machten die Folgen des empfangenen Schreckens dem heran­wachsenden Knaben unmöglich, seine Lehrzeit bei einem Uhrmacher, wie man bestimmt hatte, anzutreten. So bediente er denn noch eine Weile wie bisher, die Wirthshausgäste seiner Tante und verrichtete die Dienste eines Pferdeknechts.

Mit diesen Obliegenheiten vertrug sich aber bald seine kleine Eitelkeit" nicht mehr, und er begab sich zu einem Goldschmied, um dessen Kunst zu erlernen. Bald jedoch finden wir ihn in der ganz im republikanischen Sinne geleiteten Erziehungsanstalt, welche der zum Landrichter beförderte Notar Ballue de Belleeglise, ein warmer Verehrer der Prinzipien Rousseaus, in Peronne ge gründet hatte. Die Zöglinge dieser Schule sollten weniger gelehrte Studien treiben, sondern sich vielmehr zu Männern", d. h. zu wackeren Bürgern der Republik   ausbilden, und Béranger sagt selbst, daß die republikanischen Lieder ihn mehr gereizt hätten, als der Sprachunterricht. Die kleinen Leute stolzirten in Uniform einher, gewöhnten sich daran, öffentlich zu sprechen, und Béranger vor allem ist es gewesen, der hier als Präsident einer Art von Klub Reden hielt und in nationalem Pathos abgefaßte Schrift­stücke an die gesetzgebende Versammlung der Republik, an den Bürger Maximilian Robespierre   und an den Bürger Tallien  richtete. Diese Art von öffentlichem Leben, worin Béranger sich damals bewegte, war ohne Zweifel von der größten Bedeutung