Distrikt zwischen den Flüssen Raab und Leitha, urdeutsch und wird es wohl auch in der Folge bleiben trotz der moralischen Daumschrauben des Magyarenthums.

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Die bekannte österreichische Hemdärmel"-Politik trieb eine Zeitlang in der schwülen Treibhausatmosphäre der Bach'schen Reaktionsperiode die üppigsten Schößlinge, aber kaum waren die " paar" Ungarn   gehenkt, unter denen auch der jetzige Premier­minister Audrassy, zum Glück für seinen Hals nur in effigie, figurirte, so ging wieder alles seinen gemüthlichen Schlendrian.| Wegen des verhängten. Standrechts wurde zwar auf dem Lande weniger wie gewöhnlich gemordet, aber desto mehr in den Städten gestohlen, was aber die Ruhe der Beamten, vom Bürgermeister bis zum Nachtwächter, durchaus nicht störte.

Ungarn   war zu jener Zeit das Eldorado der deutschen Theater direktoren. Auch Direktor Stöckel wäre ein beneidenswerther Mann gewesen, wenn ihn das unerbittliche Fatum nicht durch die Launen einer bockbeinigen" Koloratursängerin an die Ver gänglichkeit des Glückes hienieden erinnert hätte. Vergebens versuchte er, die renitente Donna durch seine Frau zu ersetzen, denn die naiven Dedenburger meinten, Frau Stöckel- Heinefetter habe zwar viel Schule, aber keine Stimme mehr", und so war der Vielgeplagte rathlos wie zuvor.

Eines Tages erzählte mir der Polizeikommissär Kierschner, ein später durch seine schöne Frau, aber noch mehr durch seine Flucht nach Amerika   bekannt gewordener wiener Hofschauspieler, eine Räubergeschichte, die sich in Dedenburg am Neusiedler- See zugetragen hat, aber ebenso gut zu Sulmona   in den Abruzzen hätte passiren können. Ein herumziehender Musikant wurde in Gesellschaft eines Mädchens aufgegriffen. Nach einem Kreuz­verhör stellte sich wohl die Unbescholtenheit" des Mädchens her­aus, aber der Musifant entpuppte sich als ein dem Zuchthaus in München   entsprungener Häftling, auf dem der Verdacht eines Raubmordes lastete. Man spedirte ihn schleunigst zur Abstrafung nach der Heimath, um das Henkerhonorar zu sparen. Mädchen war eltern und subsistenzlos.

Das

Ich sage Ihnen, die Person singt im Gefängniß wie eine Nachtigall. Der Herr Stadthauptmann meinte, ob es nicht möglich wäre, daß sie Direktor Stöckel einmal am Theater auf­treten ließ," sagte Kommissär Kierschner zu mir.

Natürlich ließ sich der davon in Kenntniß gesetzte Direktor die fette Reklame- Ente nicht entgehen.

Die Oberösterreicherin Marie Schnaidtinger, klein und dick, war nichts weniger wie hübsch, aber anmuthig, trotzdem ihr Gesicht mehr einer ungeschälten Kartoffel, wie der Venus von Milo   glich. Sie schien das Urbild des Nandl" in der bekannten Baumann'schen Alpenszene Das Versprechen hinterm Herd", und hatte eine berückend schöne Stimme. Musikalisch wie alle Schul­meisterstöchter, studirte sie unter der Leitung der Frau Stöckel­Heinefetter Flotows Martha" in acht Tagen und erzielte damit einen phänomenalen Erfolg. Sie verschlang, sozusagen, eine Partie nach der andern und war noch im Laufe dieser Saison am Theater wie zu Hause. Natürlich kurirte sie nicht nur die Capricen der Koloratursängerin, sondern füllte auch die Theater­tasse. Der Palmsonntag zerstreut die Mitglieder eines halb­jährigen Theaters wie ein Flintenschuß die Spatzen.

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Nach Jahren war ich am gräflich Skarbeck'schen Theater in Lemberg   engagirt, in dem schönen Lande Galizien  , wo das Insektenpulver ein zwingendes Bedürfniß ist. Die ödenburger Kriminalepisode habe ich im Laufe der Begebenheiten vergessen. Wohl las ich ab und zu den Namen der Banditenbraut" in den Theaterzeitungen, aber zu Gesicht habe ich sie seit Dedenburg nicht bekommen. Deshalb war ich nicht wenig erstaunt, von ihr einen aus Krakau   datirten Brief zu bekommen, worin sie mich bat, in ihrem Benefize mitzuwirken. Da mir das Sontheim'sche Gastspiel eine vierzehntägige Abwesenheit von Lemberg   gestattete, sagte ich zu und reiste in einigen Tagen nach Krakau  . Die alte Jagellonenstadt mit der stolzen Königsburg, welche das übel­riechende Judenviertel Stradom überragt, mit den goldstrozenden Karossen der polnischen Schliachta, denen bei 17 Grad Reaumur Kälte halbnackte Bettler nachlaufen, ist sehenswerth. Auf mich machte sie den Eindruck der in Lumpen gehüllten Witwe eines Millionärs.

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Die Banditenbraut" fand ich fast unverändert. Das Salon­parfum hat den Alpenduft noch nicht verdrängt, obzwar sie in

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anderer Hinsicht merkliche Fortschritte gemacht hat. Sie stellte dem Krampus", wie sie mich zu nennen beliebte, ihren letzten" Geliebten, den Grafen Zalusfy vor, einen vor der Zeit gealterten Wüstling vom feinsten französischen   Zuschnitt. Einen größeren Kontrast wie diese zwei Liebesleute habe ich weder vor noch nach Krakau   in meinem vielbewegten Wanderleben zu beobachten Gelegenheit gehabt. Nur einen einzigen Berührungspunkt bot ihr scheinbar glückliches Zusammenleben die Innviertlerin sowie der edle Pollake foquettirten auffallend mit ihrer Frömmig­keit. Mariechen Schnaidtinger ging nie ohne ihr Gebetbuch aus. Am andern Tage lud mich der Graf zu einem solennen Hochamt in der Marienkirche und zu einem opulenten Mittagessen im Hotel de Russie ein. Ich acceptirte nur das letztere. Ich ver­gönnte mir eine stille Privatandacht nach meinem Sinn und be­sichtigte am andern Morgen den außerhalb der Stadt, unter den Kanonen der Citadelle, liegenden Kosciuskohügel. Es ist ein Denkmal des Helden von Ostrolenka  , einzig in seiner Art, aus einer Erdpyramide bestehend, welche die polnischen Frauen aus allen Gauen ihres unglücklichen Vaterlandes zusammentrugen. Nach dem Mittagessen regalirte uns Fräulein Schnaidtinger mit ein paar feschen Vierzeiligen", welche die berühmte Gallmeier auch nicht schneidiger vortragen könnte; dann fuhren wir ohne den Grafen zur Beförderung der Verdauung in einem Mieth­wagen spaziren und zwar durch die Vorstadt Piaseck zur warschauer Rogatka, an jenem Nonnenkloster vorbei, wo man einige Jahre später die arme Barbara Ubrit in Schmuz verkümmert vorfand. Als uns der Fiaker an Wielands Konditorei absetzte und wir beim schönsten Theaterklatsch Kaffee tranken, sprang plötzlich die Diva wie von einer Natter gestochen auf und lamentirte: " Jesus  , Maria und Joseph! I hab' mei Gebetbüchel ver­loren!" Was thut das Kaufen Sie Sich ein neues es war ohnehin abgegriffen." ,, Kruzi Türken, es war aber eine Hundertgulden- Banknote drin." Das ist freilich etwas anderes. Dann will ich versuchen, den Wagen, dessen gleichlautende Nummer mit meinem Geburts­jahr 37 mir aufgefallen war, wiederzufinden."

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Und richtig fand ich ihn in der Grodsker Straße am Eck der Josephskirche wieder. Auf den ersten Blick sah ich das Gebet­buch in der Sitzecke, und nachdem ich mich überzeugt hatte, daß die heilige Austria unversehrt zwischen den Gebeten schlummerte, gab ich dem erstaunten Diomedes ein reichliches Trinkgeld und kehrte in die Konditorei zurück.

Am andern Tage sangen wir Ernani  " und" Elvira" zu­sammen.

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Und wieder waren Jahre in dem grauen Strom der Ewigkeit verrauscht. Ich benugte meinen stockholmer Urlaub, um an dem Niemann'schen Tannhäuser in Berlin   Studien zu machen. Treu meiner Gewohnheit schlug ich nicht die kürzeste Tour via Stral­ sund   ein, sondern bummelte mit dem Liederkomponisten Lindblad an dem Wenner- und Wetternsee und den Trollhätta- Wasserfällen entlang nach Gothenburg  . In Kopenhagen   nahm uns Lundblads Freund, der dänische Komponist Niels Gaade, in Empfang und an seiner Seite ließen wir die zahllosen Sehenswürdigkeiten seiner Vaterstadt über uns ergehen. Im Gedächtniß behalten habe ich nur das Thorwaldsenmuseum, während die Helden und Könige längst andern Figuren im Erinnerungskabinet Platz machen mußten. Nach einer sehr anregenden Fahrt über Corsär und Kiel   ruhten wir in Hamburg  . Die sonst sehr zugeknöpften Hanseaten waren aus Rand und Band, wie die Desterreicher unter Gablenz  , von Schleswig- Holstein   zurückkehrend, auf der Heiligengeistwiese defilirten. Auch ich war unter den Bewunderern jenes berühmten Laufschrittes", mit welchem die eiserne Brigade" bei Deversee und am Danewirke blutige Lorbeeren errungen hat. Plötzlich gellt durch die Volkshymne ein Schrei und ein herkulisch gebauter Mann fällt zu Boden.

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Wie ich später erfuhr, hat ein österreichischer Offizier einem sich vordrängenden Zuschauer zufällig seinen Säbel durch den Leib gerannt. Zwei Tage später wurde der Verblichene, Opern­fänger Jbelherr, als ehemaliger bayrischer Kavallerietrompeter, von den Desterreichern mit militärischen Ehren bestattet. Als die üblichen drei Gewehrsalven über dem Grabe verpufft waren, hörte ich einige Schritte vor mir ein frampfhaftes Weinen und erkannte in der Tiefbetrübten Fräulein Schnaidtinger. Als sich