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mein Staunen über ihre vollständige Metamorphose gelegt hatte, stellte ich mich während der langathmigen Grabreden so, daß sie mich sehen mußte. Unter Thränen lachend sprang sie auf mich mit den Worten zu: Uj jegert, der Krampus!" Die auffallend fein gekleidete ,, Banditenbraut" erzählte mir, daß sie glücklich ver­heirathet sei und stellte mir freudestrahlend ihren fünf- bis sechs­jährigen Sprößling vor.

Am Abend bewunderte ich sie als Abigail in Verdi's" Nabucco  ".

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Die lärmenden Tage des Einzugs der Truppen nach dem französischen   Feldzug waren vorbei und München   laborirte an dem unausbleiblichen Festivitätskatzenjammer.

Ich saß unter den Arcaden im Café Tambosi und bewunderte die Rottmann'schen Frescolandschaften des sonnigen Italiens  , welche für mich umsomehr Interesse haben, weil ich fast all' ihre Originale aus eigener Anschauung kenne.

Den idealen Genuß störte die realistische Erscheinung eines Bekannten, Namens Schönchen. Er war seines Zeichens Ministerial­beamter und schlachtete in seinen müßigen Stunden, deren die bayrischen Ministerialbeamten seit 1870 sehr viele haben, Sänger

und Schauspieler ab, das heißt ohne Metapher gesprochen, cr war mit Respekt zu melden Rezensent.

Nach den gewöhnlichen Konversationspräliminarien, nahm er als echter Münchner   zuerst die auf aschgrauem Fließpapier ge­druckten Neuesten Nachrichten" zur Hand und fragte mich plötz­lich, ob ich eine Sängerin Namens Hain- Schnaidtinger fenne. Auf meine Bejahung zeigte er mir ihren Namen in der Sterbe­liste des Krankenhauses. Wir beschlossen, uns nach der Stunde ihres Begräbnisses zu erkundigen, die wir vergebens in den Neuesten Nachrichten" suchten, und fuhren statt, wie es projektirt war, nach Harlaching   zu Claude Lorrain's   Monument, nach dem Krankenhause. Der Verwalter blätterte in seinem Buch und sagte mit geschäftsmäßiger Kälte: Die verstorbene Frau Hain­Schnaidtinger hat weder Sarg noch Begräbniß und wird morgen früh im Kollektivwagen nach dem südlichen Friedhof verbracht, weil sich niemand dazu meldet."

Wir bestritten Sarg und Begräbniß und geleiteten sie zu Grabe.

Vielleicht hat sie der Zufall zur ewigen Ruhe an der Seite ihrer ersten Liebe, des gerichteten Raubmörders, gebettet.

Dr. Mag Traufil.

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Weltausstellungsbriefe.

VI.

sich haben, gewohnheitsmäßig ihre eigene Stimme im Innern über­täuben und schließlich garnicht mehr hören. Es ist eben bequemer, vom Strome der öffentlichen Meinung und gesetzmäßig festgestellten ,, sittlichen" Ordnung fortzuschwimmen als fortwährend durch geheime Vorwürfe geplagt zu werden, bald dies, bald das der Wahrheit zuliebe zu thun, ohne dafür materiell belohnt zu werden.

( Die Kunst auf der Ausstellung. Betrachtungen über das Wesen der Kunst als Ein­leitung. Die französische Malerei der Neuzeit. Schreckensszenen und nackende Weiber. Der moralische Niedergang der Kunst und die gebildete" Gesellschaft.) Es ist eine der schwierigsten Aufgaben für einen Schriftsteller, über Nun, weil eben die Majorität die Neigung hat, sich träge zu­Kunst und Kunstindustrie zu berichten, wenn er es ernst meint und sich sammenzuschließen, ist es um so erfreulicher, daß es immer Menschen nicht darauf beschränkt, katalogsmäßig alle einzelnen Kunstwerke aufzugegeben hat, die mit der heißen Liebe zu dem, was sie für wahr er­zählen. Zu leßterem habe ich in diesen Briefen keinen Raum, auch ist fannt haben, auch einen rücksichtslosen Willen und freudigen Opfermuth der Nußen solcher Beschreibungen, besonders bei Gemälden und Statuen, verbunden haben, und unter diesen waren und sind wieder welche, die ein sehr problematischer. Man fann wohl das Sujet des Dargestellten von der Natur mit den größten Geistes- und mechanischen Fähigkeiten näher beschreiben, aber wie die Ausstellung ausgeführt und welche beschenkt sind und einen scharfen Blick für die Bedürfnisse, Freuden und Wirkung sie unmittelbar auf den Beschauer hat, das einem Fremden Leiden der Menschen haben. Solche Leute hatten oder haben ,, Genie", und Nichtanwesenden klar zu machen ist fast unmöglich. Jedes Kunst- wie man sich ausdrückt. Da aber diese Genies doch immer Menschen wert hat eine Gesammtwirkung, die unmittelbar empfunden werden will bleiben und unter der Unvollkommenheit und Einseitigkeit der mensch­und die auf den einen diesen, auf den andern jenen Eindruck macht. lichen Verhältnisse zu leiden haben, so können sie nicht nach allen Wollte ich nun in dieser Beziehung über jedes hervorragende Bild ein Geistesrichtungen hin gleich stark wirken. Deshalb gibt es Genies in Urtheil niederschreiben, so würde der Leser eben nur meinen persönlichen der Politik, in der Wissenschaft, in der Philosophie und Religion und Geschmack kennen lernen. Das kann aber unmöglich der Zweck dieser auch in der Kunst, jeder eben unter ihnen ist der großen Menge voran­Briefe sein. Eben weil man als Berichterstatter seine persönlichen und geschritten und hat scheinbar aus göttlicher Inspiration heraus Menschen nationalen Sympathien möglichst außer Spiel halten muß, ist die und Dinge in höherer Vollendung gesehen, als sie zu seiner Zeit waren. Berichterstattung so schwierig. Gottlob gibt es aber in der Kunst Aber diese ,, göttliche Inspiration" beruht wesentlich darauf, daß der gewisse Präparate und Grundsätze, die überall anerkannt werden und Betreffende, ausgerüstet mit ungewöhnlichen Fähigkeiten, sich seinem einen Maßstab zur allgemeinen Beurtheilung der Kunstwerke geschaffen Wahrheitstriebe ganz und voll hingegeben hat, nur in und für den­haben. selben lebt und nach seinem Sinne die unvollkommene Welt zu refor­miren strebt. Es ist ihm dieses Reformwerk zum innersten Bedürfniß geworden, er kann dafür hungern, dursten und gefoltert werden und bei jedem neuen Schmerze wächst nur der Troßz in ihm, seinen Willen durchzusetzen. Er ist ein Prometheus, der gegen die zwar schließlich vergänglichen aber doch sehr zähen Satzungen der vereinigten mensch­lichen Gesellschaft ankämpft. Auf allen andern Gebieten, außer dem der Kunst, kann man unzählige Beispiele des Märtyrerthums deutlich be­zeichnen: Christus und Luther  , Bako und Galilei  , Cola Rienzi, Savonarola  , Robespierre   2c. Ihr Wirken hat so unmittelbar in das öffentliche und materielle Leben der Menschen eingegriffen, daß jeder nicht todtblinde und taube Mensch unmittelbar von ihren Leiden und Leben Kenntniß nehmen mußte.

In weiten Kreisen, die nicht direkt mit Künstlern in Verbindung stehen und dem Studium der Kunst fremd sind, glaubt man vielfach, es handle sich in der Kunst lediglich um eine Geschmackssache. Was zufällig die Majorität für schön hält, das sei faktisch schön. Wenn sich sämmtliche Künstler zu dieser Ansicht bekehren würden, würde die Kunst gar bald zu einem einfachen Handwerk, welches man erlernen kann, herabsinken. Die Quelle neuer Ideen und Anschauungen würde ver­siegen und der jetzt herrschenden reichen Mannigfaltigkeit würde schreck­liche Monotonie und Langeweile folgen. Nicht mit Unrecht bezeichnet man Malerei, Skulptur, Musik und Poesie als freie" Künste, frei in des Wortes ureigenster Bedeutung, frei von jeder menschlichen Vor­schrift, frei von jeder Tendenz, die praktischen Zwecken in unserm sozialen und politischen Leben dienstbar sein könnte, frei von jeglicher Demuth seitens des Künstlers vor der Autorität größerer Kollegen oder gelehrter Kunstkritiker und endlich auch ,, frei" gegenüber der öffentlichen Meinung. Das alles deshalb, weil die Kunst nicht auf bloßer Technik, die man mit Mühe und Fleiß erlernen kann, beruht, sondern unmittel­bar der individnellen Anschauung entspringt. Die alten Griechen be­zeichneten die Stimmung, aus welcher der Künstler heraus schafft, mit dem Worte Enthusiasmus, welches soviel wie Gottbegeisterung bezeichnet, genauer übersetzt heißt enthusiasmirt sein: des Gottes voll sein! Nach dieser poetischen Auffassung dichtet, malt und skulptirt nicht der sterb­liche, fehlervolle Mensch im Künstler, sondern ein ewiger, niemals irrender Gott, welcher sich die sterbliche Hülle eines Menschen zum zeit­weiligen Aufenthalt erkoren hat.

Und haben wir nicht alle einen ,, Gott  " in uns, der sich in der uns angebornen Liebe zur Wahrheit vornehmlich dokumentirt? Und entspringt derselben nicht die beziehungsvolle Opferfreudigkeit für das, was wir als wahr" erkannt zu haben glauben? Freilich diese Liebe zur Wahrheit wird auch bei uns allen unzählige male absichtlich und unabsichtlich verleugnet und prostituirt, wenn sie unserm materiellen Wohlsein zu schaden droht, und es ist leider Gottes wahr, daß die größte Anzahl der Menschen, sobald sie ihre Jugendzeit hinter

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Anders verhält es sich mit der Kunst. In dem Reiche der Musen wird weder von Geld und Gut, weder von politischen Rechten noch von philosophischen und religiösen Wahrheiten gesprochen, sondern hier handelt es sich um die Frage, was ist schön, was ist erhaben? Es wird gewissermaßen ein höchstes Vorbild der Form und der Geistestiefe gesucht, ein höheres als das, was wir gewöhnlichen Menschen für das höchste anerkennen. Das künstlerische Genie sieht in die Zukunft, es erblickt eine andere schönere Welt, eine, die wir uns nicht träumen lassen und die vielleicht erst nach 10,000 Jahren zur Wahrheit wird, der Künstler lebt und dichtet in dieser, und die öffentliche Meinung sagt meistens von ihm: Er ist ein Schwärmer, ein Mensch, der keine Ruhe findet, ein Plagegeist, der sich nicht zufrieden geben kann" und solche allerliebste Benennungen mehr, bis er dann plößlich ein Kunstwerk ge= schaffen hat, das uns blendet, bestrickt und wir wissen selbst nicht weshalb mit Entzücken erfüllt. So verfiel die gebildete und jugend­liche Welt Deutschlands   in einen Taumel der Begeisterung, als Klopf­stocks ,, Messias", Schillers, Räuber" und Goethes ,, Göz" erschienen. Aber nur wenige waren sich flar, welche Macht ihr Herz im tiefsten Innern erschütterte. Wir Nachlebenden wissen es jeßt, jene drei genialen Dichter hatten in die Zukunft gesehen, sie hatten edlere Freiheitsgefühle und Ideen in sich aufgenommen und sie mit Flammenschrift in ihre

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