Dichtungen geschrieben. Die Begeisterung des Dichters brannte in ihrem Werke und übertrug sich auf die große Menge.
Aber nicht jeder genial angelegte Mensch erringt solche plötzliche Erfolge, feine Kraft und Fähigkeit ist nicht groß genug, seine glühende Begeisterung so in sein Werk ganz hineinzulegen, daß jeder sie herausfühlt, er gewinnt im besten Falle nur einen fleinen Kreis von Verehrern, der sich erst allmählich vergrößert. Daher kommt es so häufig vor, daß erst die Nachwelt das wieder gut macht, was die Mitwelt absichtslos verschuldet hat. Wie oft kommt es vor, daß der Künstler längst verhungert, verdorben und gestorben ist, wenn seine Werke anfangen bekannt und bewundert zu werden. Wollen wir darüber wehflagen und seine Zeitgenossen der Hartherzigkeit und Verstocktheit gegen sein Genie anklagen? Das letztere wäre höchst unrecht, denn was können die Zeitgenossen dafür, daß des Künstlers Kunst nicht groß genug gewesen ist, sie plötzlich zu begeistern und zu seinem Schönheits ideal zu bekehren? Unser Mitleid nüßt auch dem Verstorbenen nicht viel, aber eins können wir aus den Lebensgeschichten dieser stillen Märtyrer lernen: Wir sollen nicht rücksichtslos über das Kunstwerk eines Zeitgenossen, das unserer gang und gäben Anschauung von Schönheit und Geschmack nicht ganz entspricht, absprechen, zumal wenn wir merken, daß der Künstler sich durch keinerlei Verlockung von seinem eignen Weg abbringen läßt, wenn er lieber hungert und durftet, als anders ,, dichtet" oder ,, malt". Wer weiß, ob unsere Anschauung nicht bald sich zu seinen Gunsten ändert, wenn sich unsere jezigen Verhält nisse ändern, über die er sich im Geiste schon weggejezt hatte. Und andrerseits können wir lernen, daß wir vorsichtig und mißtrauisch jene Künstler beurtheilen müssen, die sich gleich vom Beginne ihrer öffentlichen Laufbahn an der öffentlichen Gunst und Bewunderung erfreuen. Nicht jeder von ihnen ist ein Goethe, ein Klopstock, ein Schiller, sondern viele räudige Schafe sind darunter, die jedes eigne Streben, jede eigne Anschauung unterdrückt oder verlernt haben und dem Publikum zum Gefallen malen und dichten. Auch diese können erst unparteiisch von der Nachwelt gerichtet werden, welche sie nur selten zu den Genies zählt. Meistens lautet das Urtheil: Er fröhnte dem Tagesgeschmack, er buhlte um die Gunst des verständnißlosen Publikums, ist aber sehr reich dabei geworden.
Diese Einleitung zu einer Berichterstattung über die Kunstausstellung auf dem Marsfelde ist sehr lang geworden, scheinbar zu lang für das, was ich jetzt noch über das eigentliche Thema zu sagen habe. Aber ich bitte den Leser inständig, sie nicht zu überschlagen, denn durch das, was ich in ihr ausgesprochen habe, gedenke ich mein Urtheil über den Fortschritt oder Rückschritt in der Malerei und Skulptur der verschiedenen Völker zu begründen und zwar so kurz als möglich. Ich habe später noch über so vieles zu berichten, um meine Schilderung der Weltausstellung zu einer vollständigen zu machen, daß ich mit dem mir zugemessenen Spaltenraum ökonomisch umgehen muß.
Fast alle europäischen Völker, Deutschland nicht ausgeschlossen, haben Gemälde auf die Ausstellung geschickt, jedem derselben sind ein großer und zwei kleinere Säle zur Verfügung gestellt, nur die Franzosen haben sich 5 bis 6 große Salons reservirt und die Wände derselben von oben bis unten mit Bildern vollgehängt. Es ist eine beträchtliche Anzahl und vollständig genügend, um nach dieser Ausstellung den Stand der französischen Malerei in der Jetztzeit zu beurtheilen. Im Vergleich mit den andern Völkern muß man völlig zugestehen, daß die Franzosen in Zeichnung und Malerei, also in der Technik, mit den ersten Rang einnehmen. Pfuscherei sieht man nicht viel, überall offenbart sich größter Fleiß und Geschicklichkeit in der Farbengebung. Dieses Lob soll ihnen nicht vorenthalten werden, da wir in anderer Beziehung so manches an ihren Bildern auszusetzen haben. Es ist vornehmlich der allgemeine Eindruck, den der französische Künstlersalon bei Nichtfranzosen hervorruft und der außerordentlich fremdartig berührt. Es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, daß jedes dritte Bild eine Schreckensszene, jedes vierte ein nackendes Frauenzimmer darstellt. Im ersten Genre thun sich die berühmtesten Historienmaler Frankreichs , Robert Fleury , Laurens, Cabanel 2c., besonders hervor, mit unerschöpflicher Neugierde blättern sie immer wieder in dem Buch der Geschichte und suchen nach den schändlichsten Scheusalen in Menschengestalt, nach den furchtbarsten Verirrungen, in welche die Menschen verfallen, um die selben im Bilde zu glorifiziren. Glorifiziren? Nein, das ist ein schlechter Ausdruck, denn ich nehme zur Ehre der Maler an, daß sie in einem Nero, welcher sich an den Qualen eines Vergifteten weidet, einem Inquisitor, der unschuldige Juden lebendig verbrennen läßt, oder einem Tyrannen, der zu seinem Bergnügen Männer foltern und unschuldige Jungfrauen schänden läßt... keine Ursache der Glorifikation sehen, im Gegentheil, sie wollen durch ein schmachvolles Andenken, welches ihre Bilder hervorrufen, die Tyrannen gewissermaßen post festum bestrafen. Aber das letztere ist doch nur Vorwand, denn die Art und Weise, wie die Bilder gemalt sind, läßt leider deutlich genug erkennen, daß sie nicht ernstlich zu Gericht über die Abscheulichkeiten verthierter Menschen sißen, die historischen Vorgänge sind ihnen nur ein bequemer Vorwand, um überhaupt nervenanreizende Szenen darzustellen. Und zu welchem 3wed? Ist es wirklich ein edles Gefühl, welches in dem Beschauer erwacht, wenn er jemanden abgebildet sieht, der sich in Folterqualen windet oder bei lebendigem Leibe gekreuzigt und von Geiern angefressen wird? Kommen uns erhabne schöne Gedanken, wenn wir schöngeformte, reizende Mädchengestalten auf einem orientalischen Markt wie Bieh
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| untersuchen und verschachern sehn? Ich bezweifle das und bin auch der Ueberzeugung, daß die Maler solcher und vieler ähnlicher Szenen nicht voraussetzen, die Beschauer in edler Weise begeistern zu wollen. Es erwachen wohl die bessern Gefühle des Mitleids und des Abscheus in uns, aber selbst diese haben in unserer Zeit, wo Tyrannei und orientalischer Despotismus doch, gottlob, bedeutend abgeschwächt sind, kaum mehr Berechtigung. Wir sagen uns einfach: früher konnten solche Grausamkeiten und Gemeinheiten vorkommen, jetzt sind wir sicher vor ihnen. Weshalb also Abschen und Mitleid vor wesenlos gewordenen Schemen vergeuden und uns selbst unbehaglich stimmen, zumal wir in unserm täglichen Leben genug des Elends anderer Art haben. Wenn wir im Reiche der Kunst umhergehen, wollen wir uns im Kampfe um's Dasein ein wenig erholen oder uns erfrischen an herrlichen Vorbildern und Idealen der Künstler. Was sollen uns also diese aus dem Moder der Geschichte hervorgesuchten Schändlichkeiten?
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Nun, wenn immer und immer wieder hier in Frankreich solche Bilder gemalt werden und das Publikum sich darnach drängt, sie zu sehen, so muß doch wohl noch irgend ein anderer Reiz in ihnen liegen, und dieser Reiz besteht in einem Appell an diejenige Seite der menschlichen Natur, die insgemein die bestialische, resp. thierische genannt werden kann. Der Mensch ist ein wunderliches Gemisch aus Edlem und Gemeinem, seine Empfindungen und Begierden streben bald nach dem Guten, bald nach dem Schlechten, er ist ,, halb Engel, halb Thier", und so sehr sich auch die besten unter uns bemühen, das Gemeine und die unlauteren Gefühle und Begierden abzuschütteln, es gelingt ihnen niemals ganz. Neunundneunzig Verlodungen widersteht der Gute oft und bei der hundertsten fällt er in ,, Schwachheit des Fleisches", wie die Bibel sehr wahr sagt. Bei einigen ist es die Geldsucht, welche sie verleitet, ihren Ueberzeugungen untreu zu werden, bei andern sind es Zorn und Troß, die zu Ungerechtigkeiten anspornen, wieder bei andern die Trägheit, die das Elend der Menschenbrüder gleichgiltig mit ansehen kann und die sich sogar daran so sehr gewöhnen, daß sie es ganz natürlich finden, wenn sie materiell sich auf Kosten anderer, die unglücklich sind, wohlbefinden. Es schlummern aber vornehmlich in uns allen gewisse sinnliche Begierden, die sich so steigern können, daß sie Ursachen der abscheulichsten Grausamkeiten werden können. Ich spreche nicht von der gesunden geschlechtlichen Lust, die einem normalen Menschen wohl ansteht, ich spreche von der Ausartung derselben, die sich in unnatürlichen Lastern, Schadenfreude und Grausamkeit häufig genug Luft gemacht haben. Sie treten ein es ist geschichtlich und wissenschaftlich beglaubigt, wenn der Mensch nicht alle seine Fähigkeiten, Sinne und Geistesbestrebungen gleichmäßig ausbildet. Solch' ein Mensch ist wie eine Pflanze, der von drei Seiten Licht und Luft fehlen und die nun nach der vierten Seite hin geil emporschießt. Hier in Paris kann man Studien in dieser Beziehung machen, wenn man die reichen, verzogenen Muttersöhnchen, die seit ihrer Geburt die lieben langen Tage nichts zu thun gehabt haben, mit ihren Maitressen und Kokotten umherspaziren sieht und hört, wie sie sich körperlich in einem ausschweifenden Leben zugrunde richten. Laßt uns nicht zu streng über diese Menschen abIhre Eltern haben sie zum Müssiggang erzogen, niemals sind sie ernstlich dazu angehalten worden, sich geistig oder mechanisch zu beschäftigen, und die Folge war, daß sie mit desto größerer Lebenskraft sich auf die Befriedigung ihrer sinnlichen Begierden warfen. So taumeln sie von Tag zu Tag mehr in die thierische Natur hinein und werden bereits im frühesten Mannesalter abgelebte Lüftlinge. Solche Leute waren es, die im alten Rom die Gladiatorenspiele abhalten ließen und die gesunde Masse des Volkes ankränkelten. Die bestialische solche Menschen schließlich Blut sehen, um noch etwas wie Lebenslust Natur entwickelt sich immer mehr und wie Raubthiere müssen auch und Lebensfreude fühlen zu können. Und je abgeſtumpfter ihre zerrütteten Nerven werden, desto mehr verlangen sie nach schändlicherer Augen- und Ohrenweide. Die schmerzverzerrten Züge der Gefolterten, höchsten Genuß geworden, alle Liebe und alles Streben nach Wahrheit das Angstgeschrei unschuldig Verfolgter und Geschändeter ist ihnen zum und Edelmuth ist in ihnen gestorben.
urtheilen.
Ich komme wieder auf die von französischen Malern zahlreich an gefertigten Darstellungen von Grausamkeiten zurüd und frage noch einmal, welchen Reiz können dieselben auf das ganze Publikum aus üben? Man halte mich nicht für einen philisterhaften, einseitigen Sitten- und Tugendpriester, wenn ich antworte, daß dieser Reiz im Rizel unserer bestialischen Natur beruht. Ach, wir lassen uns alle sammt und sonders gern einmal von dieser Seite anreizen, wir sind nicht in jedem Augenblick so stark und aller unserer Sinne mächtig, um bei der Verlockung ruhig zu bleiben oder uns kaltblütig abzuwenden. Hätte die Sünde nicht einen geheimen, undefinirbaren Reiz, es gäbe keine mehr auf Erden, das ist sicher. Wir haben uns noch nicht ganz aus der thierischen Natur herausgearbeitet und, wenn wir vor einem Bilde der erwähnten Sorte stehen, so regt sich etwas in uns wie Wollust, grausame Lust und Schadenfreude. Es ist gut, sich das selbst offen zu bekennen und uns nicht selbst zu betrügen, indem wir uns einbilden, erfüllt zu sein. Was die letztere betrifft, so haben nur wenige ein nur von ,, sittlichem Abscheu" oder Bewunderung vor des Malers Talent wirklich maßgebendes Urtheil und eine richtige Erkenntniß, ob der Künstler besser oder schlechter gemalt hat. Wie gewöhnlich ist es, daß vortrefflich gemalte Darstellungen langweiliger Borgänge und Personen gleichgiltig vom Bublikum übersehen werden, während intereffante