-551

Sujets in minder guter Ausführung Staunen und Bewunderung hervor­rufen! Nein, ich halte nicht viel von jenem Abscheu und jener Be­wunderung der Leute, denen man es an den Augen ansehen kann, wie gierig sie die angstvollen Mienen einer gefolterten Here betrachten. Und was soll man zu den Künstlern sagen, die solche Bilder mit Vorliebe malen? Ich verweise auf meine Einleitung, hohe, erhabene und edle Gefühle und Gedanken können es jedenfalls nicht sein, die sie zur Produktion aneifern; ich will damit nicht sagen, daß sie selbst an den dargestellten Schändlichkeiten geheime Lust empfinden, aber was vielleicht ebenso schlimm ist, sie wissen, dem Publikum gefällt dieser Kizel, diese geheime Anreizung sinnlicher und thierischer Begierden und, indem sie dieselben befriedigen, gewinnen sie Ruhm und Geld. Die freie" Kunst ist ihnen zur ,, Milchkuh, die sie mit Butter versorgt", geworden, wie Schiller   sagt.

"

Nochmals hebe ich hervor, damit man mich nicht der Ungerechtig­keit zeihe, daß die technische Vollendung der Bilder bei den Franzosen eine große ist. Aber darf diese uns die schmähliche Tendenz vergessen laffen? Niemals.

Aehnliche Betrachtungen, wie die vorangehenden, ließen sich über die ebenfalls so zahlreich vertretenen sogenannten ,, weiblichen Studien" anstellen. Wo man hinblickt in den französischen   Sälen: nackende Frauenzimmer! Wunderbar schön gezeichnet, wunderbar schön gemalt, aber nur einige wenige erregen wahrhaft edle Bewunderung. Was gibt es Herrlicheres in der plastischen Schönheit als ein blühender Mädchenleib? Kein gesunder und edler Mensch braucht den Blick von einem solchen abzuwenden, denn nimmermehr wird ihm derselbe un­lautere Empfindungen einflößen. Hier wird wirklich das Wort wahr: Dem Reinen ist alles rein. Wem bei diesem Anblick sofort andere Gedanken, als die der Bewunderung der herrlichen Formen, kommen, der trägt selbst das Unreine hinein. Für alle Zeiten wird die bildliche Nachbildung des menschlichen Körpers eine der edelsten Aufgaben der Kunst bleiben!

Aber wieder muß ich mit Bedauern konstatiren, daß die fran­ zösischen   Maler sich im allgemeinen nicht darauf beschränken, keusche und unschuldige Bilder zu malen. Ihre Weiber tragen die Gesichts­züge der Kokotten, sie nehmen auf rothen Canapés die Posen von Prostituirten an und ihre Blicke funkeln uns verlockend entgegen. Wo sieht man doch diese frechen Blicke? Man gehe des Abends in die Theater und kokettire mit den dekollettirten Operettensängerinnen auf der Bühne oder mit der Demimonde in den Logen. Das sind die Originale, welche den Künstlern zum Modell fizzen.

Ich fürchte fast, unfreiwillig in den Ruf eines Sittenpredigers zu kommen! Aber da fällt mir ein: ist es denn so nuglos, in dieser Zeit etwas auf Moral und Sitte zu halten und von ihr zu erzählen? Ich fürchte fast, denn wenn ich mir die sogenannte civilisirte und gebildete Gesellschaft Europas   etwas näher betrachte, so scheint mir alles Pre­digen umsonst zu sein. Unmoral ist bei ihnen Sitte und ,, sittliche" Ordnung geworden, und dem arbeitenden Volke Moral in's Gewissen zu predigen, mag dann und wann, bei gewissen Vorgängen, ganz in der Ordnung sein, aber im allgemeinen raubt ihnen die Arbeit Zeit und Lust, unmoralisch zu sein. Die Umkehrung des Sprüchworts: Müssiggang   ist aller Laster Anfang" ist hier am Plaze.

" 1

Und trotzdem ist es von hohem Werth, darauf hinzuweisen, daß die moderne Kunst in moralischem Niedergange ist, denn, wenn die Anfäulniß in Frankreich   auch am deutlichsten zutage tritt, kein Volk und auch wir Deutschen   nicht, kann sich frei von derselben sprechen. Die sogenannte ,, moderne" Gesellschaft ist schnell gealtert. Indem sie duldet, daß der einzelne in gewisser Freiheit, die das Geld verleiht, sich seinen egoistischen Begierden voll und ganz hingeben kann, impft sie sich selbst den Keim der todtbringenden Krankheit ein, an welchem sie langsam dahinsterben wird, ihr Erbe einem gesündern, jetzt noch von ihr geknechteten Geschlecht hinterlassend. Man beschuldigt die sozial­demokratischen Anwälte und Aerzte des Volks, daß sie eine blutige Revolution, Mord und Todtschlag wollen. Wenn die moralisch kranke Gesellschaft nur wüßte, wie frank sie wirklich ist, dann würde sie sich auch an den Fingern abzählen können, daß sie, wenn auch zehnmal zum Tode verurtheilt, doch eher sterben wird, als die Exekution statt­finden kann.

In welchem Stadium die moralische Krankheit bereits ist, erkennt man sehr deutlich an ihren Symptomen in der Kunst, und um diese etwas näher kennen zu lernen, dazu ist die internationale Kunst­ausstellung hier in Paris   wie geschaffen.

Im nächsten Briefe werde ich noch auf die Malerei und Skulptur der anderen Völker zu sprechen kommen und auch auf einiges hinweisen tönnen, welches erfreulicher ist, als die allgemeine Tendenz in der Kunst.

Kade.

Die Mopsfledermans.( Bild Seite 544.) Nach einer slavischen Sage wird der Streit zweier erbitterter Gegner nicht durch den Tod des einen geendet. Der Todte liegt als Vampyr unverweslich im Grabe, tritt allnächtlich an's Lager des überlebenden Feindes und sucht ihm das Blut auszufangen, bis dieser die Leiche aus dem Grabe reißt und ihr das Herz durchsticht. Zu dieser gräßlichen Fabel hat ein un­schuldiges Flatterthier, Vampyr genannt, welches in die Fledermaus­familie Phyllostoma spectrum gehört, Veranlassung gegeben. Nichts Häßlicheres tann es geben, als den Gesichtsausdruck dieses Geschöpfes,

wenn man dasselbe von vorne betrachtet. Die großen, lederhäutigen, weit von den Kopfseiten abstehenden Ohren, der speergleiche, aufrecht­stehende Nasenbesatz, die funkelnden, kleinen schwarzen Augen, alles dies vereinigt sich zu einem Ganzen, welches an einen der verschiedenen Kobolde der Märchen erinnert. Kein Wunder daher, daß das einbildungs­reiche Volk ein so abstoßendes Geschöpf mit so dämonischen Begabungen ausgestattet hat. Der Vampyr aber ist eine der harmlosesten Fleder­mäuse und seine Unschädlichkeit allen Uferbewohnern des Amazonen­stromes( Südamerika  ) bekannt, da er an's Blutsaugen nicht denkt, sondern sich ausschließlich von Kerbthieren nährt. Unsere heimische Ab­art, die Mopsfledermaus, Synotus barbastellus, ist zwar auch nicht mit Liebreiz überschüttet, aber doch nicht so abschreckend häßlich, wie ihre südamerikanische Stammverwandte. Die über dem Scheitel mit einander verwachsenen Ohren und die eingedrückte Nase verleihen dem Gesichte einen komischen Mopscharakter. Die Flügel kennzeichnen sich durch ihre Schlankheit und Länge; das Spornbein an der Ferse des Hinterfußes trägt einen abgerundeten, nach außen vorspringenden Haut­lappen. Der Schwanz ist etwas länger als der Leib. Unser Bild zeigt uns die Mopsfledermaus in natürlicher Größe. Die Oberhaut des Pelzes hat dunkelschwarzbraune, die Unterseite etwas heller grau­braune, das einzelne Haar an der Wurzel schwarze, an der Spize fahlbraune Färbung; die dickhäutigen Flughäute und Ohren sehen schwarzbraun aus. Die Mopsfledermaus ist von Lappland   bis Sizilien  und vom Ural   bis Gibraltar   verbreitet und steigt bis zu den höchsten bewohnten Punkten der Alpen  , den Sennhütten, empor. Am Tage verbirgt sie sich in Mauerrißen und Felsspalten, um, wenn kaum die Dämmerung begonnen, Dächer, Waldränder und Gebüsche nach Kerb­thieren abzujagen. Mit der Schnelligkeit ihres Fluges kann nur die Schwalbe konkurriren. Während des Winterschlafes hängt die Fleder­maus an den Hinterbeinen mit dem Kopf nach unten, in Höhlen, Berg­werken, Kellern und Kasematten. Bei gelindem Wetter unternimmt sie in ihren Herbergen fürzere Ausflüge und jagt dann namentlich auf Schmetterlinge, welche hier ebenfalls überwintern. Mit der Nachteule, dem Kater und der Natter gehörte sie vor nicht gar langer Zeit zu dem unvermeidlichen Apparat der Herenküche. Hoffentlich wird die zunehmende Aufklärung der unsinnigen Verfolgung dieses nüß­Dr. M. T. lichen Insektenvertilgers ein baldiges Ende bereiten.

Die drei Eren.( Bild Seite 545.) Als in vorgeschichtlicher Zeit der Mensch gezwungen war, den schmalen und beschwerlichen Saum­pfad über die höchsten Bergrüden zu leiten, weil Urwald und Sumpf die Thäler unseres Erdtheils unwegbar machten, da waren die Flüsse die einzigen Verkehrsadern des mattpulsirenden Völkerlebens. Deshalb die hohe Wichtigkeit, die von altersher der Donau   und dem Rheinstrom gezollt wurde. Das meilenbreite Thal des Oberrheins, umragt von den Felsenmauern des Kaiserstuhls, des Schwarzwalds und der Vogesen  , war ein beliebter Kampfplatz der Kelten, Germanen und Römer, welch' lettere, um die Rheinlinie gegen den steten Andrang der Germanen behaupten zu können, die Kolonien Straßburg  , Mainz   und Köln   nebst einer zahllosen Menge anderer Castra  ( befestigte Lager) gründeten. Doch auch später, als sich die Franken durch Verschmelzung mit den Galliern und Römern zu Franzosen, und die Allemannen durch den Zusaß der Völkerwanderung zu Deutschen   entpuppten, schlugen sie sich hier mit großer Vorliebe ihre französischen und deutschen Schädel ein. Alle die stolzen Bauten, welche die formenreichen Höhen der Vogesen  frönen, ob es weithinschimmernde, bewohnte Schlösser oder moos­begrünte und epheuumrankte Ruinen sind, haben uns in ihren Mauern, deren Mörtel mit Menschenblut befeuchtet worden, die Geschichte der Römer und Merovinger, die Greuel des Faustrechts und die Mord­brennertaktik des großen" Ludwig aufbewahrt. Auch unser Bild, die drei Eren" genannt, zeigt uns ein solches sturmzerfetztes Blatt der Weltgeschichte. Die drei Thürme Dagsburg, Wahlenburg und Wekmund genannt, erheben sich als Symbol der Vergänglichkeit über dem freundlichen elsässischen Städtchen Egisheim und sind die letzten Reſte des stolzen Stammsizes der Grafen Egisheim- Dagsburg, und die Wiege eines der wenigen Deutschen  , der die steile Höhe in Rom  , Petri Stuhl am Fischerring genannt, erflommen hat. Ein Graf Egisheim­Dagsburg wurde nämlich als Papst Leo der Neunte mit der Tiara gekrönt. Glücklicherweise hat der Zeitenstrom den Junker und Pfaffen verschlungen, und sein ehemaliger Leibeigner erfreut sich eines menschen­würdigen Daseins und sieht in dem zerbröckelnden Bollwert seiner Beiniger nur eine romantische Zierde seiner grünenden Fluren. Die , Drei- Eren"-Ruine bietet mit dem nahen Ruffach, dem Rubeacum der Römer, und dem merovingischen Schlosse Isenburg einen lohnenden Dr. M. T. Ausflug der Kolmar  - Baseler Eisenbahntour.

"

" 1

Wandlungen der Christuslehre. Der Gründer des Christen­thums hat bekanntlich nichts Schriftliches über die Organisirung seiner folgenschweren Schöpfung hinterlassen. Im apostolischen Zeitalter be­schränkte sich die Liturgie bei den geheimen Zusammenkünften seiner Anhänger auf Absingung von Hymnen und den Empfang des Abend­mahls. Im Jahre 129 segnete der Presbyter Polykarpus von Antiochien das Wasser, womit sich die Gemeinde beim Aus- und Eingang in die Kirche besprengte, und so entstand das Weihwasser. Die eingeriffene Simonie unter den Christen rief im Jahre 157 die kirchliche Buße in's