555

Der erste Feldzug der Türken auf europäischem Boden.

Von H. Hannemann.

Bis zum 14. Jahrhundert waren die Türken nur auf Klein­ asien   beschränkt gewesen, trugen sich jedoch schon seit langer Zeit mit dem Gedanken, nach Europa   hinüber zu gehen und sich hier festzusetzen. Dieser Gedanke sollte unter Ur- khan, welcher Sultan  als der eigentliche Gründer der osmanischen   Macht zu betrachten ist, zur That reifen. Er hatte nach dem Tode seines Vaters Osman( woher der Name Osmanen") im Jahre 1326 den Thron bestiegen, in Brussa seine Residenz aufgeschlagen, den Titel " Padi- schah"( beschützender Herrscher) angenommen und das Thor seines Palastes Die hohe Pforte" genannt. Im darauf folgenden Jahre eroberte er Nikomedia und vermählte sich mit Irene, der jüngsten Tochter des griechischen Kaisers Johannes Kantakuzenos  . Durch diese Heirath glaubte er Ansprüche auf den byzantinischen Thron zu haben, um dessen Alleinherrschaft Kantakuzenos   und Johannes Paläologos sich stritten.

Ur- khan benutzte die Streitigkeiten der beiden griechischen Herrscher, um 1330 durch List die wichtigste byzantinische Grenz­festung Nitäa sich anzueignen. Nachdem er im Verlaufe der nächsten 18 Jahre ganz Bithynien   und die diesem Reiche benach­barten Landschaften erobert, sandte Ur- khan seinen ältesten Sohn Suleiman ab, um einen Uebergang nach Europa   zu versuchen. Der junge Prinz hatte sich bereits durch glänzende Thaten einen berühmten Namen gemacht. Mit achttausend auserlesenen Kriegern und begleitet von den tapferen Fürsten Atsche, Gassifassil, Jäkubsch und Mihal, verließ Suleiman im Sommer des Jahres 1359 die osmanische Residenz Brussa. Es war am Mittag des 23. September, als er in der Nähe der Meerenge der Dardanellen anlangte. Hier, auf den Ruinen des alten Troja  , auf dem Berge Jda, richtete er an seine Truppen folgende Worte:

" Soldaten und Freunde!

" Wir stehen auf den Trümmern jener stolzen Veste, um deren Besitz die listigen Griechen und die ehrgeizigen Dardaner ( Teutonen) sich zehn Jahre lang gezanft, wo die größten Feld herren und Kaiser himmelauflodernde Opfer gebracht. Dort liegen die sonnebestrahlten Hügel Europas  , des Landes der Ungläubigen; hier vor euch befindet sich die kleine Meerenge, der Hellespont  . Wir werden sie überschreiten. Allein bevor wir dies thun, wollen auch wir die Vorsehung durch ein Opfer uns günstig stimmen. Allah und der große Prophet werden uns dann beschirmen und uns den Sieg verleihen über die Schaaren der Ungläubigen!"

Nachdem dem Befehle des Prinzen Folge geleistet und sämmt liche Krieger festlich bewirthet worden, setzte man den Marsch nach der Seeküste fort und bezog ein Standquartier auf den Marmor­trümmern des alten Kyzikos( ießt Chizico). Da laut Befehl des griechischen Kaisers die Ueberfahrt mit einem Boote nach dem jenseitigen Ufer bei Todesstrafe verboten war, verfiel Suleiman auf ein höchst einfaches Mittel. Er ließ zwei geräumige Flöße von langen Cedernbäumen bauen und auf dieselben eine Menge Ochsenblasen legen, welche mit den Hälsen aneinander gebunden wurden. Dieses seltsame Fahrzeug bestieg er mit achtzig seiner entschlossensten Waffengefährten, fuhr in der Stille der Nacht über die schmale Meerenge und langte glücklich unfern dem Städtchen Mekra, dicht bei der kleinen Festung Jannah( Hanni) an. Hier stießen sie auf einen des Weges kommenden Fischer, welcher, durch eine ihm zugesicherte Geldsumme verführt, ihnen einen in die Festung führenden unterirdischen Gang nachwies. Derselbe war unbewacht, wie überhaupt auch in der Festung alles im tiefsten Schlafe lag.

Suleiman bemächtigte sich daher ohne Schwertstreich der ganzen Stadt und versprach den überraschten Einwohnern nicht allein ihre Freiheit, sondern auch noch ansehnliche Geschenke für den Fall, daß sie seine am jenseitigen Ufer harrenden Krieger überfahren würden. Sein Befehl wurde erfüllt, und schon nach wenigen Stunden, als kaum der Tag graute, hatte der kaiserliche Prinz mit seinem achttausend Mann starken Heere festen Fuß gefaßt auf europäischem Boden; ein ewig denkwürdiger Augen­blick in der großen Welt- und Kriegsgeschichte!

Am folgenden Morgen nahm Suleimans   oberster Feldherr, Atsche- Beg, bereits das hochgelegene, bisher für unüberwindlich gehaltene Schloß Ajasolonia ein. Seit dieser Zeit führt die

ganze Umgegend des letzteren bis auf den heutigen Tag den Namen Atsche- Owasi( Atsche's Gefilde).

Der nächste Zug Suleiman- Paschas galt der eigentlichen Vormauer von Europa   und dem Schlüssel des Hellespont  , der starken, mit Weinreben umpflanzten" Festung Gallipoli( nach damaliger Aussprache Kalliopolis), welche er noch in demselben Jahre, anfangs Dezember, eroberte.

Als der griechische Kaiser Johannes Paläologos die Nach­richt von der Einnahme dieses wichtigen Platzes erhielt, äußerte er in unbegreiflichem Stumpfsinu die Worte:

" Bah! Was haben die Türken denn gewonnen? Nichts als einen Schweinestall und höchstens eine Kanne Wein!"

Mit der Einnahme Gallipolis hatten sich indeß die Türken einen festen Halt in Europa   gesichert, aus welchem sie niemals wieder verdrängt werden konnten.

Weitere Eroberungen folgten. Während Suleiman fast spielend die am Bosporus   liegenden festen Plätze Malgara und Ipsalam bezwang, hatte auch Ur- khans zweiter Sohn, Murad, seinen Uebergang nach Europa   bewerkstelligt. Er eroberte zu Anfang 1360 kurz nacheinander die in der Nähe Konstantinopels   liegenden Städte Epibatos, Tyrilos( Tschorlü) und Pyrgos, deren Ein­wohner er sämmtlich niedermezzeln ließ, und kehrte dann, mit reicher Beute beladen, nach Asien   zurück. Suleiman hingegen blieb in Europa  , drang in Rumilien  , Makedonien   und Thrakien  vor und schlug endlich die Bulgaren  , welche das griechische Kaiser­thum bedrohten, in die Flucht.

-

Aber der Vernichter alles Jrdischenberichtet der arabische Historifer Schät- Emir hatte dem Leben des tapferen und überaus menschenfreundlichen Prinzen ein frühes Ziel gesetzt.

Er pflegte alle drei Tage eine feierliche Heerschau über seine tapferen Kriegsleute abzuhalten. Dabei ritt er vor den Reihen der Braven auf und ab, welche letzteren dann auf ein von ihm gegebenes Zeichen ihre Schilde aneinanderschlugen, die Wurf­spieße warfen, die Pfeile abschossen und das Schlachtgeschrei an­stimmten.

" Eine solche Heerschau hielt der erlauchte und siegreiche Prinz auch am 20. des Monats Schewal des Jahres 762( 25. Oktober 1360) in den romantischen Gefilden dicht vor Filippoli.ab.

" Da geschah es denn, daß plötzlich ein Hase vor dem muthigen Rosse des Herrlichen aufsprang. Es lief mit ihm davon, streifte in unaushaltsamem Laufe ihm den rechten Schenkel gewaltig an einem großen Stamm und warf seinen tugendreichen Gebieter mit dem Kopfe an einen Felsen.

Und der Schönste der Schönen, der Tapferste der Tapferen war todt und schaute das Licht der goldstrahlenden Sonne nicht mehr. Bei Gott, es gab keinen zweiten wie er in der Welt!" ( Wallahi ebbederu ma- kân- fi- sch seihu fil dunnje!)

Die Kunde von dem plötzlichen Tode seines geliebten Sohnes, auf den er so glänzende Hoffnungen gebaut, traf Ur- khan, als er gerade einen neuen Tempel in Brussa besichtigte. Der Padischah wurde dadurch so ergriffen, daß er nach wenigen Tagen seinen Geist aufgab.

-

,, Und der erhabene Padischah Ur- khan starb erzählt Schät­Emir weiter- am 27. des Monats Dsü'r hedsche des Jahres 762 ( 22. Dezember 1360), beinahe zwei Monate nach Verunglückung seines Sohnes Suleiman. Er hinterließ sein Reich seinem Sohne Murad, nachdem er, wie Sädi es ausgerechnet, 70 Jahre gelebi und die Hälfte davon regiert. Er war gnädig, tapfer, gerecht, freigebig, liebte die Armen und linderte ihre Noth und schätzte die Gelehrten seines Reiches. Unter den Herrschern war er der erste, welcher Mestschide( Moscheen), Dschami  ( Moscheen 2. Ranges). Medrese( Schulen), Imarets( Schulen 2. Ranges) gestiftet. Er hatte ein rothes Angesicht, große blaue Augen, gelbliche Haare, eine mittelmäßige Länge des Körpers und dabei einen starken Leib."

Ur- khan wurde nebst seinem geliebten Sohne Suleiman in dem von ihm selbst prachtvoll erbauten achteckigen Grabmal zu Brussa neben seinem Vater Osman beigesetzt. Dasselbe bildet noch heute das Ziel der Wallfahrten frommer Pilger, welche au den mit kostbaren Teppichen geschmückten Särgen Gebete aus dem Koran   murmeln.