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Ein Dichter aus dem Volk und für das Volk.

Von H. Bifferklee.

( Fortsetzung.)

Trotz des heiteren geselligen Lebens, welches Béranger die Dürftigkeit seiner Lage nicht so sehr fühlen ließ, nahmen doch Noth und Elend immer mehr zu. Die Entbehrungen, welche er sich auferlegen mußte er erzählt, daß er damals vorzugsweise von Brot und Käse gelebt, verschlimmerten noch mehr seine ohnehin schon angegriffene Gesundheit. Béranger war von einem schwächlichen Körperbau, und er sagt, daß er in jenen Tagen so mager und bleich ausgesehen habe, daß sein Vater ihm ohne Ende wiederholt: Du wirst nicht lange mehr leben. Ich werde dich bald begraben."

" Darüber betrübten wir uns aber weder der eine, noch der andere," fügt der Dichter wieder höchst charakteristisch hinzu.

Nur mit Mühe hatte er sich der Aushebung zum Militär entzogen, wobei ihm besonders seine bereits im Alter von drei­undzwanzig Jahren eingetretene Kahlköpfigkeit zu statten fam. Schon hatte er seither zahlreiche Dichtungen geschaffen, von der politischen Satire zu Oben und Idyllen, vom Lustspiel zum epi­schen Gedicht übergehend, ohne daß ihm dadurch sonderlicher Gewinn geworden wäre, und er sehnte sich nur, um wenigstens seinen Lebensunterhalt verdienen zu können, nach einem kleinen Aemtchen". Aber wie sollte er zu einem solchen gelangen? Jedenfalls mußte das sorglose Dahinleben aufhören; es war nothwendig, einen entschiedenen Schritt zu thun.

Meine Garderobe", schreibt Béranger, setzte sich zusammen aus drei schlechten Hemden, welche eine liebe Hand auszubessern bemüht war, aus einem ärmlichen, sehr abgeriebenen Ueberrock, aus Beinkleidern, welche auf dem Knie durchlöchert waren, und aus einem paar Stiefeln, welche meine Verzweiflung waren, weil ich, wenn ich sie reinigte, jeden Morgen eine neue defekte Stelle fand."

In dieser Lage sandte Béranger zu Beginn des Jahres 1804 ein Packet Gedichte an den als Beschützer und Freund der Wissen­schaften und Künste bekannten Bruder Napoleons   I., Lucian Bonaparte, ohne irgend jemanden von diesem nach so vielen anderen Bemühungen unternommenen Versuche etwas mitzutheilen. " Zwei Tage vergingen ohne Antwort. Eines Abends ver­gnügte sich die alte Freundin, welche ich gehabt habe, die gute Judith, mit der ich meine Tage beendige, damit, mir die Karte zu schlagen, und sagte mir einen Brief voraus, welcher mir Freude bringen werde. Trotz meines geringen Glaubens an das Wissen der Mademoiselle Lenormand), empfand ich bei dieser Vorher sagung einen Beginn der Freude, welche Judith mir ankündigte: die Armuth ist abergläubisch. Zurückgekehrt in mein Loch, schlief ich ein, vom Briefträger träumend. Aber wenn ich erwachte: Lebt wohl, ihr Träume! Die zerrissenen Stiefeln kamen mir vor die Augen, und es war sehr nöthig, daß der Enkel des Schneiders seine alten Beinkleider ausbesserte.

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" Die Nadel in der Hand, überdachte ich eben einige sehr menschenfeindliche Verse, als meine Thürhüterin athemlos herein­tritt und mir einen Brief mit einer unbekannten Handschrift über­gibt. Bers, Nadel, Beinkleider, alles entfällt mir; in meiner Aufregung wage ich nicht, das Sendschreiben zu entsiegeln. Endlich öffne ich es mit zitternder Hand: der Senator Lucian Bonaparte hat meine Verse gelesen und er will mich sehen!.... Junge Poeten, welche sich in einer gleichen Lage befinden, mögen sich mein Entzücken vorstellen und es beschreiben, wenn sie können. Es war nicht des Glückes wegen, welches mir zum erstenmale lächelte, aber die Ehre!"

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Die Augen des Dichters füllten sich mit Thränen der Dank­barkeit gegen das Schicksal. Wir begreifen diese Empfindungen Bérangers: Lucian Bonaparte, Prinz von Canino, war der Bruder des Konsuls Bonaparte  , der sich noch in diesem Jahre, 1804, zum Kaiser der Franzosen ernennen ließ,- und er war ein arm pariser Kind", das nichts hatte, als seine Lieder, freilich, ein so großer Reichthum, daß aller Ruhm Napoleons  und aller Glanz der französischen   Hauptstadt ihn aufzuwiegen nimmer vermocht haben würden.

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Nachdem er bessere Kleider angelegt, begab sich Béranger zu Lucian Bonaparte und fand bei diesem sowohl für sein Dichter *) Eine ihrerzeit berühmte pariser Kartenschlägerin.

talent, als auch für seine Zukunft die lebhafteste Sympathie. Diese Theilnahme an der äußeren Existenz Bérangers bezeigte der Bruder des ersten Konsuls dadurch, daß er dem Dichter so­fort eine Vollmacht ausstellte, welche ihn ermächtigte, das Jahres­gehalt, welches Lucian als Mitglied des französischen   National­instituts bezog, zu erheben. Dieses Gehalt betrug nach Abzug der jedes Jahr zurückbehaltenen Summe, welche zur Bestreitung der laufenden Ausgaben und für Pensionszahlungen benutzt wurde, jährlich tausend Francs, und Béranger bekam die in den letzten Jahren nicht erhobenen dreitausend Francs sofort ausgezahlt, wovon er indeß den größten Theil seinem Vater als Vergütung seiner Auferziehung übergab und nur tausend Francs für sich behielt. Béranger bezog dieses Jahresgehalt bis 1814, wo Lucian Bonaparte, schon 1804 seines Ministerpostens entsetzt und, weil er sich gegen den Willen seines Bruders mit einem bürger­lichen Mädchen verheirathet hatte, in's Exil getrieben, auch aus der Akademie gestoßen wurde. Durch die Verbannung seines Schwiegersohns war der Vater der Frau Lucian Bonapartes in eine sehr bedrängte Lage gerathen, und Béranger hielt sich für verpflichtet, demselben seitdem Monat für Monat die genossene Pension zurückzuzahlen. Und niemals ist Béranger das Andenken an die ihm von Lucian erwiesene Wohlthat abhanden gekommen.

Bald nach jenem entschlossenen Schritte, mit welchem sich Béranger dem Prinzen Lucian näherte, wurde auch sein Wunsch nach einem bescheidenen Alemtchen" erfüllt: er erhielt in dem Atelier eines Malers die Aufgabe, den Text zu einem illustrirten Werk zu ordnen. Er eignete sich hier ein gutes Urtheil über die bildenden Künste an, und ein Gehalt von zwölfhundert Francs, verbunden mit der Summe, welche er vom Institut" bezog, er­möglichte ihm die süßesten Freuden des Reichthums, denn ich konnte meinem Vater helfen und meine arme Großmutter unter­stützen, die Witwe des guten alten Schneiders, dessen verlorne Renten den Ruin vervollständigt hatten. Ich konnte mich selbst meiner Schwester, Arbeiterin bei einer unserer Tanten, nüßlich erweisen."

Seine Stellung in den Bureaur des Malers Landon konnte aber, weil ja das Werk einmal ein Ende erreichen mußte, nicht dauernd sein, und daher bemühte sich Béranger bereits um eine andere Stellung.

Ein Freund forderte ihn auf, für Zeitungen zu schreiben. Dazu hatte der Dichter keine Lust: er hätte dann seinen schönen poetischen Hoffnungeu", seinen Träumen" entsagen müssen. Er blieb darum lieber in seiner einsamen Dachstube, mit Studien und dichterischen Arbeiten beschäftigt. Aus dieser Zeit stammt seine große Zuneigung zu den Werken Chateaubriands, der den poetischen Kern und die großartige Erhabenheit der biblischen und griechischen Dichtungen seinen Zeitgenossen zum Bewußtsein brachte, und dessen Werke ihn mit Bewunderung erfüllten, ja, ihn für einige Zeit fast zu einem religiösen Schwärmer machten.

Trotzdem beide Dichter entgegengesetzten politischen Parteien angehörten, wurde doch Chateaubriand, zwölf Jahre älter als Béranger, später durch ein Band innigster Freundschaft mit letzterem verbunden und war einer der begeistertsten Verehrer des Liederdichters, wie der Briefwechsel der beiden berühmten Männer bezeugt.

Neben anderen französischen   Dichtern, namentlich Racine   und Molière, studirte Béranger die homerischen Gesänge und erfrischte seine Seele an dem sprudelnden Wiz des größten griechischen Lustspieldichters Aristophanes  . Auf dem Gebiete der Komödien­dichtung versuchte er sich auch und schrieb mehrere fünfattige Lust­spiele, erkannte aber gar bald, daß er durchaus nicht zum drama­tischen Dichter geboren sei. Diese Einsicht ließ ihn auch alle Versuche, die er unternommen, um ein großes Heldengedicht, poetische Gedanken" und Idyllen zu schreiben, aufgeben: die Chanson, das kurze, knappe Lied voll unmittelbarer Empfindung, war eben die Sphäre, in welcher er sich ausschließlich mit Glück zu bewegen vermochte.

Endlich, im Jahre 1809, erhielt der Dichter eine Stellung, auf deren Dauer er einigermaßen hoffen durfte: er wurde durch die Vermittlung Arnaults, des Freundes Lucian Bonapartes, welcher im Ministerium des Innern eine einflußreiche Stellung