improvisirten Loge, dem gespaltenen Gipfel des Monte Rosa , zu verschlingen. Erschrocken fuhr ich auf und erwachte. Trotz der frühen Morgenstunde griff ich zum Wanderstab. Der scharfe Ostwind verscheuchte die apokalyptischen Grillen. Wild wogten die Wolken um die Berge des Hospenthales, bis sie die strah lende Himmelskönigin mit ihren Flammenpfeilen in die Rhoneschluchten trieb. Wen hat dieselbe Sonne auf dieser Kreuzung zweier Völkerstraßen nicht schon beschienen? Germanen, Gallier und Slaven , die, lüstern nach Romas trügerischem Hort, die Sphinx Italia todtgeküßt. Und all das Blutvergießen von Hannibal bis Suwaroff umsonst! Hoffen wir, daß das Loch, das man jetzt dem Gotthard durch den Riesenleib bohrt, nur friedlichen Zwecken dienen wird, daß die Menschheit endlich einsieht, daß Italien den Italienern gehört. Wie groß steht die Natur mit ihren ewigen Gesetzen dem armseligen Treiben der Menschen gegenüber. Die Entdeckung eines Epigonen genügt, um die Welten der Altvorderen aus den Angeln zu heben. Was ist die Monadentheorie des Leibnitz gegen Darwins Entwicklungslehre? Und die Künste?- Von der Musik der Inder, Assyrer, Hebräer und Aegypter wissen wir garnichts, von der der Griechen und Römer nicht viel mehr. Jedenfalls waren letztere wie in Jedenfalls waren letztere wie in der Skulptur und Malerei auch in der Musik die Lehrer der ersten Christen. Somit erreicht unsere Frau Musica , seitdem Apollo das Protektorat an die heilige Cäcilia abgetreten hat, das respektable Alter von bald zweitausend Jahren. Ihre Falten sind auch darnach. Und welche Wandlungen hat die arme Frau durchmachen müssen, bis sie die Liaison mit Wagner und Offen bach einging. Ihre Sprößlinge, die man vorgestern beweih rauchte, wurden gestern gekreuzigt und sind heute vergessen. Wenn sie die Mode nicht protegirt, müssen sie verhungern. Werfen wir einen Blick auf den Opernkirchhof unseres Jahrhunderts. Die einst gefeierten Werke von Weigl, Winter, Bellini, Donizetti und theilweise auch Rossini's schablonenhafte Musikdramen, mit Ausnahme des„ Tell" und" Barbier", sind verblaßte Schemen, verglichen mit des Himmelsstürmers Beethoven Löwenbrut Fidelio" und Webers waldesfrischem Freischüß". Die unvergleichliche Dreifaltigkeit Schumann- Mendelsohn- Schubert hat leider zu wenig Dramatisches hinterlassen und das Wenige mundet dem überreizten Gaumen der Mitwelt auch nicht sonderlich. Mehuls und Cherubinis profane Oratorien, sowie Marschners und Spontinis Spektakelopern laboriren an Marasmus. Jessonda und die Vestalin tanzen nicht Cancan , folglich dürfen sie nicht mitthun. Nur Nikolais„ Lustige Weiber", Kreuzers„ Nachtlager" und Lorgings anspruchsloses„ Geschwisterpaar"„ Czaar- Waffenschmied" bewahren zum Trotz der schmußigen Operettenwirthschaft ihre Lebensfähigkeit. Flotows Martha" und" Stradella" kommen auch noch auf's Repertoire, wenn alle Stricke reißen. Der nicht zu unterschäzende Rivale Meyerbeers Halévy lebt nur noch in seiner Jüdin" fort. Ob Meyerbeers Musenkinder die diamantne Hochzeit erleben, werden erst unsere Kinder registriren können. Dem Robert", und den„ Hugenotten " braucht um ihren hundertsten Geburtstag nicht bange zu sein, aber der Prophet" wird sich bald mit seinem Harem Dinorah, Vielfa, Selika in das Columbarium des Konversationslexikons zurückziehen. Das thaufrische Kleeblatt„ Weißedame- Barbier- Fradiavolo" wird noch manches Lustrum mit Verdi's Lungenkraftproduktionen erfolgreich um den Kassenerfolg ringen. Die Verballhornung des" Faust" und der Mignon" wird wohl der Großkophta von Weimar dem süßlich raffinirten Gounod und demi hypersensitiven Thomas bei einem Humpen schäumenden Nektars im Jenseits verzeihen. Im Diesseits haben wir uns längst, die Tamtamschläge des Effekts abgerechnet, mit dem melodiösen Plagiat ausgesöhnt.
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Weniger erbaut dürfte der große Brite von der musikalischen " Verarbeitung" seines veroneser Liebespaares und des dänischen Prinzen sein. Jedenfalls hat ihm der deutsche Komponist der " bezähmten Widerspänstigen" weniger Kummer gemacht.
Achtbare Beanlagung für die komische Oper in den ausgefahrenen Geleiſen der Gretry , Adam und Herold bekunden die jungen Franzosen Maillart und Delibes. Hoffen wir, daß auch die jüngste deutsche Aussaat, die Herren Goldmark, Brüll und Kretschmer an der Spize, kräftig in die Halme schießt, und die Fabel von den aussterbenden Resten einer besseren Vergangen heit" auch eine Fabel bleibt. Doch jetzt zur Reversseite der Medaille, welche der Kakodämon Offenbach mit seiner konfiszirten
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Börsianerphysiognomie verunziert. Die zotenprickelnden Gassenhauer dieses Operetten- Dalailama vergiften gleich den unsichtbar feinen Fäulnißpilzen eines Kontagiums Anstand wie Sitte und tödten durch die alles zersetzende Fronie den Sinn für das Edle. Solange Offenbach für die bescheidenen Verhältnisse der Bouffes Parisiennes die Einakter, wie Zaubergeige"," Mädchen von Elizondo"," Ehemann vor der Thür" u. s. w. komponirte, war er groß in seinem kleinen Genre, doch mit dem„ Orpheus in der Unterwelt " und seinen dreiaktigen Nachfolgern ist der Phyloxera vastatrix des guten Geschmacks, dem Kretinismus auf der Bühne Thür und Thor geöffnet. Der Janhagel im Frack und in der Seidenrobe jubilirt, wenn die heiligsten Güter der Menschheit verhöhnt werden, und der schlaue Jakob streicht die Tantième nach Hunderttausenden ein. Die Akolythen des napoleonischen Leib- und Magenkomponisten Lecocq, Jonas und Comp. drapiren sich zwar in die Löwenhaut, aber das Eselsohr guckt überall durch, denn sie gehören sammt und sonders zu der Musikantensorte, wovon dreizehn auf's Dußend gehen. Wenigstens geben sie sich die Mühe, eine moralische Maske vor ihr Faungesicht zu halten. Vielleicht befreit uns die wirthschaftliche Krisis, dieses Strafgericht modernen Schwindels, von dieser importirten Lustſeuche. Vederemo!
Und unsere deutschen Liederspielkomponisten? Sie waten alle dem Offenbach im Sumpfe nach. Die Kunst geht nach Brot. Der Kampf um's Dasein auf dem Theater wurde zwar nie in Glacéhandschuhen geführt, aber so brutal wie in unserer Zündnadelepoche, war er noch nie. Man schlägt eine Novität mit der andern todt. Den Nestor der wiener Schule Suppé , berufen, der Lorking der Gegenwart zu werden, hat leider die verlotterte Geschmacksrichtung des Publikums auf andere Bahnen gelenkt. Die gelungenen Werke seiner kaninchenartigen Produktivität, wie „ Galathée"," Flotte Bursche"," Leichte Kavalerie", und sein neuestes Opus" Fatiniza" haben mit ihren frischen Rhythmen und einschmeichelnden Weisen eine Verbreitung gefunden, wie sie sich vor fünfzig Jahren die kühnste Phantasie nicht träumen ließ. An Originalität kommt ihm nur der Walzerkönig Strauß, der findigste Arbeiter der Operettenfabrik, gleich. Er liefert trotz der fingirten Champagneretikette unverfältschten Gumpoldskirchner, der zwar nicht moussirt, aber auch kein Kopfweh verursacht. Von einem Strauß wird kein Billigdenkender einen Wolkenflug verlangen, sondern sich mit einem ausgiebigen Dauerlauf zufriedenstellen, allein dieser Wüstenvogel hat bewiesen, daß er als„ Fledermaus" auch Schwung hat. Er wie Suppé sind ächtes wiener Blut, welches zwar den kontrapunktischen Spiegelfechtereien aus dem Wege geht, dafür aber Melodien aus dem Aermel schüttelt, während die trausmainanischen Kollegen Stiegmann und Conradi zehit Partituren brauchen, um eine elfte daraus zu kleistern. Dem jüngsten Nothhelfer der altersschwach gewordenen Offen bachiade, Brandel, fehlt zum ersprießlichen Wirken ein deutscher Aristophanes, der ihn von der Misère befreit, sein urwüchsiges Talent an den bisher üblichen Librettoblödsinn zu vergeuden. Dieser Umstand entschuldigt auch die Sonntagsreiter des Pegasus Genée und Hopp. Es ist entseßlich, was sich dieser olympische Flügelgaul alles gefallen lassen muß! Zu gleicher Zeit soll er am Sockel des wiener Opernhausportals, mit Wassersucht behaftet, paradiren, und an den duftenden Gestaden der Wien , mit zwei Dichterkomponisten im Sattel, turbettiren, ohne daß ihn jemals der Hafer sticht, denn diese angenehme Empfindung seiner prosaischen Kollegen kennt er nur vom Hörensagen. Die Herren Baiz, Millöcker , Conradin, Roth, Weinzierl e tutti quanti liefern im Schweiße ihres Angesichtes für den unersättlichen Theatermoloch derbe, aber gesunde Hausmannskost, die ihm, wie es die Mode verlangt, in Sèvresporzellan servirt wird. Die pikanten Saucen der französischen Köche sind nicht ihre Sache. Einige dankbare Clownrollen, die Sängerin im Escarpin, der Teuor auf Stelzen, etwas Politik, viel Zoten und noch mehr weibliche Comparserie, die möglichst wenig anhaben darf, das Ganze von einem dramatischen Flickschuster nothdürftig zusammengeheftet, mit einem pompösen Titel und pikanten Abtheilungen versehen, und das Glück der Operette ist gemacht, das heißt auf vier Wochen. Alle Hebel werden in Bewegung gesetzt, die Sinne zu entflammen, das Gemüth geht leer aus. Die Kunst wohnt im Herzen, sagt Börne. Damit ist der Stab über die herzlose Kokette„ Operette" gebrochen.
Dr. Max Transil.