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Ein Dichter aus dem Volk und für das Volk.

Von H. Bifferklee.

( Schluß.)

Béranger hat ganz richtig den Grund der außerordentlichen Wirkung seiner Gesänge selbst erkannt. Er stattete die einfache Tochter des Volks", wie er die Chanson nennt, so würdig aus, d. h. er wußte seiner Dichtung durch Talent und Bildung ein so gutes äußeres Gepräge zu verleihen, daß sie sich überall sehen lassen konnte und auch da Einfluß gewann, wo man die Ge­schichte macht". Im Volke, d. h. in den sogenannten niederen Klassen, mußte sein Lied darum so große Wirkung erlangen, weil es immer das einfache, zur Seele sprechende Lied geblieben war, welches in den, bei Béranger häufig, ja fast in jeder Chanson angewendeten Refrains in kurzer schlagender Form seinen Inhalt zusammenfaßt und, nach bekannter Melodie gesungen, sich tief und unvernichtbar einprägt. Das französische Volt aber konnte nicht anders, als die Lieder dieses Dichters mit heller Freude aufnehmen und sie als theures Kleinod in die geheimste Tiefe des Herzens einschließen, weil Béranger eben ein ächtes Kind des Volkes war.

Bald ging er an die Veranstaltung einer zweiten Sammlung, obgleich ihm in verbindlicher Form" für diesen Fall vorhergesagt worden war, daß man ihn seines Amtes entsehen würde.

Aber trotz vieler Schwierigkeiten erschienen im Oktober 1821 zwei Bände alter und neuer Lieder in Zwölftelformat und in einer Auflage von zehntausendfünfhundert Exemplaren, welche in ganz kurzer Zeit aufgekauft waren. Doch blieb dem Dichter nur grade soviel übrig, daß er, ohne sein Amt, welches er verlor, eben leben fonnte.

Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung der seither entstandenen Lieder hätte nicht günstiger gewählt werden können.

Frankreich seufzte unter dem Druck einer antinationalen und reaktionären Regierung: da löste eine Chanson Bérangers, wie die Der Marquis von Carabas", mit ihrem scharfen Spott die Betlemmung aller Seelen.

Frankreichs größter Stern" war nun gesunken, der Wunder baum vom Sturm gefällt", der große Geist", die starke Seele", sein größter Kaiser" hatte auf St. Helena geendet: da sprach eine Chanson, wie Der 5. Mai 1821", die Béranger ertönen ließ, den ganzen Schmerz der Franzosen aus.

Frankreich war aus dem Taumel, in welchen es die Siege, des Kaisers gerissen, erwacht oder erwachte doch allmählich; und das geblendete Auge fing wieder an, zu erkennen, daß, was Siegerstirnen krönt, gift'ger Tand" ist, und daß Phrasen von Ruhm und Macht kein Volk zu beglücken vermögen, sondern lediglich seine Machthaber und Zwingherren mit einem trügerischen Nimbus umgeben. In solchen Zeiten sind aber in Frankreich die demokratischen Ideen, welche von jeher tief im Herzen dieses Volkes schlummerten, stets wieder aufgewacht die Begeisterung für jenes hohe Dreigestirn," Liberté, Egalité, Fraternité", die Begeisterung für Freiheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit. Da sang wieder Béranger aus der tiefsten Seele seines Volkes her­aus das Lied vom heiligen Bund der Völker".

Wegen Gotteslästerung und Aufforderung zur Empörung wurde der Dichter nach seiner neuen Publikation zu drei Monaten Gefängniß und zur Bezahlung von fünfhundert Francs ver­urtheilt. Man bedachte nicht, daß durch diesen Prozeß, der die lebhafteste Theilnahme des ganzen Publikums erregte, die Popu larität und der Einfluß Bérangers nur gesteigert wurde.

Béranger wurde von allen Seiten um handschriftliche Mit­theilungen seiner neuesten Chansons bestürmt. Bis in die Bureaux des Kanzleischreibers und des Staatsanwalts wanderten nach des Dichters Mittheilung diese Kopien, und vor den Fenstern seines Gefängnisses Sainte- Pélagie erklangen vom Morgen bis spät in die Nacht die Lieder, welche er geschaffen! Von Besuchen wurde Béranger während der Zeit dieser Gefangenschaft überhäuft.

Die dritte Liedersammlung Bérangers erschien im Jahre 1825. Der Enkel des Schneiders", ein arm pariser Kind", hatte nun eine Stellung inmitten der angesehensten Führer und Leiter der politischen Gesellschaft"; die Jugend, welche er verstehen, er­muthigen und selbst erleuchten konnte", brachte ihm vor allem die begeistertsten und liebevollsten Herzen entgegen. 1828 ließ er ein neues Bändchen erscheinen, wofür er zu einer Geldstrafe von zehntausend Francs und zu neun Monaten Gefängniß ver­

urtheilt ward, doch soll er, nachdem die Zeit der Gefangenschaft vorüber, mit ebensolcher Sorglosigkeit, als käme er von zuhause, über die Boulevards" geschritten sein, erzählt des Dichters Freund Chateaubriand.

Nach der Julirevolution( 1830), durch welche, wenigstens vor läufig, die Volksinteressen über die legitimistischen Bestrebungen siegten, glaubte Béranger seine Aufgabe erfüllt zu haben, und meinte vor allem, daß die Nation nun der Ruhe bedürfe. Aber seine Freunde hätten ihm hohe Würden, ja, ein Minister- Porte­feuille zugedacht und drängten ihn, anzunehmen.

Welches Ministerium wollt ihr mir geben lassen?" fragte Béranger scherzend seine Freunde.

Das des öffentlichen Unterrichts."

" Es sei! Ich werde meine Chansons als ein Lehrbuch in den Töchterpensionaten einführen lassen!"

" Da lachten meine jungen Freunde selbst über ihre thörichte Idee," fügt der Dichter hinzu.

Dann erzählt er weiter:" Die neue Regierung machte mir die ehrenvollsten Anerbietungen: ich schlug sie aus; eine gebundene Stellung konnte mir nicht mehr angenehm sein, und ich wäre erröthet, Pensionen aus dem Kasten zu schöpfen, welchen die Nation jedes Jahr zu füllen sich müht. Ich gebe viel auf die Ehre, meinen Mitbürgern niemals zur Last gefallen zu sein."

Der neue König äußerte wiederholt den Wunsch, den Dichter zu sehen; aber dieser begab sich nicht zu ihm, weil er fürchtete, daß Louis Philipp, welcher gesagt hatte, daß er auch Republi­ kaner " sei, ihn zur Annahme von Ehren oder Pensionen bewegen wollte.

Es hat wenige Menschen gegeben, die so bescheiden, so un­eigennützig waren wie Béranger, und es ist sehr bezeichnend, daß, als der Dichter von seinem Freunde Laffitte bewogen worden war, mit Manuel, Thiers und Mignet das von jenem angekaufte, prächtige Schloß" Deux Maisons" zu beziehen, er daselbst, wo man noch das von Voltaire lange bewohnt gewesene Zimmer zeigte, nicht ein einziges Lied gedichtet hat.

" Ich bin nicht für die Schlösser geboren!" sagt er gelegentlich der Erwähnung; dieser Thatsache, und er suchte eine Ehre darin, zu bekennen, daß er armi sei.

Jener Zeit, welche unmittelbar auf die Julirevolution folgte, gehört auch das vielerwähnte und zu den schönsten Schöpfungen des Dichters zählende Gedicht an, welches seine große Bescheiden­heit in rührender Weise ausspricht:" An meine Freunde, als sie Minister geworden." Darin heißt es unter anderm:

,, Nein, meine Freunde, ich will garnichts werden! Gebt andern Kreuze, Aemter, Würden neu, Gott schuf mich nicht, zu glänzen auf der Erden, Des Hofes Schlingen flieht die Lerche scheu. Ich habe mir ein schlichtes Loos erkoren, Ein Liebchen, das an treue Brust ich zieh', Als armer Leute Kind bin ich geboren; Sei nichts! sprach Gott , als er mir Odem lich! In des Palastes Gold und Marmormasse Mögt ihr des Volkes denken spät und früh! Dem Volfe werd' ich singen auf der Gasse;

Sei nichts! sprach Gott , als er mir Odem lich!" Das edle Gefühl, welches so schlicht und wahr aus diesen Versen spricht, muß jedermann auf das tiefste rühren in einer Zeit, da selbst unsere sogenannten großen Dichter mehr oder weniger spekulirende Kaufleute geworden, es muß uns immer fester überzeugen, daß in Béranger das Herz eines großen Menschen, eines wahren Dichters schlug.

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In gleicher Weise wies Béranger alle ihm zugedachten lite­rarischen Ehren mit den einfachen Worten zurück: Ich bin nur ein Liederdichter!"

Nachdem beim Ausbruch der polnischen Revolution zum besten der Polen eine Broschüre mit fünf Gedichten vorhergegangen, ließ der Dichter im Jahre 1833 seine mit einem Abschied von seinen Lesern versehene fünfte und legte Liedersammlung erscheinen. Béranger zog sich von nun an in die Stille zurück, und lebte zunächst in Passy , Fontainebleau , Tours. Da streifte er in Wald er liebte die Natur über alles-, oder er und Flur umher

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