unschwebt, wie das seine... Am 16. Juli 1857 schlug seine Todesstunde. Der Hof des Hauses war von Menschen gefüllt; tiefer Schmerz malte sich auf allen Gesichtern. In der Stube selbst umstanden einige Freunde den Dichter, sein Ende mit flopfendem Herzen erwartend... Béranger saß in einem Lehn­stuhl, den Rücken nach den Fenstern gekehrt, den Kopf zur Rechten geneigt. Seine Lippen lispelten nur noch gebrochene, unverständ­liche Worte, die Stirn stand voller Schweiß, das Auge verschleierte sich immer mehr und die Hände machten nur noch schwache Be­wegungen.. Man umarmte ihn noch, man reichte ihm die Hand, man weinte hinter seinem Sessel.- Um einhalbfünf Uhr hörte das Herz auf zu schlagen; der Dichter starb in den Armen seiner Freunde und drückte noch zuletzt die Hand seines Freundes Antier...

Die Trauerkunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt und versetzte ganz Paris in tiefe Trauer.

Obgleich der Dichter zu wiederholten malen und auch in seinem Testamente ausdrücklich den Wunsch geäußert hatte, sein Begräbniß möchte in aller Stille erfolgen, beschloß doch die Regierung, das Leichenbegängniß Beranger's öffentlich zu ehren.

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Eine unabsehbare Menschenmenge wogte in den Straßen; ganz Frankreich wußte, daß man seinen theuersten Freund zu Grabe trug. Ehrfurchtsvoll wich alles zurück, Männer, Frauen und Kinder, um für den Leichenwagen Platz zu schaffen; jeder Kopf war entblößt, und die ernste Stimmung schloß jeden Mund. Jetzt erscholl ein Ruf: Ehre, Ehre Béranger!" aus dem Munde der selbst die Dächer bedeckenden Massen. Dann wieder ernstes Schweigen. Als der Zug an dem Kanal Saint- Martin ankam, sah man, wie selbst die Kähne dichtgedrängten Zuschauern zum Beobachtungsposten dienen mußten: die Häuser und Straßen hatten nicht Platz genug gehabt...

Kein störender Tumult hat das Leichenbegängniß Béranger's entweiht; man hatte kein andres Gefühl, als das ehrfurchtsvollster Trauer. Alle die Menschen, sie mochten Parteien angehören, welchen sie wollten, welche an jenem Tage in den Straßen von Paris versammelt waren: den großen Dichter; nach dessen Tode übrigens noch eine Sammlung vortrefflicher Chansons erschienen, den großen Dichter, den edlen, hochherzigen Menschen,- ehrten und liebten sie alle!

Ehre, Ehre Béranger!

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Streiflichter auf die deutsche Kunst der Gegenwart.

Es mag dir, lieber Leser, schon manchmal die Frage vor­geschwebt haben, woher denn eigentlich der Unterschied zwischen Kunst und Handwerk komme. Die Beantwortung dieser Frage ist um so wichtiger, als sie Aufklärung darüber geben muß, worin das Wesen der wahren Kunst liege und welches die nothwendigen Bedingungen ihres Bestehens seien. Nehmen wir also, um auf praktischem Wege unser Ziel zu erreichen, zwei Männer vor, die cine scheinbar verwandte Thätigkeit haben und von denen der eine Künstler, der andere Handwerker( im weitern Sinne), ist, 3. B. einen Maler und einen Photographen.

Der Photograph ist gewiß ein geschickter Mann und er kann dich mittels seiner camera in ein paar Minuten so trefflich ab­konterfeien, daß alle deine Freunde über das Bild entzückt sein und ausrufen werden: Zum sprechen ähnlich!"- Und dennoch gibt es Leute, die statt den sichern Weg des photographischen Apparates zu wählen, sich der Hand des Malers anvertrauen, der ja doch nicht mit derselben Sicherheit arbeitet wie jenes Instrument. Nur die Sicherheit des Getroffenwerdens ist da allerdings von der Hand des Künstlers abhängig, d. h. von seiner Auffassungsgabe und seiner Fähigkeit wiederzugeben; dafür aber kann dir der geschickteste Photograph nie und nimmer das bieten, was dir ein guter Maler in deinem Porträt gibt: dich, wie du wirklich bist. Der Photograph gibt sich freilich auch auf seinem Bilde, wie du bist, aber nur, wie du in diesem Momente bist, nicht, wie du immer bist, was du bist, denkst und fühleft. Er zeigt dich, wie du im Augenblicke warst, wo du ihm saßest oder standest, unbekümmert darum, welchen Ausdruck dein Gesicht für gewöhnlich hat, welchen es gestern hatte oder haben konnte und morgen haben kann, wo vielleicht eine Leidenschaft, Freude, Trauer, Schmerz, dich zu einem ganz andern Menschen auch im Aeußern gemacht. Dies vermag nur der Künstler. Ihm obliegt es und ihm ist es möglich, dich auf dem Bilde darzu­stellen, wie du wirklich bist, d. H. deine Seele zu malen, zu ver­törpern. Er erreicht dies, indem er alles Zufällige aus deiner Gestalt, alle Eindrücke des Augenblickes( z. B. Müdigkeit) daraus zu verbannen sucht und dich so idealisch, doch innerlich wahr ver­klärt, in deiner vollen Charakteriſtik wiedergibt, d. h. wie du gewohnlich bist, was du gewöhnlich denkst und fühlst, wenn keine Leiden oder Leidenschaften dich bewegen. Er gibt sozusagen dein Urbild wieder, das durch die Einflüsse der Verhältnisse 2c. 2c. theils verwischt, theils verdeckt ist. Deshalb erscheint auch das scheinbare Paradoxon eines deutschen Aesthetikers, daß das Porträt dem Original ähnlicher sein müsse als dieses sich selbst, ganz gerechtfertigt; darin liegt auch der Zauber in den Porträts eines Tizian und Van Dyk und die Kraftlosigkeit in den Werken unserer modernen Borträtisten Werner, Winterhalter, Angeli 2c., die auf der einen Seite durch leeres Geflunker und virtuose Technik, auf der andern durch photographische Treue ihren Zweck zu erreichen suchen.

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Du wirst nun, lieber Leser, einen Unterschied zwischen einem Porträt und einer Photographie zu vissen würdigen, und wenn

du dies vermagst, dann kannst du dir wohl auch die Frage selbst beantworten, wo Kunst und Handwerk sich trennen. Der Hand­werker erhält einen gewissen Stoff, den er nach bestimmten Regeln ( Schablonen) verändert und umarbeitet; auch der Künstler erhält einen Stoff, z. B. die Idee zur Ausführung eines Gemäldes; allein dort, wo der Handwerker nun nach der Schablone an's Werk geht, muß sich der Künstler für jeden einzelnen Stoff eine besondere Schablone im Geist erst bilden und sein Werk wird um so vollkommener sein, je größer die Fähigkeit des Künstlers ist, dieses Urbild mit den Gesetzen der Schönheit in Einklang zu bringen, das heißt dem Gedanken lebenden Ausdruck und der materiellen Erscheinung einen Gedanken zu geben, oder mit andern Worten: das Gleichgewicht zwischen Stoff und Kraft herzustellen.

Du wirst gewiß der materialistischen Bewegung unserer Zeit deine Aufmerksamkeit schenken, namentlich jener auf wissenschaft­lichem Gebiete und deinen Büchner auf dem Bücherbrette oder doch im Kopfe haben und dann kann es nicht fehlen, daß du die Bedeutung fennst, welche Kraft und Stoff" in der Natur haben. Alle Lebensäußerungen sind nur Wirkungen von Stoff und Kraft, und wie das Weltall aus diesen beiden sich herausbildete, so sind auch Staat und Gesellschaft nur ein gewisses Quantum von wiederum Kraft und Stoff. Die gleichmäßige Vertheilung dieser beiden Faktoren ist daher in der natürlichen wie in der Kultur­welt eine Frage von höchster Wichtigkeit, und wo Mißverhältnisse zwischen beiden eintreten, muß ein Ausgleich stattfinden. Ent­weder auf friedlichem Wege, wie in der Natur durch dieselbe Wirksamkeit der Naturgesetze, im Staate durch die Gesetzgebung, oder auf gewaltthätige Weise, wo dann Erdrevolutionen( Gewitter, Ausbrüche, Ueberschwemmungen) und Staatsrevolutionen entstehen. Wo Kraft und Stoff in richtigen Verhältnissen und glücklicher Gegenwirkung thätig sind, herrscht Dasein in Vollkommenheit, d. h. Schönheit. Die Kunst ist berufen diese Schönheit darzu­stellen und hat demnach das Amt, jenen Ausgleich zwischen Kraft und Stoff, Geist und Materie, Nealismus und Idealismus bild­lich darzustellen, der oft schwer im wirklichen Leben zustande zu bringen ist. Das Individuum( wie die Gesellschaft) krankt an den Mißverhältnissen, die oft zwischen Kraft und Stoff auftreten, an der künstlichen und gewaltsamen Trennung, die man damit vornimmt. Indem nun die Kunst in ihren Werken jenes edle Gleichgewicht zwischen beiden herstellt; indem sie sich bemüht, ein Dasein herzustellen, nicht wie es ist, unter dem Drucke der Ver­hältnisse, sondern wie es sein soll; indem sie auf solche Weise Widersprüche aufhebt und Gegensätze ebnet, wird sie zum Ueber­gange von der Idee zur Wirklichkeit, zur Mittlerin zwischen dieser und dem vorgesteckten Ideale zur versöhnenden Hand zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ein Volt, das keine Ideale hat, hat auch keine Kunst, und die Kunst eines Volkes ist sein Früh­ling. Ohne Blüthen keine Früchte!

Daß der Niedergang einer Idee oder eines Volkes stets von dem Niedergange der entsprechenden Kunst begleitet, zeigt am deutlichsten der heutige Stand der religiösen Kunst. Seitdem die