Religion zur leeren Form geworden und jeder organischen Fort entwicklung unfähig, ist auch die religiöse Kunst nicht im Stande eine neue Idee zu produziren; sie fristet ihr Dasein durch ewiges Wiederkäuen mittelalterlicher und späterer Formen.
Nachdem ich nun glaube, dem Leser Wesen und Zweck, sowie die Merkmale der wahren Kunst klar gemacht zu haben, vor allem ihre vermittelnde Thätigkeit, kann ich nun um desto sicherer an meine Aufgabe herantreten, einiges Licht auf die Zustände. unserer deutschen( bildenden) Kunst zu werfen. Selbstverständlich ist es mir nicht gestattet, die Kunstschulen Deutschlands und die einzelnen hervorragenden Künstler einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen, sondern es handelt sich hier für uns nur um zwei Dinge; erstens: welches die herrschende Kunstrichtung in diesem Augen blicke sei; zweitens: welches die Grundsäße dieser Richtung und ob dieselben mit jenem der wahren Kunst in Einklang zu bringen. Jeder Unbefangene, der den letzten Phasen der deutschen Kunst gefolgt ist, wird bemerkt haben, daß die frühere Mannich faltigkeit und bunte Herrschaft der Individulität, wie sie früher in der deutschen Kunst gang und gebe war, seit den letzten zehn Jahren abgenommen und ein einheitliches Streben und somit auch auf diesem Gebiete eine Art deutscher Einigung stattgefunden hat. Nur mit dem Unterschiede, daß jene„ der Stämme" von Berlin und die der Kunst von München ausging. Allein nicht das München des noblen Peter von Cornelius , nicht jene Schule der wahrhaft antiken Monumentalität sind es, die immer mehr um sich greifen, sondern vielmehr eine Richtung, die alle großen cornelianischen Traditionen zu verwischen sucht; es sind endlich zwei Meister, welche den entscheidendsten Einfluß auf die deutsche Kunst genommen; zwei Namen, auf deren Klang geworben, geschworen und verdorben wird: Wilhelm v. Kaulbach und Carl v. Piloty.
-
Man mißverstehe mich nicht; nicht als designirte Führer oder als Repräsentanten der deutschen Kunst mögen diese beiden Namen hier Platz finden; es ist vor allem der Einfluß, den sie auf die Gestaltung der neuesten Kunst genommen, es ist ferner die große Zahl ihrer zum Theil geistlosen Nachbeter und Nachfolger, was die beiden Männer zweckdienlich erscheinen lassen, als Spiegel bild deutscher Kunst aufgestellt zu werden.
-
Beginnen wir mit dem weitaus höher stehenden Kaulbach ( gest. 7. April 1874), so sehen wir vor uns einen genial angelegten, ausgezeichneten Künstler. Seine historischen Werke, wie die" Hunnenschlacht", der„ Thurmbau von Babel"," Die Zerstörung Jerusalems ", ferner das„ Narrenhaus" und" Reinecke Fuchs", haben entschiedenen, ja unsterblichen Werth. Allein noch viel bedeutender wirkte Kaulbach als Lehrer, und sein Einfluß auf die Kunstanschauung der Zeit ist unberechenbar, aber auch unheilvoll. Denn Kaulbach war es, der es zuerst unternahm, die Geschichte in maßlos frivoler Weise den Tagesereignissen gemäß zuzuschneiden und Lockmittel der Tendenz, des Skandals, des Sensationellen der Kunst dienstbar zu machen. Kaulbach war Meister in der Polemit. Und seine Polemik war grob, frivol, rücksichtslos. Ich brauche den Leser nur an sein berühmtes " Inquisitionsbild", den Peter Arbuez, zu erinnern. Seiltänzer fönnen ihre Vorstellung" nicht lärmender ankündigen, als es mit diesem„ Ketzerbilde" geschah. In Rom saß das Konzil( 1870), in München wurde der Peter Arbuez ausgestellt; geistreiche Feuilletonisten nannten das ein deutsches Gegenkonzil! Tendenziös gefärbt, von geschichtlichen Unwahrheiten stroßend, war das Bild allerdings wie geschaffen zur Erregung aller Leidenschaften, alles Hasses und Grolles. Man kam zu dem Bilde, um über Rom zu schimpfen, man pries dasselbe, um Rom dadurch einen Fußfritt zu geben.
Ist das Kunst, ist das Kunstkritik? Genug, Kaulbachs Beispiel der Tendenzmalerei hat gewirkt und der wohlfeilen Koulissen reißerei Thür und Fenster geöffnet. Das ist der bedauerliche Einfluß, den Kaulbach auf die deutsche Kunst genommen; ebenso bedauerlich und noch geistestödtender jedoch ist der, den der noch lebende Carl von Piloty , Direktor der königlichen Kunstakademie in München 2c. auf unser Kunstzeitalter nimmt. Kaulbach und Piloty sind zwar in künstlerischer Hinsicht Antipoden( Gegenfüßler); allein, wo diese zwei sich streiten, hat der dritte, die deutsche Kunst, keinen Grund zu lachen; denn beide sündigten gegen dieselbe.
Kaulbach opferte die berechtigte Wirklichkeit zu Gunsten seiner Ideen( vergeistigte allzusehr den Stoff) und versteckte die dadurch entstandene Leere hinter stereotype Formenschönheit; Piloty ver
571
zichtet in seinen Gemälden auf jeden geistigen Inhalt zu Gunsten des Stoffes( der Farbe). Beide also stehen weit ab von dem Zwecke der wahren Kunst: Versöhnung des Gedankens mit der Erscheinung.
Während also die Kaulbach - Richtung bei ihrem dem Tage huldigenden Charakter die innere Wahrhaftigkeit und die ächten Forderungen der Schönheit nicht berücksichtigen kann, und so ihre Thätigkeit in eine tendenziös gefärbte Gruppirung von immer sich einander gleichenden Gestalten( Schablonen) ausartet, müssen Piloty und seine Schüler, um den Mangel jedes Gedankens und die Unfähigkeit innerer Gestaltung gut zu machen, zu den ebenso wohlfeilen Lockmitteln des Grobsinnlichen greifen, was sie auf zweierlei Weise erreichen; einmal durch glänzende Farbentechnik und photographische Treue, dann durch Wahl und Aufdrängen von Gegenständen, welche den grobmateriellen Bedürfnissen der Zeit entgegenkommen. Die Zote auf Leinwand, das gemalte Tingeltangel, das sind Errungenschaften der Piloty - Richtung; fehlerlose historische Gemälde zu liefern, ist keine der beiden Richtungen fähig; die eine würde nur darauf bedacht sein, die Prinzipien der grade herrschenden Partei zu glorifiziren, die der Minorität in den Koth zu ziehen; die andre hingegen, in dem Schnitt der Gewänder historisch, entzückend in der Wiedergabe von Gold, Sammet, Marmor 2c. und überhaupt glanzvoll in der Technik zu sein. Solcher Art sind die Historienbilder von Piloty , Benczur , Hans Makart 2c. Der letztere hat außerdem seine Schwäche für und seine Stärke in der Wiedergabe von Frauenfleisch, und Vatel, der berühmte Koch des großen Ludwig", konnte auf das" Braun" seiner Hühner nicht stolzer sein, als Makart auf das„ Eisenrosa" seiner Damen. Die ganze Pracht und die ganzen Fehler dieser Kunstrichtung findet man in desselben Künstlers„ Einzug Karls V. in Antwerpen", auf welchem Bilde die in Paris versammelte civilisirte Welt die wiener Frauen im Naturzustande bewundern kann. Diesem Bedürfnisse nach Fleisch huldigt übrigens die ganze Schule und sie holt sich daher am liebsten ihre Stoffe aus dem Alterthum; die Modelle entnimmt sie natürlich der modernen Zeit, wo Nymphen auf den Strich und Faune auf das Eis gehen.
-
Dies also sind die beiden Hauptrichtungen und Strömungen, die mehr und mehr in der deutschen Kunst zur Geltung gelangen; wo ihre Fanfare tönt, muß das süße Insichversinken der Düsseldorfer à la Achenbach und Lessing , die protestantische Nüchternheit der Berliner à la Werner aufhören und unterliegen; ihrer Werbetrommel strömt alles zu; denn man macht dabei Geld und Lärm.
Die Kaulbach - Richtung ist feindlich angreifend; die Kunst ist versöhnend. Piloty versinkt in den Materialismus der Zeit; die Kunst aber hat zu ihrem Zweck Geist und Materie das Gleichgewicht zu halten, und Schiller ruft den Künstlern warnend zu: ,, Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, Bewahret sie!
-
Sie sinkt mit euch, sie wird mit euch sich heben." Beide Richtungen stehen also in grellem Widerstreit mit dem Wesen der Kunst, und ihr Aufkommen wie ihr tägliches Wachsthum deuten auf eine Verwilderung, einen Niedergang der deutschen Kunst. Das ungeübte Auge allerdings wird von diesem Niedergange nichts bemerken, nichts bemerken wollen; die Masse und der bestechende Glanz des Gebotenen wird es im Gegentheil Gesundheit und Reichthum dort sehen lassen, wo nur Schminke und falsches Gold vorhanden.
Es ist wohl jeder Leser berechtigt, am Schlusse zu fragen, woher dieser Niedergang in den schönen Künsten komme. Es lassen sich zwei Gründe dafür angeben. Der eine, annehmbar für alle Länder, liegt in der Unsicherheit des Erwerbes und der Zukunft. Der zweite Grund hat nur für Deutschland Geltung und ist der bei uns seit den Jahren 1866 und 1870-71 allgemein herrschende nationale Terrorismus und Chauvinismus. Die Erfolge von Sadowa und Sedan wiegen keineswegs den Verlust auf, den Deutschland seitdem an individueller Stärke, an individuellem Denken und Handeln erlitten. Und doch hatte man an Frankreich ein warnendes Beispiel, das unter Napoleon III , ebenfalls seinen nationalen Eigendünkel hatte. Impotenz im Kabinet wie auf dem Felde, Hetärenkultur in Kunst und Literatur- das waren dort die Folgen nationaler Ueberhebung. Ueberflüssig und lächerlich wäre es, von den Mitteln zur wahren Hebung deutscher Kunst, d. h. von einem vernünftigen und ausgiebigen Staatsmäcenat in einer Zeit zu sprechen, in der die Kanonen so theuer sind. H. K.