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Bald rollten auf dem knirschenden Sande Equipagen vor die| fiel ihm vom Herzen, als er den legten Gast hinauskomplimentirt Veranda und entluden den lachenden Schwarm der Gäste.

Die Soirée war brillant und eine wahre Musterkarte von interessanten Nationalitäten, denn Georgios' Freunde brachten noch einige Armenier und Montenegriner, sammt ihren Frauen, mit, aber dem Medizinalrath" zu gefallen, der nur seine Mutter­sprache verstand, wurde von allen Anwesenden deutsch , und zwar allseitig recht fließend, gesprochen. Als der Konversationswirrwarr sein Fortissimo erreichte, trat plößlich eine Generalpause ein, denn zwischen den Portièren des Saloneingangs erschien der böhmische Barbiergehülfe Rzehatschek, zur Feier des Tages zum englischen Groom umgewandelt, und präsentirte dem Hausherrn auf einem silbernen Teller ein soeben angelangtes Schreiben.

Dieser suchte in allen Taschen nach seiner Brille, fand sie wie gewöhnlich nicht, wenn er einen Brief lesen sollte, und zog sich nach einer peinlichen Pause mit seiner Tochter in die nächste Fensternische zurück, wo ihm Euphrosyne flüsternd folgende Zeilen vorlas:

Alter Spezi!

Ich bin gestern mit meinem Herrn von Stockholm hier zur Kur eingetroffen. Wir haben oft in Schweden Deine sichere Hand vermißt. Soeben lese ich Deinen Namen in der Kurliste. Wie, zum Teufel, kommst Du in die Villa Rauheneck? Seine Durch laucht, Dein langjähriger Kunde, wünscht, daß Du ihn wieder barbirst. Wir wohnen im Gasthof zum Grünen Baum". Also, morgen erwartet Dich

Dein Freund

Jean Gerstenberger, Kammerdiener des Prinzen Rohan. Des Himmels Einsturz hätte den guten Purzelmeier nicht mehr erschrecken können. Wie vor einem plötzlich sich öffnenden Abgrund stand er erstarrt, mit offenem Munde da. Der spärliche Haarkranz sträubte sich zu Berge und auf der Glaze perlten helle Schweißtropfen. Der Nase Carneol wurde zum Rubin. Ein nervöses Zittern löste diesen Bann. Wüthend riß er Euphrosynen den Brief aus der Hand, um ihn in Atome zu zerreißen; aber plötzlich besann er sich eines andern, nicht umsonst war er mit soviel diplomatischen Versteckspielern befreundet. Ein grim miges Lächeln zuckte in seinen zahllosen Gesichtsfalten, als er das Schreiben in die tiefste seiner Taschen versentte und, zu seinen Gästen gewendet, mit heroischer Fassung sprach: Ein unzeitiger Scherz meines Patienten, des Prinzen Rohan." Damit war der verfängliche Vorfall erledigt. Von Champagner angefeuchtet, kam die Konversation bald wieder in Fluß.

Während eine armenische Patti mit dem Liede: Ich bitt' euch, liebe Vögelein" die Ohren der Gesellschaft einer harten Geduld­probe aussette, lispelte Euphrosyne ihrem Bräutigam etwas in's Ohr, worauf dieser zustimmend nickte.

Der Medizinalrath" war und blieb verstimmt. Ein Stein

hatte, und doch vermochte er die ganze Nacht keine Auge zuzu­machen. Mit dem ersten Hahnruf fing er an, sich in große Gala zu werfen, um seinem ci- devant Freunde, dem Kammerdiener Jean Gerstenberger ad oculos zu demonstriren, daß er es, Gott sei Dank!" nicht mehr nöthig habe, andere Leute, und wenn sie auch zufällig Prinzen wären, zu barbieren.

Verwundert sah der Zahlkellner vom Grünen Baum" einen Gast zu so früher Morgenstunde eintreten. Als sich Herr Purzel meier gehörig Muth getrunken, stapelte er zur Beletage hinauf, klopfte rücksichtslos an und trat, ohne das Herein" abzuwarten, mit der Grandezza eines Magnaten in das Vorzimmer des Prinzen. Blendwerk der Hölle!

Sizt da nicht der eingeseifte Kammerdiener und vor ihm stehend in einem mehr wie reduzirten Flausrock, in der hoch­geschwungenen Rechten das Rasirmesser, zwischen Daumen und Zeigefinger der Linken kunstgerecht Jeans Nase eingeklemmt, sein Schwiegersohn, der königlich griechische Gesandtschafts- Attaché Georgios Popokatopulos, Juhaber des Sterns von Missolunghi ? Wie vom Anblick des Medusenhauptes versteinert, rang er einige Augenblicke vergeblich nach Luft und Sprache; endlich preßten sich aus der von banger Ahnung zusammengeschnürten Kehle die Worte: Herr, Sie sind-"

" Barbier wie Sie, heiße Franz Rüdinger und bin nicht mittellos."

Purzelmeier schnellte vor, als wenn er auf eine Natter ge­treten wäre, und polterte heraus: Und Sie wagen es, mit meiner Tochter Nanni Euphrosyne wollt' ich sagen zu schar

muziren?"

Sich mit ihr zu verloben, wollen Sie sagen," entgegnete mit unerschütterlicher Ruhe der Pseudogrieche Rüdinger. Warum nicht? Ich liebte die arme Nanni und setzte, da Reichthum nicht schändet, mit der reichen Euphrosyne die Liebschaft fort."

Wuthschäumend sprudelte Purzelmeier heraus:" Die Verlobung ist null und nichtig. Mein Wort hat Herr Popokatopulos, und ich brauche einem hergelaufenen-"

Vollenden Sie nicht, sonst erzähle ich der Residenz, wie man Medizinalrath wird."

Der arme Medizinalrath"! Hatten früher Flammen um seine Glaze gelodert, so schienen jetzt die Fluthen des Eismeeres um­seine Schläfen zu branden. Plößlich abgekühlt, stotterte er klein­laut: Sie werden doch nicht des Teufels sein?"

,, Nur unter der Bedingung, daß in vier Wochen Hochzeit ist." " In Gottes Namen, wenn Sie mir versprechen, niemand mehr, auch nicht den Prinzen Rohan, zu barbieren." Angenommen."

Nach der Hochzeit erfuhr der Medizinalrath", daß die Komödie von seiner Tochter in Szene gesetzt worden ist.

Dr. Mag Traufil.

Weltausstellungsbriefe.

( Einige bemerkenswerthe Historiengemälde. VII

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Paris , Mitte August 1878. Uebersicht über die französische und deutsche

Die italienischen Skulpturen.)

Genre- und Landschaftsmalerei. Wenn jemand der Meinung sein sollte, daß ich in meinem letzten Briefe die moderne Malerkunst, speziell die französische, zu abfällig be­urtheilt habe, so irrt er; ich habe nur die allgemeine Tendenz ver­urtheilt. Diese aber folgt der Leitung und dem Geschmack der jeweiligen Gesellschaft, weil es unter den sogenannten Künstlern unendlich viele gibt, die nicht aus sich selbst, sondern nach dem Geschmack des großen Publikums schaffen. Und leider sind sie es, die einer Kunstepoche den Stempel aufdrücken und die meisten neuen Jünger der Kunst beein­flussen. Der wahre Künstler bleibt gewöhnlich zu seinen Lebzeiten ver­hältnißmäßig einsam und sein Einfluß wird erst in der Nachwelt frucht bar. Wenn ich nun also hervorhob, daß im allgemeinen die Tendenz der modernen Kunst sich zum Niedergange und zur Demoralisation neige, so werden nichtsdestoweniger in unserer Zeit noch genug gute Bilder gemalt, denen wir eine reine Bewunderung zutragen können. Selbst unter den ,, Schreckensbildern" und ,, weiblichen Studken" be­finden sich manche Perlen, und man muß sich gar sehr hüten, alles was nach Mord, Folter und Wahnsinn schmeckt, mir nichts dir nichts zu verdammen. Da haben z. B. die Franzosen einen Maler, Robert­Fleury, dessen Bilder wahrhaft bedeutende Szenen aus der menschlichen Geschichte herausgreifen, die an sich zwar schrecklich anzusehen sind, aber

durch charakteristisches Leben und Abwesenheit jeglicher Sucht, die Nerven der Menschen krankhaft anzureizen, sich von jenen Grausamkeitsbildern wesentlich unterscheiden. Es sind besonders zwei, die ich im Auge habe. Das eine stellt den Arzt der Salpetrière ( eines Hospitals in Paris ), Pinel, dar, wie er im Jahre 1795 die Wahnsinnigen des Krankenhofes von ihren Fesseln befreit. Er war der erste Arzt, der eine Heilung der Wahnsinnigen auf humane Weise anstrebte; bis dahin tödtete man sie oder hielt sie in engen Kerkern gefesselt wie wilde Thiere. Das Robert- Fleury'sche Bild stellt den Arzt inmitten einer Anzahl wahn­sinniger Weiber dar, denen die Fesseln von den Hospitalbediensteten abgenommen werden. Einige der Unglücklichen benutzen ihre Freiheit, um sich die Haare auszuraufen, die Kleider abzureißen und ihren Körper auf der Erde herumzuwälzen, während ihre verzerrten Mienen ein getreues Spiegelbild ihrer gestörten Geisteskräfte darbieten, andere blicken furchtsam und scheu um sich, sie trauen der plöglichen Güte ihrer bisherigen Wärter nicht; die dritten drängen sich an den Arzt, um ihm Hand und Rocksaum zu küssen. Fürwahr, ein rührender Anblick, der uns die übrigen Schreckensszenen fast vergessen läßt! Und wie herrlich steht er da, der Mann, in dessen edler Seele das tiefste Mitleid für die ohne ihre Schuld Unglücklichen glüht. Da stoßen wir auf keine pathetische Attitüde, auf kein theatralisches Mienenspiel, auf keinen falt­blütig berechneten Effekt, welcher in den meisten französischen Bildern zu dominiren pflegt.... Dieser Mann steht da, so natürlich, so ein­fach in seiner Haltung, so treuherzig in seinem Gesichtsausdruck, daß man ihn unwillkürlich lieben und bewundern muß. Wer wird vor diesem Bilde nicht zu schönen, edlen Gedanken angeregt, wer sieht in