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schlagendste, bündigste:" Was man nicht weiß, das eben brauchte| haft ganze Natur erscheinen läßt. Wie yon einem Aezstoffe ist man, und was man weiß, kann man nicht brauchen."

Und damit nur ja auch nicht der allergeringste Zweifel darüber bestehen bleiben könne, wie und wovon das gemeint sei, bedient sich Goethe dieser Worte ausdrücklich über das gesammte Unterrichtswesen. Ist solchem Wissen mithin nicht die schlichte, unverfälschte Unwissenheit vorzuziehen, wenn schon aus keinen andern, so doch wenigstens aus der Dreieinigkeit der höchst praktischen Gründe ersparter Zeit und Mühe, und ersparten Geldes?!

Dieweil ich ein gründlicher deutscher Forscher bin, fängt in­dessen meine Aufgabe hier erst recht an! Wir sehen den Wissenden schlecht, den Unwissenden gut fahren das ist Thatsache! Aber woher diese Thatsache? Warum ist dem so, was ist der innere Grund dieser( nur) äußerlichen Erscheinung? Das muß sich nun ebenfalls aus der Natur des Wissens an sich und seiner älteren Schwester" ergeben. Alle Forschung beruht im Grunde nur auf reiner Anschauung, ist solche. Betrachten wir also, dem Spruche gemäß: Die Jugend spricht: so ist es!

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Das Alter wägt und mißt es,

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den mit Wissenschaft Beladenen wie finden wir ihn? Zunächſt: nie im vollen, ungetheilten Genusse seines Besitzstandes, seines Wissenschatzes, denn alles Wissen ist Stückwerk!" Es findet nie einen Abschluß, hat keine Grenze. Jemehr einer weiß, desto mehr nur will er wissen, gerade wie der Reiche immer reicher werden, immer mehr erwerben will. Ein rastloser Trang treibt, ein wahrer Heißhunger, ein ganz unlöschbarer Durst des Wissens verzehrt ihn die Wissenslust und ihre Befriedigung weckt steigende Tantalusqualen, ist Sisyphusplage und Danaidenarbeit zugleich! Denn jemehr man weiß, destomehr erkennt man alle Unzulänglichkeit des Wissens. Der Wissensgerüstete ist denn also bescheiden, wahrhaft bescheiden, nicht bescheiden" in jener pfäffisch­heuchlerischen oder auch lumpen" haften Weise, von der Goethe spricht. Wahre Bescheidenheit ist aber in dieser Welt sich überall vordrängelnder, begehrlichster Unbescheidenheit eine höchst unprat tische Eigenschaft, ja es ließe sich unschwer beweisen, daß sie nach ,, liberaler" Theorie und Gepflogenheit sogar ein starkes Laster sein müsse.( Davon indessen ein andermal!) Dem Wissens­gerüsteten fehlt damit aber auch das Selbstvertrauen, das in heutiger Zeit so benöthigte, um in der Welt vorwärts zu fommen". Ein sauberer Nußen das des Wissens, nicht wahr?! Wenn das Wissen also negativ, statt positiv, wirkt, so muß es doch eben ein lebel sein. Man lernt nun von sich selbst nichts zu halten welcher Widersinn! Nun weiß ich zwar wohl, daß es gewöhnlich heißt, es verhalte sich vielmehr umgekehrt: die Wissenden, Gelehrten seien anmaßend, unverschämt u. s. w. Allein, das können nach dem, was wir gefunden haben, entweder nur Scheingelehrte sein, die Gelehrtheit affektiren, oder ganz Naive, die sich bona fide( ehrlichen Glaubens) für Gelehrte halten oder aber: es ist diese Behauptung überhaupt eine der höchsten Unwissenheit. Kurz, dem Wissenden fehlt jene Geschlossenheit des Charakters, die den Menschen so wohlthuend als eine fern­

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das solide Metall seines Wesens durchfressen: der ächte Mann der Wissenschaft ist behutsam, grüblerisch, leicht zu Zweifeln ge­neigt und man merkt ihm das alles nicht selten auch in der äußern Erscheinung an. Sind denn die Herren in dieser Be­ziehung nicht schon geradezu stereotype Figuren des Scherzes, des Wizes, der Satire geworden? Von tausend und aber tausend Beispielen nur eines herauszugreifen, sei an das Bild der Fliegenden Blätter " erinnert, wie jener Professor Tag für Tag ganz leise und höchst vorsichtig, man fönnte glauben furchtsam, an dem bei einem Hausbau beschäftigten Maurern vorüberschleicht, bis ihn endlich einer derselben darüber befragt. Ja, liebe Leute," gibt er zur Antwort, ich weiß aus eigener Erfahrung, wie un­angenehm das ist, wenn man in seiner Arbeit gestört wird." Berührt sich dies schon mit einem weiteren Eigenheitszuge der Gelehrten, nämlich der Zerstreutheit, so muß ich freilich gänzlich darauf verzichten, einen der Legionen Fälle auszuwählen, in welchen sie durch eben diese dem Fluche der Lächerlichkeit" ver­fallen sind. Noch heute muß ich lächeln, wenn ich daran denke, wie wir vor beinahe zwanzig Jahren in einer der größten Welt­städte, wenn uns ein recht unmodischer, gleichsam zerknittert­versessener Steifling begegnete, zu sagen pflegten: Das ist gewiß wieder ein deutscher Gelehrter oder Professor!" Der Gelehrten­typus ist sofort, und zwar nicht zu seinem Vortheile, erkenntlich, wenigstens bei uns in Deutschland . Andererseits aber hat er nicht selten sogar etwas Unheimliches wie hohläugig blickt er oft drein! So, daß man unwillkürlich an Cäsars Wort gemahnt wird: Der Cassius dort hat einen hohlen Blick; Er denkt zu viel: die Leute sind gefährlich.

5, über diese gefährlichen Denker!...

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Was für einen erquickenden Gegensatz hierzu bildet doch der Unwissende! Mit welcher massigen manchmal sogar mastigen" ( wie Elephantenkälber!) Festigkeit und Sicherheit tritt er nicht auf! Wie ruht er doch mit unerschütterlichem Selbstbewußtsein in sich selbst, wie tief aus dem einheitlichen Mittelpunkte der Un­wissenheit hervor ist nicht sein ganzes Wesen bestimmt! Er ist im sicheren, ruhigen Besitze seiner Habe, wenn er nur will! Denn seine Unwissenheit kann sich jeder intakt erhalten. Mit welchem Aplomb schreitet er einher, welche Kompaktheit der ganzen Gestalt! Wie freundlich rund, röthlich- feist glänzt nicht selten die Vollmondscheibe seines Antlizes. Nur muß das ist voraus­gesezt nur muß auch seine Unwissenheit eine so recht kompakte, die imposant schwarze Nacht derselben darf von keinem Strahl des Wissens erhellt, zerrissen, durchlöchert sein! Nur dann wirkt sie voll, mit ungebrochener Kraft, denn nur dann haben wir ja die wahre Unwissenheit vor uns, während von mancherlei Kennt nissen und theilweisem Wissen unterbrochene Unwissenheit einen halb und halb verächtlichen Eindruck macht: die Halbwisserei ist in der That eine der widerlichsten Formen des Wissens, beinahe ebenso verdammlich wie das allergediegenſte Wissen! ( Schluß folgt.)

II.

Kunst und Revolution.

Von W. H.

Gegen das künstlerische Handwerk" und für die wahre Kunst haben allerdings seit Jahrhunderten edle Geister ihre Stimme erhoben, doch sie verhallte, wie die des Predigers in der Wüste. Und große Dichter sind erstanden, die Aeschylos und Sophokles freudig Brüder nennen würden, aber ihr Ruhm ist vergänglich, denn ihnen war verwehrt ein wahres Kunstwerk, zu schaffen. Denn das große, wirkliche eine Kunstwerk können sie nicht allein hervorbringen, sondern dazu muß das Volk mit wirken: Die Tragödie des Aeschylos und Sophokles war das Werk Athens ."

Und nun sagt Wagner weiter:" Was nützt es, daß Shake­ speare als zweiter Schöpfer den unendlichen Reichthum der wahren menschlichen Natur uns erschloß? Was nüßt es, daß Beethoven der Musik männliche, selbstständige Dichterkraft verlieh? Fragt die armseligen Karrikaturen eurer Theater, fragt die gassen

hauerischen Gemeinpläße eurer Opernmusiken und ihr erhaltet die Antwort! Aber braucht ihr erst zu fragen? Ach, nein! ihr wißt recht gut, ihr wollt es ja eben nicht anders, ihr stellt euch nur, als wüßtet ihr es nicht."

Darum antwortet der große Künstler auf die selbst gestellte Frage: Was ist nun eure Kunst, was ist euer Drama?" mit bitterem, einschneidendem Hohne:

Die Februarrevolution entzog in Paris den Theatern die öffentliche Theilnahme; viele von ihnen drohten einzugehen. Nach den Junitagen fam ihnen Cavaignac , mit der Aufrecht erhaltung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung beauftragt, zur Hilfe und forderte Unterſtüßung zu ihrem Weiterbestehen. Warum? Weil die Brotlosigkeit, das Proletariat, durch das Eingehen der Theater vermehrt werden würde. Also blos dieses Interesse hat der Staat am Theater! Er sieht in ihm die industrielle Anstalt, nebenbei wohl aber auch ein geiſt­