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Melanchton als Politiker. Wenn einer sich in einen Zobel­pelz verliebt, zieht's ihn aus freien Stücken nach Sibirien ." Luther hat das erlebt. Als der Bauernkrieg ausbrach, nahm er Partei für die konservativen Interessen, rutschte auf der schiefen Ebene hinunter und ward zuletzt in Wahrheit ein protestantischer Hezkaplan. In der Brust des geistesklaren Zwingli weht bereits ein Hauch des modernen Bewußtseins; er ist schon ein Bürger der neuen Zeit, während Luther an der Grenzscheide verdrießlich stehen bleibt. Im Augenblick, da der Born in ihm aufflammt, da er aufathmet von einem schweren Druck, kündet er Rom den Gehorsam, doch die Kutte vermag er nicht ab­zustreifen, sie schlägt ihm zeitlebens um die Beine. Wenn er Zwingli und dessen Freunden zuruft: Ihr habt einen andern Geist!" so war das vollkommen richtig. Von der Weltanschauung des Schweizers trennte ihn eine unüberbrückbare Kluft. Eine Weiterbildung der Re­formationsidee lag ihm fern; es begreift sich leicht, wenn er in seiner Einsamkeit auf der Wartburg auf den Gedanken geräth, die Bilder­stürmerei in Wittenberg sei eine vom Teufel eingebrockte Suppe. Er war nicht der erste und wird nicht der letzte sein, dem ob den Kon­sequenzen seiner eigenen That zu grauen beginnt. Man kann nicht gleichzeitig an den Satan und an die Freiheit glauben. So tief hat sich der mönchische Haß in Luthers Wesen eingefressen, daß er kurz vor seinem Tode das hart an einen Widerruf streifende Wort ausspricht: ,, Es ist ein Wunder und ein sehr ärgerlich Ding, daß, nachdem die reine Lehre des Evangeliums wieder an den Tag gekommen ist, die Welt immer ärger geworden ist. Jedermann zieht die christliche Frei­heit nur auf fleischlichen Muthwillen. Wenn ich es vor meinem Ge­wissen könnte verantworten, so würde ich lieber dazu rathen und helfen, daß der Papst mit allen seinen Greueln wieder über uns kommen möchte, denn so will die Welt regiert sein: mit strengen Geseßen und mit Aberglauben. Ich bitte Gott um ein gnädiges Stündlein, daß er mich von hinnen nehme und den Jammer nicht sehen lasse, der über Deutschland kommen muß...."

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Die trostloseste Verzweiflung! Kein Wunder übrigens, die Fürsten hatten ihm für sein Wüthen gegen die bäuerischen Rebellen nicht sonderlich gedankt. Sie hatten gleich von Anfang der reformatorischen Bewegung an vergnügt die Kirchengüter eingesact, hatten natürlich auch nichts dawider, daß die Reformatoren den beschränkten Unterthanenverstand predigten. Sie ließen sich wegen der, Reinheit" des Evangeliums keine grauen Haare wachsen, sie legten es genau nach ihrem Bedarfe aus. In seiner Schrift wider den Herzog Heinrich von Braunschweig klagt deshalb Luther : Sie haben aus unseren Büchern gelernt, daß man die Obrigkeiten und Herrschaften soll ehren. Das ziehen sie dahin: was die Person Heinz thut, soll man ehren; so wir doch allein das Amt und Recht gemeint und ver­standen haben und zum Wahrzeichen viel Fürsten und Herren gestraft haben, daß sie ihr Amt nicht thun: so mengen sie es so schändlich und meinen, alles was die Person will und denkt, das sei der Obrigkeit oder Amtes Werk.... Was hilft doch unser Predigen, wenn man dies Stück noch nicht lernen will oder kann: wenn das soll recht sein, was die Person, so im Amt sitzt, will und thut, so ist's gar aus und regieren eitel Heinzen und Teufel und ist sein Gebot schlecht, todt und nichts...."

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Vergebliches Knurren! Der Herr Professor hatte es so gewollt. Auch Melanchton , Luthers treuer Gefährte, der voll Gift und Galle gegen die radikalen Elemente war, ärgerte sich schwer über die erbärm­liche Haltung der Landesväter. Von der Idee des Humanismus durch tränkt, hatte er für die politische Freiheit und deutsche Nationalität geschwärmt; als aber das Wort That werden wollte, als der Strom über das Wehr rauschte, da erschrat der furchtsame Stubengelehrte bis in's Fundament, und in seinem Buch ,, wider die Artikel der Bauern" vertrat er die Anschauung, daß man ein so muthwilliges, ungezogenes, blutgieriges Volk noch ärger schinden sollte. Das geschah denn auch, als die Empörung durch Gewalt und Verrath niedergeworfen war. Doch dabei blieben die Herren nicht stehen, sie ließen dem Eigennuß vollen Lauf und kümmerten sich wenig um ihre" Theologen. Erbittert über die ,, allerhöchste" Gemeinheit schrieb Melanchton an Luther hin­sichtlich des Regensburger Reichstags: Du erinnerst Dich, wie unser Fürst beim Lesen der Odyssee die Homerischen Possen( wie er es nannte) verlachte. Aber noch viel größer ist der Unsinn dieser Zusammenkünfte. Ich sterbe, wenn ich an die Intriguen und Kabalen der Fürsten denke. Daher kannst Du Dir wohl vorstellen, daß ich viel lieber bei Dir wäre, als bei diesen Ungeheuern, die den Namen Fürsten führen." An Bucerus schrieb er 1543: Die Fürsten hören nicht auf unsere Rath schläge. Dennoch habe ich immer zur Mäßigung ermahnt und werde es thun, so oft sich Gelegenheit bietet. Ich würde die Unbeständigkeit des Willens unserer Fürsten fürchten, wenn es einmal zum Kriege täme; noch viel mehr aber würde ich ihren Sieg fürchten, auch wenn wir Konstantine und Theodose hätten. So aber, da sie in den Wäldern, unter Jägern und Centauren aufgewachsen sind und sich um das Rechte, worauf sie doch am meisten sehen sollten, niemals oder doch nur oben­hin bekümmert haben, was kann denen für ein Rath gegeben werden." An Veit Dietrich richtete er die Worte: ,, Wie viel Aufrichtigkeit, Wahr heit und Frömmigkeit in solchen Geschäften herrscht, welche nach dem Gutachten der Fürsten geleitet werden, habe ich nur zu oft erfahren. Scham und Gerechtigkeit ist weit weg von den Zusammenkünften der Tyrannen. Dafür bringen sie Pleonerie, Schamlosigkeit und Sophistik Und' in einem Briefe an Camerarius meint er: ,, Mein eigenes

mit."

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Unglück trage ich viel leichter, als die politischen Grundsäße einiger unserer Fürsten, welche ihre leichtfertigen Begierden über das Wohl der Kirche und das Vaterland seßen." Er findet, zwischen den Tyrannen und den Philosophen sei keine Verbindung möglich," darum wird ihm zuletzt der Aufenthalt am Hofe zur Qual, und stöhnend ruft er: So sehr haben mich die Fürsten gepeinigt, daß ich unter diesen Mühselig­feiten nicht länger leben mag. Ich weiß, was ich für eine Knechtschaft getragen habe." Er erwartet nur noch Schlechtes von dieser Seite. Im Jahre 1542 schreibt er: ,, Die Feigheit, Zwietracht, Treulosig­feit unserer Fürsten ist so arg, daß man an eine gemeinsame Verthei­digung des Vaterlandes garnicht denken kann. Wie Thyestes in der Tragödie seinen eigenen Untergang verschmerzt, wenn nur der Bruder untergeht, so sehe ich auch unsere Pelopiden von derselben Leidenschaft beherrscht."

In keiner Familie etwas Herrisches," bemerkt er in einem Hin­weis auf die entarteten Herren; alle sind von Schulden fast erdrückt; ihre Habgier, ihre Plünderungssucht ist ungeheuer."

Derselbe Gedanke kehrt in zahlreichen Stellen wieder. Melanchton hat die Monarchie kennen gelernt und seine Hochachtung für sie ist da­durch ganz und garnicht gestiegen; mußte er sich doch sattsam über­zeugen, daß der ,, Sieg des Evangeliums" für die Monarchen nur die Bedeutung eines einträglichen Geschäftes hatte. Die städtischen Repu­bliken, in welchen doch noch Sinn für ein kräftiges nationales Streben und wissenschaftliche Regsamkeit daheim waren, sind in seinen Augen die einzigen Stätten, auf die er noch Hoffnung setzt. ,,, ihr Glück­lichen!" schreibt er einem Genossen in Nürnberg ; ihr lebt in der Re­ publik ! Wenn auch manches vorkommt, was mir mißfällt, so ist das allgemein und ihr habt keine Schuld daran. An den Höfen ist das ganz anders." Und weiter an anderer Stelle heißt es: ,, Wie einst nach der Sage die Asträa, von den Höfen vertrieben, zu ehrbaren Gesell­schaften entflohen ist, so werden bald die Wissenschaft und die Religion in die republikanischen Städte fliehen..... Obgleich das Evangelium überall zu kämpfen hat, so ist doch mehr Ruhe in den Republiken. Unsere Höfe sind Kloaken." aber es ist daran zu erinnern, daß

Eine scharfe Sprache,

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Melanchton damit nicht etwa vor's Volf trat. O nein, soweit vergaß er sich nicht, die theologische Taubeneinfalt hielt ihn von energischen Schritten zurück. Nur in den Briefen an seine intimsten Freunde, von denen er wußte, daß sie keinen ,, Mißbrauch" mit den Episteln treiben würden, wagt er, so feck und rückhaltlos sich auszusprechen. So war ia der Liberalismus jederzeit: kühn, solange keine Gefahr droht, wird er zaghaft, wenn die Krisis anhebt, um servil zu enden. Vor lauter Schrecken über den Sturm, den er entfesselt, verleugnet er öffentlich, erniedrigt sich zum Denunzianten, überbietet an Eifer die Reaktion. zuletzt wird's ihm freilich zu bunt, aber es fehlt ihm der Muth, um sich ehrlich loszusagen, und er begnügt sich, in der Stille, im Kreise geholfen; grundsätzlich war seine Hinneigung zur Republik ganz und garnicht.

von Vertrauten jene Gewalt zu verurtheilen, der er in den Steigbügel

Es gibt eine Nemesis in der Weltgeschichte. Luther und Melanchton haben ihr Walten verspürt. Sie segneten die Ruthe, mit welcher die Bauern gezüchtigt wurden, um sich bei den Herren angenehm zu machen, litten dann selbst unter dem Zustand, den sie mit dem Wort Gottes gerechtfertigt.

Auf eine Entschuldigung haben die frommen Glaubensmänner immerhin Anspruch. Sie lasen die Bibel in ihrer Ursprache und kannten die alten Juden, aber die Zeichen der Zeit verstanden sie nicht zu lesen und die treibende Kraft der Geschichte blieb ihnen verborgen. Hätten sie ein richtiges Verständniß für die Entwicklung besessen, sie wären nicht so unmuthig und verbissen abgestanden und Melanchton würde nicht seine Hoffnungen auf die aristokratischen Städterepubliken ge­setzt haben. Denn diese Republiken hatten den Schaden, nicht die Fürsten . Sie büßten eine Menge ihrer Privilegien ein, wurden gebrand­schaßt und durch stärkere Gewalten niedergetreten. Am Ende des Bauerntrieges", sagt Friedrich Engels in seiner kleinen, aber vorzüg­lichen Schrift über dieses Ereigniß ,,, konnten nur die Fürsten gewonnen haben. So war es auch in der That. Sie gewannen nicht nur relativ dadurch, daß ihre Konkurrenten, die Geistlichkeit, der Adel, die Städte geschwächt wurden; sie gewannen auch absolut, indem sie die Hauptbeute von allen übrigen Ständen davontrugen. Die geistlichen Güter wurden zu ihrem besten säkularisirt; ein Theil des Adels, halb oder ganz ruinirt, mußte sich nach und nach unter ihre Oberhoheit geben; die Brandschaßungsgelder der Städte und Bauernschaften flossen in ihren Fiskus, der obendrein durch die Beseitigung so vieler städtischen Privi­legien weit freieren Spielraum für seine beliebten Finanzoperationen gewann."

R. R.

Er

Graf von Saint Simon ( Porträt Seite 608), geboren am 17. Oftober 1860, war schon in seiner Jugend von der fixen Idee be­fangen, daß er vom Schicksal bestimmt sei, einstmals eine große Rolle zu spielen, sozusagen der Reformator seines Volkes zu werden. befahl deshalb seinem Diener, ihn jeden Morgen mit den Worten zu wecken: ,, Stehen Sie auf, Herr Graf, Sie haben große Dinge zu ver­Zunächst widmete sich der junge Graf selbstredend dem Militärdienst und kämpfte an der Spiße einer Kompagnie in den Jahren 1779-1783 für die nordamerikanischen Kolonien in ihrem Befreiung 3-

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