-
-620
fampfe gegen England. Als Oberst kam er nach Frankreich zurück und quittirte alsbald den Militärdienst. Im Besige eines großen Vermögens, machte er mehrere größere Reisen; dann suchte er durch allerlei Spekulationen, im Verein mit einem preußischen Grafen Roeder, sein Vermögen noch zu vergrößern. Dies gelang ihm ganz vortrefflich, indem er die Güter der Emigranten wohlfeil ankaufte und sie später mit großem Gewinn wieder verkaufte. Während der Herrschaft des Konvents wurde Saint Simon als Verdächtiger in's Gefängniß geworfen, doch beim Sturze Robespierres wieder entlassen. Nun führte der Graf ein äußerst verschwenderisches Leben, er hielt ein gastfreies Haus, versammelte die gelehrte Welt um sich, machte zahlreiche große Reisen, verheirathete sich auf die Dauer von einem Jahre, zahlte seiner jungen Frau bei der Scheidung eine bedeutende Summe und verfiel dann immer mehr in Ueppigkeit und Ausschweifung, bis der letzte Rest seines Vermögens vergeudet war. Nahrungssorgen machten nunmehr St. Simon zum Schriftsteller. Daß es ihm nach solchem Leben noch gelang, sich einen bedeutenden Namen zu erwerben, daß es ihm gelang, sogar die Grundlagen einer sozialen Religion, welche in Frankreich , wenn auch nur kurze Zeit, eine immerhin bedeutende Volkszahl beherrschte, zu schaffen, das beweist die Fülle der Kraft, welche die Natur in diesen außerordentlichen Mann gelegt hatte. Im Jahre 1819, in den Zeiten der finstern Reaktion, erschien in Paris eine Schrift ,,, Parabole", die großes Aufsehen machte; der Verfasser war Graf von Saint Simon , der als alter, fast gebrochener Mann in einem Pfandhause als Schreiber sein Brot verdiente. In der Schrift warf er unter anderm die Frage auf, ob Frankreich mehr verlöre, wenn ihm an einem Tage die besten Künstler, Schriftsteller, Gelehrten und Gewerbtreibenden, oder wenn ihm plößlich der König, die Prinzen, alle Anverwandte des königlichen Hauses, dann die Herzöge, Grafen und großen Gutsbesizer stürben. Die Antwort fiel natürlich mit beißender Jronie zu Ungunsten der lettgenannten aus. Der dieser Schrift wegen angestrengte Prozeß endete mit einer Freisprechung und lenkte die Augen von ganz Frankreich auf den sonderbaren Mann. Vorher hatte er sich in zwei Schriften mehr speziell an den Kaiser Napoleon gewandt, doch scheinen diesem die darin gemachten Vorschläge, z. B. ein europäisches Schiedsgericht, nicht besonders behagt zu haben. Wenigstens hat man von keiner weiteren Annäherung des neuerungssüchtigen Grafen an den gewaltigen Kaiser gehört. Nach dem durchschlagenden Erfolge der Schrift ,, Parabole" aber erschienen in rascher Reihenfolge weitere Erzeugnisse seines Geistes, in denen Saint Simon sich noch offener über verschiedene Ideen der gesellschaftlichen Reform aussprach:„ Die Reorganisation der europäischen Gesellschaft", ,, Das industrielle System",„ Der Katechismus der Jndustriellen". Aus seiner materiellen Noth kam er aber auch durch Herausgabe dieser Schriften nicht heraus; er erwarb sich wohl Anhänger, aber meist in den Reihen der Armen und Handwerker; daß die herrschende Richtung in der Presse und in der Gesellschaft den Neuerer mit Spott und Hohn übergoß, ist selbstverständlich. Darüber empört und niedergeschlagen, machte er einen Selbstmordversuch im Jahre 1823, bei welchem er sich in's Auge schoß. Kaum genesen, verfaßte er sein Hauptwerk: Das neue Christenthum". Die erstarrte christliche Religion müsse neubelebt werden und zwar derart, daß sie die Verbesserung der Lage der zahlreichsten und ärmsten Volksklasse bewirke." Die Doktrin SaintSimons war also mehr eine religiöse als eine sozialpolitische. Sein Ausgangspunkt war die Ersetzung der abgestorbenen Religionen durch eine neue, deren Offenbarung er von Gott erhalten zu haben vorgab. Er wollte die Klassengegensäße aufheben, die räuberische Konkurrenz durch Harmonie, durch eine die ganze Menschheit umfassende Assoziation, beseitigen, die auf dem Grundsay: Einem jeden nach seiner Fähigkeit, einer jeden Fähigkeit nach ihren Leistungen begründet sein sollte. Das Eigenthum sollte in dieser Assoziation nicht mehr auf Gewalt, Ausbeutung, Eroberung, Privilegien und Erbschaft, sondern nur auf der Arbeit beruhen. Saint Simon verwarf das Erbrecht, proklamirte die Pflicht, zu arbeiten und predigte eine neue, durch Liebe, Ordnung, Wirthschaftlichkeit und Enthusiasmus getragene, friedliche Organisation der Gesellschaft, in welcher durch etn gemeinsames Erziehungssystem die allgemeinen und besonderen Fähigfeiten eines jeden möglichst entwickelt würden. In dieser ,, allgemeinen Kirche", die durch friedlichen Fortschritt, durch Selbstvervollkommnung herbeizuführen sei, sollte eine neue Theokratie, nach dem Plane des Stifters eingefeßt, die Arbeit, die Arbeitsmittel und die Belohnungen vertheilen. Der große Vertheiler", der soziale Priester" sollte einen Priester der Wissenschaft und einen Priester der Industrie ernennen und das Banksystem, das alle materiellen, und das Unterrichtssystem, das alle geistigen Bedürfnisse befriedigen werde, organisiren. Die Wiedereinsetzung der Sinnesgenüsse in ihre Rechte und die Emanzipation des Wibes sollte die so umgestaltete Gesellschaft zu der höchsten Stufe des Glückes bringen, deren die Menschheit fähig ist. Zahlreiche Jünger
"
-
" 1
schaarten sich jetzt um den Verkündiger der neuen Religion, der jedoch bald schon, am 19. Mai 1825 in ärmlichen Verhältnissen starb. Seine Lehre wurde noch weiter ausgebildet, und stand dieselbe besonders unter Führung Enfantins in großer Blüthe. Gegenwärtig aber sind in Frankreich nur noch einige wenige zerstreute Schwärmer, welche dem Saint- Simonismus angehören.
―r.
Da die Auflösung des Räthsels in Nr. 42 noch von niemandem eingesendet worden ist, so drucken wir dasselbe nochmals ab und setzen auf die Lösung einen Preis, dergestalt, daß unter den ersten zehn Einsendern ein durch das Loos Ausgewählter den letzten Jahrgang der , Neuen Welt" in Prachtband, und ein aus den nachfolgenden Zehn Ausgeloster sämmtliche sozialistische Agitationsbroschüren erhalten soll. Red. der ,, Neuen Welt".
"
Vierfilbige Charade.
Die erste sowohl, als die zweite, dritte und vierte Sind dir die zweite und dritte,
Doch während die eine nur einfach dir zweite und dritte, Müssen's die anderen sein in vielfacher Mehrzahl; Obgleich allerdings die erste nirgend mehr zweite und dritte Und die Mehrzahl der zweiten, dritten und vierten es gleichfalls dir nicht sind, Beil sie es andern sind und gleichzeitig nicht sind. Daß du dem ganzen entflohn, das dank' du deinem Jahrhundert, Welches die erste gemacht zu deinem zweiten und dritten Und gesorgt, daß fortan sie die zweite und dritte nie mehr wird. Maximilian Dittrich.
Aerztlicher Briefkasten.
Berlin . W. S- un. Die zeitweise bei Ihnen auftretenden Schmerzen in der rechten Nierengegend, welche bis zu den Geschlechtstheilen ausstrahlen und mit Harnzwang verbunden sind, ebenso der saßige und trübe Harn, deuten an, daß Sie nierensteinkrank sind. Die gleichzeitig vorhandenen Erscheinungen von Seiten des Magens sind nur konsensuell. Vermeiden Sie Fleischspeisen und gegohrene Getränke, wie überhaupt Spirituosen, und halten Sie Sich vorzugsweise an Bilanzenkost. Auch ist der fleißige Genuß frischen Quellwassers anzurathen. Morgens ſezen Sie dem legteren einige Theelöffel voll doppeltkohlenjauren Natrons zu. Gegen die Nierenſteinkolik( also die Schmerzanfälle selbst) gibt es kein anderes Mittel, als Morphium, welches Ihnen der Arzt verordnen muß. Joseph W- c. Gegen Ihr Leiden dürfte sich die Anwendung der Massage nüßlich erweisen. Sie finden über die Heilmethode einige Belehrung in dem gegenwärtigen Jahrgang dieser Zeitschrift.
Wechselburg . L. Nicht blos der Bandagist R. in L., sondern auch viele andere ähnliche Geschäfte führen Respiratoren. Doch wendet lettere kein vernünftiger Arzt mehr an, sondern er verordnet Lungenfranken, bei geschlossenem Munde durch die Nase zu athmen, und bei scharfer und falter Luft einen leichten Shawl vor Mund und Nas: zu binden, sofern sie in's Freie gehen müssen. Durch den Respirator nämlich wird wohl warme Luft eingeathmet, aber andrerseits auch die völlige Ausathmung der mit Kohlensäure in der Lunge geschwängerten Luft verhindert, sodaß der Kranke stets einen Theil der verdorbenen Luft wieder mit einathmet. Nichts aber ist nachtheiliger für Lungenfranke, als wenn sie ihrer Lunge keine sauerstoffreiche Luft zuführen, welche eben nicht durch einen Respirator zu beziehen ist, sondern nur im Freien oder in fleißig gelüfteten Zimmern genossen werden kann. Die übrigen Korrespondenten erhielten, wenn thunlich, direkte Antwort. Dr. Rejau.
Redaktions- korrespondenz.
Kiel . M. Die ,, Kölnische Zeitung " war es, welche die ersten Telegramme gebracht, und zwar noch ehe es in Deutschland eine der Allgemeinheit zur Verfügung gestellte Telegraphenleitung gab. Die Redaktion ließ sich nämlich die Telegramme von Baris nach Brüssel , von leyterem Orte aus sofort brieflich übermitteln.
Landsberg . L. u. Sie figen also am Klavier- ,, Und über die Tasten rasen Die Finger in wildem Schmerz, Die verzweifelten Töne zerreißen Ohne Gnad' und Erbarmen mein Herz" Nun, so hören Sie doch auf mit dem verzweifelten Spektakel.
Brieg . F. R. Ihre Freundschaft würden wir verscherzen, wenn wir fünftig nicht wenigstens fünfmal soviel Gedichte brächten, als bisher? Sie verlangen viel. Indessen sollen Sie sehen, daß wir jedem Wunsche gerecht zu werden suchen. Geben Sie uns Ihre genaue Adresse an; dann senden wir Ihnen allmonatlich zwei bis drei Dutzend Gedichte ( wenn Sie wollen, auch das Doppelte oder Dreifache) im Manuskripte zu. Damit werden Sie Sich zufrieden erklären und die übrigen Leser, an denen wir diesen Kelch vorübergehen laffen, auch. ( Schluß der Redaktion: Montag, den 9. September.)
-
Ueber die Vorzüge der Unwissenheit. Kunst und Revolution, Inhalt. Das Patent, Novelle von A. Otto- Walster( Fortsetzung). Sic transit gloria mundi. von W. H.( Fortsetzung.) Moderne Gattinnen. Skizze aus der Gesellschaft, von M. Kautsky( Fortsetzung). Gedicht von R. Lavant( mit Illustration). Melanchton als Politiker. Graf von Saint Simon ( mit Porträt). Viersilbige Charade. Aerztlicher Brieftasten. Redaktionskorrespondenz.
-