binder schüttelte den Kopf und schwieg. Ich bot ihm der Betrag für den Einband meines Buches im voraus an; er verweigerte es mit edlem Stolz, der einzigen Reliquie seiner ehemaligen Wohlhabenheit, worauf ich dem einen Kinde ein Geldstück mit der Bemerkung gab, sich dafür etwas zu kaufen.

Seit acht Tagen bin ich zum Nachtdienst kommandirt.­Man arbeitet von morgens bis zum nächsten Morgen, kommt dann übermüdet, fiebernd und aufgeregt nachhause, und hat einen freien Tag. Freier Tag klingt schön! Aber der Teufel hat dieses Wort erfunden, Narren erscheint er göttlich! Zweimal in der Woche Nachtdienst, das gibt zwei solcher freien Tage, an denen man Zeit hat, mit einiger Ruhe ich bin oft wißig über die göttliche Weltordnung nachzudenken!

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Wenn ich mir die Thatsache erklären soll, daß mir von allen Seiten die Herzen zufliegen, daß man mir bereitwilligst die Thüren öffnet und mich zu Gast ladet, so kann ich den Grund nur in dem Verständniß für fremder Menschen Leiden und Schmerzen finden, in dem Mitgefühle, das in mir lebt für all' die, welche ihr schweres Kreuz daher schleppen. Das Bedürfniß der Menschen, sich mir mitzutheilen, unaufgefordert das Ent­hüllen von tausend Kleinigkeiten, die fortwährende Frage, was ,, ich" wohl in diesem oder jenem Falle machen würde, das alles ist mir oft grenzenlos lästig und peinigend und oft empfinde ich es als einen Fluch, daß gerade ich es bin, der täglich mehr den Kelch der Leiden kennen lernen soll. Zu meiner Wirthin kommt bistveilen eine alte Jüdin. Sie bat mich neulich, sie gelegent­lich auch einmal aufzusuchen und heimlich fügte sie hinzu, daß ich ihr bei etwas behülflich sein möchte, das ich doch am besten verstünde. Da meine Wirthin die Frau als eine arme Person hinstellte, so folgte ich der mehr als bittenden Aufforderung und ging an einem der freien" Nachmittage zu ihr. Durch ein sehr armseliges Gemach gelangte ich in ein paar komfortable Zimmer. Die Frau machte mich nach längerer Zeit mit ihrer Absicht be­

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kannt. Ich sollte ihr ein Gesuch um eine Geldunterstüßung aus­stellen. Hatten mich schon die Kontraste in ihrer Wohnung über­rascht, so stieg mein Erstaunen durch dieses Ansuchen noch mehr. Sie bemerkte indeß nichts davon und während sie Papier und Schreibzeug herbeisuchte, kam ich trotz allem Widerwillen gegen diese Arbeit bei mir überein, das Treiben dieser seltsamen Frau zu erforschen. Die Redensart: Problematische Existenzen" fand Redensart: ,, Problematische einen neuen Beleg. Um kurz zu sein, schreibe ich hier nur das Resultat dieser meiner neuesten Bekanntschaft auf. Die Jüdin lebt in sehr guten Verhältnissen auf Kosten des Mitleids ihrer Glaubensgenossen. Ihre Wohnung ist in zwei Regionen getheilt. Was ich zuerst gesehen, war der Theil, wo der Besuch von Al­mosengebern empfangen wird, der bereits an Steptizismus im Geben leidet. So umgibt sie sich beständig mit dem Schein von Dürftigkeit, während sie in dem andern Flügel ihrer Residenz die Geschenke aufstapelt. Wenn sich meine Tochter verheirathet, muß ich ihr doch eine anständige Mitgift geben, sagte sie, wäh rend ich mich vergeblich bemühte, die angebliche Noth in den schrecklichsten und grellsten Farben auszumalen. Mit den Worten: Ich bin heute fürchterlich wüst im Kopf, ich werde morgen das Gesuch beendigen, verließ ich diese Stätte, scham­losesten Bettelns. Zuhause erzählte ich diese neue Vernichtung meiner guten Ansichten von der Welt meiner Wirthin, die zwar das Getriebe der Jüdin nicht billigte, doch keineswegs so ver­dammenswerth fand, wie ich es mit eifrigen Worten schilderte. Ein Mensch, der so etwas noch vertheidigt, kann meine Hoch­achtung nicht besitzen. Auch die können innerlich schlecht sein, die sich ängstlich bemühen, vor der Welt den Schein der Ehr­barkeit zu retten. Es ist die blanke Furcht, nicht die innere Ueberzeugung. Um eine Erfahrung reicher, schließe ich dieses trübselige Kapitel. Meine Bücher schlafen noch! ( Fortseßung folgt.)

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Voetische Aehrenlese.

Rettung.

Mein Mädchen ward mir ungetreu, Das machte mich zum Freudenhasser; Da lief ich wie ein fließend Wasser, Das Wasser lief vor mir vorbei.

Da stand ich nun, verzweifelnd, stumm; Im Kopfe ward mir's wie betrunken, Fast wär ich in den Strom gesunken, Es ging die Welt mit mir herum.

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Auf einmal hört' ich was, das rief- Ich wandte just dahin den Rücken Es war ein Stimmchen zum Entzücken: ,, Nimm dich in Acht! Der Fluß ist tief!"

Da lief mir was durch's ganze Blut, Ich seh', so ist's ein liebes Mädchen; Ich frage sie: wie heißt du? ,, Käthchen!" O schönes Käthchen! Du bist gut.

Du hälst vom Tode mich zurück, Auf immer dank ich dir mein Leben; Allein das heißt mir wenig geben, Nun sei auch meines Lebens Glück!

Und dann klagt' ich ihr meine Noth, Sie schlug die Augen lieblich nieder; Ich füßte sie und sie mich wieder, Und

vor der Hand nichts mehr von Tod.

Göthe .

Afrika und seine Erforschung. Geschichtliche Zusammenstellung von Dr. Mar Trausil.

( Schluß.)

Im Oktober 1879 ist der czechische Afrikareisende Dr. Holub aus dem äquatorialen Afrika mit kartographischen Aufzeichnungen der Kala­hariwüste nach Europa zurückgekehrt. Wie Beschuel- Lösche die Loango­Neger lobt, so weiß Dr. Holub auch viel Gutes von den Marutse- Mam­bunda- Stämmen, die unter gleicher Breite vom Mittelpunkt bis zur

Ostküste Afrikas wohnen, zu erzählen. Er berichtet folgendes darüber: ,, Von dem durch seine großartigen Viktoria- Fälle auch in Europa be­rühmt gewordenen, mächtigen Zambesistrom bogenförmig im Süden umsäumt, dehnt sich im Innern Südafrikas ein Eingebornen- Reich aus, das in jeder Beziehung das Interesse des Forschungsreisenden fesselt. Natur und Mensch stehen in diesem von Marutse- Königen beherrschten Reiche in so auffallendem Kontraste zu den benachbarten Gebieten, ins besondere aber zu den Ländern südlich des Zambesistroms, daß schon ein kurzer Aufenthalt von wenigen Tagen genügt, um die eigenthüm­liche Kulturstufe dieses südafrikanischen Reiches flar vor Augen treten zu lassen. Es gilt dies nicht nur von dem landschaftlichen Charakter dieser Gegenden, welche durch ihre üppige Vegetation den wohlthuend­sten Gegensatz zu den einförmig gewellten öden oder mit niedrigem Graswuchs und hie und da mit Buschwerk bedeckten Flächen des Salz­pfannengebietes bilden, sondern auch in Bezug auf die verschiedenartige Bevölkerung dieses Reiches, ihren physischen Typus und ihren psychischen Charakter. Sitten und Gebräuche, Tracht und Lebensweise, mit einem Worte alle einzelnen Kulturmomente stellen die Stämme des vereinigten Marutse- Mambunda- Reiches hoch über die übrigen Eingebornenstämme Südafrikas . Darf man aber im geringeren oder höheren Grade von Pietät in der Behandlung der Todten einen Maßstab für die Kultur­stufe eines Volkes suchen, so erhält der oben ausgesprochene Satz seine vollste Bestätigung durch die bei der Bestattung der Todten im Ma rutse- Mambunda- Reich üblichen Gebräuche. Während die Kaffern und Betschuanenstämme südlich des Zambesi ihre Todten im Dunkel der Nacht in der Nähe ihrer Hütten unter den Einfriedungszäunen bestatten und sich die größte Mühe geben, diese Stätten geheim zu halten, aus Furcht, es könnte die Ruhe der Hingeschiedenen durch Menschen oder Geisterhand gestört werden, treten im Marutse- Reiche die Ruhestätten der Todten allerorts deutlich erkennbar hervor, weil sie mit ringsherum gepflanzten Klapperbäumchen oder Jagdtrophäen, wie Elephantenzähnen und Antilopenschädeln geziert sind. Aber nicht nur die Wohnungen der Todten, sondern auch die der Lebenden, ja sogar die Behausung der Hausthiere sind reinlich und geräumig." Weniger gut ist der Reisende Holub auf die Hottentotten zu sprechen: In keinem zweiten Theile des großen afrikanischen Continents dürfte der Ausspruch von der dornen vollen Laufbahn des Forschungsreisenden so sehr seine innere Berechti gung aus der den Menschen umgebenden Pflanzenwelt ableiten, als in jenem Theile Südafrikas , der sich im Norden der Kap- Kolonie bis zu den beiden Strömen Zambesi und Cunano ausdehnt und durch die Kalahariwüste sein typisches Gepräge erhält. So wie im Norden Afri­tas unter dem Wendekreise des Krebses, so dehnt sich hier unter jenem des Steinbodes ein durch seine Regenarmuth charakterisirter Erdstrich aus, in welchem die Vegetation, durch die Wasserarmuth beeinflußt, die Blattbildung unterdrückt, an ihrer Stelle die Dornbildung im hohen Grade begünstigt wird. So sind die Gebiete der Namaqua und Be­