Forschungsfahrten im nördlichen Polargebiet. Geschichtliche Zusammenstellung von Dr. M. Traufil.
( Fortsetzung.)
Wir kommen an jene Wendung des Unternehmens, die nachher vielfacher Kritik unterworfen worden ist und zu amtlichen Vernehmungen der Betheiligten der Expedition vor dem Marineministerium der Vereinigten Staaten Veranlassung gab. Der Eismeister des Schiffes Sidney, D. Buddington, von dem Bessels sagt, daß seine viel gepriesene Erfahrung leider in keinem Verhältnisse zu dem Muth und der Begeisterung stand, die er an den Tag legte, erachtete es für ein Ding absoluter Unmöglichkeit, weiter nordwärts vorzugehen, meinte vielmehr, man müsse sich unverzüglich gen Süden zurückwenden und hier nach einem Hafen suchen. Der Führer der Expedition und einzelne seiner Offiziere theilten diese Ansicht, Bessels hingegen und drei andere Offiziere waren dafür, die nördliche Richtung der Fahrt noch immer festzuhalten, da der Mann im Mastkorbe, der Matrose Heinrich Hobby, im Nordosten viel offenes Fahrwasser signalisirt und sich dahin ausgesprochen hatte, daß, soweit er sehen könnte, die Eisverhältnisse kein Hinderniß darböten, noch weiter gen Norden vorzubringen. Ohne indeß selbst in den Mastkorb hinaufzusteigen, um sich mit eigenen Augen von der Sachlage zu überzeugen was seine Pflicht gewesen wäre und ohne die während des 30. und 31. August auf dem Schiffe gemachten meteorologischen Beobachtungen zu berücksichtigen von denen Bessels die später nicht mit verloren gegangenen mittheilt, aus welchen deutlich erhellt, daß in sechs Nebelstunden fünfmal feuchte Nordwinde wehten, die nur über offenes Wasser gestrichen sein konnten behauptete Buddington hartnäckig seine Meinung und Hall war schwach genug, diese Ansicht als die maßgebende zu betrachten.
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Also geschah es, daß man über eine Höhe von 820 26' nicht hinauskam, die am 4. September, im Süden der Lincolnsee( der Palaeocrystic Sea der Engländer), erreicht wurde, nachdem man in den letzten Tagen von gewaltigen Eispreffungen bedrängt worden war, sodaß man das Schiff bereits verloren gab und dessen Führer den Befehl ertheilte, einen Theil des Proviants auf dem Eise zu landen. Mochte man sich immerhin mit dem Gedanken trösten, daß noch kein Schiff je zuvor bis zu einem so hohen Grade nördlicher Breite gelangt war, so bleibt es doch immer zu beklagen, daß, wie es scheint, ohne Noth einer Expedition Stillstand geboten wurde, die so glückverheißend begann und bis zu so außerordentlichen Breiten mit verhältnißmäßig so ge= ringen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Vollkommen können wir da her die bitteren Empfindungen begreifen, mit denen Bessels den Schnabel der Polaris" gen Süden umkehren sah, war damit doch der Reise ein vorzeitiges Ziel gesteckt, für den Herbst auf ein weiteres Vordringen nach Norden verzichtet, und wer mochte sagen, ob dies jemals wieder aufgenommen werden konnte? Die Ehre, der Erfolg der Expedition," ruft unser Gewährsmann schmerzbewegt aus ,,, waren den Launen eines Einzelnen geopfert. Das Glück, von welchem wir bisher begleitet waren, wurde uns abhold und lächelte nicht wieder."
In der That muß die Fahrt der ,, Polaris" für abgeschlossen gelten, nachdem man am 5. September unter 81° 36' in einer flachen Bucht, die von Hall die ,, Polarisbay" getauft wurde, vor Anker ging, an einer Stelle, die man ,, Thank God Harbour" hieß, und vor einem nach dem Meere Schuß gewährenden Eisberge, der die Bezeichnung ,, Mount Providence" empfing, wiewohl er sich keineswegs als Vorsehung erwies, sondern vielerlei Schaden anstiftete und binnen Kurzem krachend und donnernd in Stücken ging. Ein feierlicher Augenblick war es, als Hall das Sternenbanner der Union am Ufer des neuentdeckten Landes auf richtete und von diesem ,, im Namen Gottes" und des Präsidenten der Vereinigten Staaten Besiz ergriff. Ein Reihetrunk in der Kajüte des Führers der ,, Polaris" gab dem Akte eine noch höhere Weihe. Am folgenden Morgen suchte Bessels im Vereine mit Hall den Platz aus, auf welchem das Observatorium, d. h. eine Bretterhütte von zehn Fuß Länge, acht Fuß Breite und acht und einen halben Fuß Höhe, zu stehen kommen sollte; es war ein ebener Plaz, der sich etwa vierzig Fuß über die Meeresfläche erhob. Dann wurden die Vorräthe des Schiffes, die Kisten, Fässer und Ballen in einem zusammengekoppelten Doppelboote nach dem Ufer geschafft und hier auf einer kleinen Anhöhe, in Sicherheit vor Eispressung und Springfluthen, aufgestapelt; neben ihnen fanden die Kohlen, in Säcke verpackt, ihr Lager. Kurz darauf fror die Polaris" ein; das Winterleben unserer Gesellschaft begann bei einer Temperatur, die im Freien bald 200, im Innern des Schiffes, soweit dasselbe nicht geheizt werden konnte, 150 Celsius betrug. Bei einer solchen Kälte mußte Tag für Tag in dem als Speisesaal benußten Backbordgange des Deckhauses das Mittagmahl abgehalten wer den. Man kann sich daher leicht vorstellen, daß dieses sich niemals zu längerer Sigung ausdehnte. Troß der unerquicklichen Temperatur aber fanden die Beobachtungen im Observatorium sowohl als die begonnenen Vermessungen an den im Süden der Bucht errichteten trigonometrischen Stationen und die allstündlichen Verzeichnungen des Stalenstandes an dem über einer Deffnung im Eise aufgestellten Pegel ihren regelmäßigen Fortgang, selbst als mit dem 16. Oktober, an welchem Tage man die Sonne zum legten mal erblickte, die arktische Winterfinsterniß hereinbrach und nachher wüthende Stürme die ,, Polaris" aus den Fugen zu reißen drohten. Gewiß, eine Kraft und Beharrlichkeit, die über jedes Lob erhaben sind.
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Viel schlimmer als alle diese Wetterunbilden jedoch, schlimmer als die Entbehrungen und Nöthen, die mehr oder weniger jeder von unseren Reisenden zu ertragen hatte, schlimmer als der Bann der ewigen Polarnacht, war ein Unglücksfall, der die an das Eis Gefesselten schon früher getroffen hatte. Nach der Rückkehr von einer in Begleitung seines ersten Offiziers und der beiden Eskimo auf zwei Hundeschlitten in der Richtung nach Norden unternommenen Forschungsfahrt, die wesentlich das Resultat lieferte, daß da, wo Hayes sein offenes Polarmeer gesehen haben wollte, sich Land befindet, erkrankte der rastlose Leiter der Expedition am 24. Oktober und erlag, nachdem man das Uebel schon gehoben glaubte, am frühen Morgen des 8. November 1872, erst fünfzigjährig, einem wiederholten Schlaganfalle. So hatte denn das ungestüme Herz aufgehört zu schlagen", so lauten die warmen Worte, die Bessels in pietätvollem Gedenken dem Verstorbenen widmet, ehe es die großen Pläne zur Ausführung gebracht, welche in ihm gekeimt; die ehernen Würfel des Schicksals waren gefallen, als der erste Erfolg kaum noch errungen war." Mit zwei Flaggen bedeckt, in schmucklosem Sarg gebettet, wurde der unerseßliche Todte am Morgen des 10. November, etwa eine Viertelmeile südlich vom Observatorium, in die Erde gesenkt, aus deren hartgefrorenem Boden mit schwerer Mühe ein Grab hatte herausgeschaufelt werden können. Mit dem Tode ihres Befehlshabers hatte die Expedition ihren schwersten Stoß erlitten. Damit soll indeß feineswegs gesagt sein, daß die ihres Hauptes beraubten Offiziere des Schiffes nicht muthvoll und ausdauernd all ihr Wissen und Können, ihre Kräfte, ihre Ehre und selbst ihr Leben eingesetzt hätten, um ein weiteres Gelingen der Reise zu ermöglichen, wie sie das in einem Dokumente feierlich gelobten. Allein mit Hall's Heimgange war das Glück vollends von der Polaris" gewichen. Wir wollen die Jagdabenteuer, welche uns Bessels' Tagebuch erzählt, übergehen und die Schicksale der ,, Polaris" summarisch rekapituliren. Am Nachmittage des 12. August 1873, also nach 11 Monaten und 7 Tagen unfreiwilliger Siesta nachdem, um auch dieses bedeutsame Ereigniß nicht unerwähnt zu lassen, am Morgen desselben Tages Frau Merkut, Hans' Gattin, einem jungen Estimo das Leben gegeben hatte, der Carl Polaris getauft wurde dampfte man aus der Bucht gegen Süden; schon am 25. August aber, in einer Breite von 790 35' 47" N., war die Polaris nach fürchterlichen Pressungen vom Eise vollständig besezt und von neuem mußte für alle Eventualitäten auf einem Eisfelde eine Zufluchtsstätte, halb Zelt, halb Haus, aufgeschlagen werden, während man auf dem Deck den Proviant zum Böschen schon bereit hielt. Am 16. Oktober ward im Smithsunde Befehl gegeben, Kohlen und Proviant auf das Eis zu schaffen, da die Pressungen dem Schiffe immer gewaltiger zusezten. Mit feurigem Eifer ging die Mannschaft daran, dies Gebot zu erfüllen da rissen die Taue, welche die ,, Polaris" an dem Eisfelde befestigt hatten, das Schiff gerieth in Bewegung, und eine Schaar der Leute blieb verlassen auf der Scholle zurück, voller Verzweiflung dem sich entfernenden Fahrzeuge nachschauend. ,, Lebe wohl, Polaris!" so rief von der Scholle herüber wehmüthig einer der Unglücklichen, die nach dem Schiffe zurückzuretten unmöglich war. Bis zum 30. April trieben die Armen, es waren ihrer Neunzehn, darunter der Meteorolog der Expedition, Friedrich Meyer, der Navigationsgehülfe E. Tyson und die beiden Eskimofamilien, hilf- und hoffnungslos auf ihrer Scholle dahin, ehe sie in der Nähe von Grady Harbour in Labrador von dem nordamerikanischen Dampfer Tigerin aufgefunden und nach Sankt Johns, der Hauptstadt von Neufundland , gebracht wurden. Die ,, Polaris" selbst mußte, unweit der Littletoninseln, am 17. Oktober als unheilvolles Wrack aufgegeben und ein dürftiges Polarishaus" auf dem Eise bezogen werden, wo unseren bedrängten Forschern die ewige Nacht eines zweiten arktischen Winters mit allen seinen Begleitern Hunger, Mangel und Beschwerden der mannichfachsten Art bevorstand. Am 31. Mai des nächsten Jahres ward endlich die wissenschaftliche Thätigkeit geschlossen, die trog aller Nöthen und Entbehrungen rüstig fortgeführt worden war, und am 3. Juni ging es in zwei unter Chesters Angaben gezimmerten leichten Booten, die nur die unentbehrlichsten Habseligkeiten der Männer mit zu beherbergen vermochten, in das weite Eismeer hinaus, auf dem man, in gerader Linie gemessen, 300 Meilen zurückzulegen hatte, um die nächste der dänischen Ansiedelungen zu erreichen. Zwanzig Tage segelte man unter unbeschreiblichen Schwierigkeiten und Gefahren dahin, da, es war um 10 Uhr Morgens am 23. Juni 1874, erspähte man ein Schiff, einen schottischen Walfischfänger, den ,, Ravenscraig". Die Rettung war gekommen, wenn auch noch manche Fährlichkeit zu überwinden blieb. Erst die ,, Arctic " aber, ein Walfischfänger aus Dundee in Schottland , die man am 7. Juli ansprach, führte Dr. Emil Bessels und einen Theil seiner Begleiter die andern waren auf dem ,, Ravenscraig" geblieben am 18. September im Hafen von Dundee zur vorläufigen Ruhe zurück. Zu nicht langer Rast, denn schon fünf Tage darauf ging Bessels mit seinen Gefährten von Liverpool aus wieder in See, um am 4. Oktober zu SandyHook einzutreffen, von wo aus das Kriegsschiff ,, Talapoosa" die Reisenden nach der Bundeshauptstadt beförderte. Hier waren früher bereits die Schollenfahrer angelangt und kamen nachher auch die übrigen Gefährten der Polarisexpedition an, deren Schicksale interessanter sind, als die Ausbeute der Reise selbst, welche wohl den minder erfolgreichen beigerechnet werden muß. Desto reichhaltiger sind die wissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition, Ebbe und Fluthtabellen, Aärometerbeobachtungen, Untersuchungen der Meeresströmungen, Bemerkungen über die Eisverhältnisse, über Erdmagnetismus und Nordlichter, sowie über
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