№ 27.
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
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Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Bostämter.
Ein verlorner Mann.
Von Hermann Hirschfeld.
An den Polizeipräsidenten Herrn Friedrich von Thal
Herr Präsident!
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Die Hand, die ohne Zittern diese Zeilen zeichnet und damit das Siegel drückt auf ein Menschendasein, von der Welt beneidet, gepriesen,- seinem Träger zur Hölle, sie ist Ihnen nicht fremd, noch weniger der Name des Unglückseligen, mein Name: Kaspar Ehrenfried Waldenau, Guts- und Fabrikbesizer im Kreise Rothenstein , vor zehn Jahren durch königliche Gnade mit dem Kommerzienrathtitel geehrt. Manche frohe Stunde haben wir gemeinsam in weiterem und engeren Kreise durchlebt, sie reichten hin, mir die Ueberzeugung zu gewähren, daß Amt und Würde nicht Herz und Gefühl in Ihnen überwuchert, und keinem andern, feinem Besseren wüßte ich beiliegende Blätter zu übergeben, die Unschuldige von dem schwersten Verdacht, vom Verdacht des Mordes reinigen, die Schuld und Irrthüm sühnen sollen, und heischen mildes, erbarmendes Gericht.
Doch nicht für den Schreiber hienieden. Wenn diese Zeilen Menschenauge erreichen, steht er selber vor dem Weltenrichter, seines Urtheils gewärtig, vor ihm, der den Sterblichen mißt nach den Gebrechen, nach den Schwächen des Staubes, aus dem er ihn bildete. Auf den hochgehenden Wogen des Mittelmeeres, unter heiterem, sternbesäeten Himmel, dessen Sonne ich heute zum leztenmal scheiden sah in königlicher Glorie, richte ich an Sie mein letztes Wort. Ich befinde mich auf dem Dampfer ,, Medusa ", nach Neapel bestimmt. Hinter mir liegt das erleuchtete Genua , in weitem Umkreis die Berge mit seinen Villen und Palästen fäumend. Des Leuchtthurms Flammenschein ist noch dem Auge nicht erloschen, ihm entgegen richtet mit geblähten Segeln ein Schiff sein Steuer, die Mannschaft ist auf Deck, alles ist wach, alles in Bewegung, sie kehren heim, wie ein ,, Willkommen" strahlt ihnen die gigantische Leuchte entgegen,- heim und ich
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Die Gluth, die mich zum Ziele führt, sie lodert in mir, dem bald Sechzigjährigen, heiß, wild, wie eines Jünglings feurige Wallung, und dies Ziel ist der Tod.
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alles, alles stempelt den SelbstGesetz, Ehre, Religion, mord zum Verbrechen, und doch vollziehe ich diesen Schritt mit Ruhe, er ist längst geplant, längst gereift. Nicht mich irdischer Gerechtigkeit zu entziehen; sie soll, ist es noch möglich, glück lich werden, sie, um derentwillen ich ein Dasein, das ich bis vor kurzer Frist ehrenvoll durchlebt und ehrenvoll zu beschließen hoffte, mit Thaten der Leidenschaft befleckt, die ich noch immer liebe, umfange in Gedanken mit unendlicher Gluth, die mir
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1880.
vergeben möge, vergeben wie mein Sohn, zu dessen Kunde Sie diese Hefte bringen dürfen, vergeben wie Oswald Frankenthal, dem ich anbiete, als Sühne des Geschehenen, das Höchste, was ich darzubringen vermag: die Liebe Melanies, die Million ihres Witthums( meine Güter, Fabriken, meines Wirkens reiche Früchte habe ich testamentarisch meinem Sohne bestimmt). Ich bitte Oswald Frankenthal, meiner Wittwe Gatte zu werden, es ist mein letzter Wunsch, einen Engel gebe ich in seine Huth einen Engel. Melanie!
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Mir ist, als dringe der süße Duft vom Ufer der Riviera zu mir herüber, schmeichelnd, betäubend; durch Orangen- und Citronenhaine glißern myriaden Leuchtkäfer, hell und dunkel wechselt in holdem Zauberspiel; vom Sternenlicht beschienen ragen die schneeigen Marmorvillen, mit heiteren Farben reich geschmückt, empor aus dunklen Lorbeerhecken,- hohe Pinien streben zwischen ihnen zum Himmel hinan, ernsten, getreuen Wächtern gleich, o heilige Natur, wie deine Schönheit, wie dein Zauber meine Brust durchdringt, wie ich fühle, fühle-
Dort schimmert, deutlich erkennbar, ein weißes Gewand auf dem Balkon, eine weibliche Gestalt steht an der Balustrade und späht, wie erwartend, in die Ferne. Meine Phantasie leiht ihr bekannte Züge, heißgeliebte, sie gaukelt mir holde Bilder vor, an ihrer Seite mich an diesen zauberhaften Stätten, liebend, geliebt.
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Medusa!" Wer rief den Namen des Schiffes, das den Elenden trägt? Ja, Medusa ! Zu rechter Zeit weist meiner Seele Auge mir dein fürchterliches Haupt, die Träume erstarren.„ Sühne, büße!" ruft mit eherner Stimme das Gewissen. Ich büße, ich lasse sie, Trennung von ihr ist schon Tod an sich selber, ich fühne. Die Wache wechselt in einer Minute,- dann ist es Zeit. Unbeachtet, geräuschlos gleite ich über den Schiffsrand in die Wogen. Das Mittelmeer sei mein Grab. Ich habe es geliebt, seit ich zum erstenmal über seine blaue Fläche glitt, find vergangen, es war eine Nacht wie heute, ich bin Großvater. Des neugeborenen Unschuldigen, der Schuldlosen, die ich hinter mir lasse, halber beschwöre ich Sie, geben Sie den Namen, den jene mit mir theilen, nicht der öffentlichen Verachtung preis, erfordert es nicht die Nothwendigkeit. Nur einer könnte es verlangen, und er wird schweigen Melanies willen; von ihm hänge die Entscheidung ab, er
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Jahre vorüber
ein Lebewohl Ihnen, allen, noch ein Gedanke
Es ist Zeit, die Wache ruft allen. Noch ein Blick ringsum ein letzter,
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