Gefahren aller Art sind weniger zahlreich; das Klima ist gesünder, Erdbeben seltener, Orkane weniger gefährlich, wilde und schädliche Thiere weniger zahlreich. Die höchsten Berge erreichen nicht ein Drittel der Höhe des Himalaja und seine Flüsse nähern sich nicht im entferntesten jenem imposanten Wasserschwall, der von den Bergen Asiens niederrauscht; infolge dessen wird der menschliche Geist weniger erschreckt und weniger abergläubisch; die natür lichen Ursachen wurden allmählich studirt, wodurch zuerst eine Naturwissenschaft möglich wurde.

Die Wirkung dieser verschiedenen Gedankenrichtung auf die Religion ist höchst auffallend. Die indische Mythologie beruht, wie die jedes tropischen Landes, auf dem Schrecken. Der Gott Schiwa wird dargestellt als ein Wesen von Schlangen umgürtet, mit einem Menschenschädel in der Hand und mit einem Hals­bande von Menschenknochen; er hat drei Augen und ist in ein blutendes Tigerfell gehüllt, wie ein Rasender irrt er umher und über seiner linken Schulter erhebt die tödtliche Capella- Schlange ihr Haupt. Diese Mißgeburt einer mit Schrecken erfüllten Phan­tasie hat eine Gattin, deren Körper dunkelblau und deren Hand roth ist, um ihren unersättlichen Blutdurst anzuzeigen; sie hat vier Arme und trägt in einem den Schädel eines Riesen, die Zunge hängt ihr aus dem Munde, ihren Gürtel umschlingen die

Hände ihrer Opfer und ihr Hals iſt mit Menschenköpfen geziert,

die an einem entseßlichen Halsbande angereiht sind.

Selbst in der Kindheit der griechischen Religion findet sich nicht die leiseste Spur von etwas Aehnlichem; während die Rich tung der asiatischen Kultur dahin ging, den Abstand zwischen den Menschen und ihren Gottheiten zu erweitern, suchte die griechische Bildung diesen Abstand zu verengen. Alle indischen Götter hatten etwas ungeheuerfiches an sich, Wischnu vier Hände, Brahma fünf

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Köpfe und so fort. Die Griechen dagegen stellten sich ihre Götter nicht nur unter menschlichen Formen vor, sondern auch mit mensch­lichen Eigenschaften, mit menschlichem Beruf, Geschmack u. s. w. Die asiatischen Menschen wurden von dem Gefühle ihrer Unter­würfigkeit so erfüllt, daß sie es nie wagten, ihre eigenen Hand­lungen mit denen der Götter zu vergleichen. Die europäischen Menschen dagegen, ermuthigt durch die größere Sicherheit und Unthätigkeit der Außenwelt, fürchteten sich nicht, diesen Vergleich anzustellen. Daher findet sich auch bei ihnen zuerst der Herren­dienst. Die Vergötterung von Sterblichen wurde zu einem an= erkannten Theil der griechischen Religion, und von dort aus wurde diese Sitte später von der römischen Kirche angenommen und erneuert.

In Griechenland wurde zum erstenmale in der Weltgeschichte die Phantasie einigermaßen vom Verstande gemäßigt und be­schränkt; freilich wurde der Einbildungskraft immer noch viel zu viel Autorität gelassen, aber doch ist die griechische Literatur die erste, in welcher ein entschiedener Versuch gemacht wurde, alle Meinungen auf ihre Uebereinstimmung mit der menschlichen Ver­nunft zu prüfen und so dem Menschen das Recht zu sichern, Gegenstände, die von höchster, unberechenbarer Wichtigkeit für ihn sind, selbst zu beurtheilen.

noch sein mögen, so liegt unzweifelhaft in ihnen Stoff genug zu

So unvollkommen und unvollständig diese Untersuchungen

weiterem Nachdenken, und durch sie wird fünftigen Geschichts­schreibern ein neues dankbares Feld eröffnet, indem sie zeigen, daß überall die Hand der Natur auf uns liegt und daß die Geschichte des menschlichen Geistes nur verstanden werden kann, wenn man die Geschichte der Gesammtheit der Naturerscheinungen damit verbindet.

Irrfahrten.

Von Ludwig Rosenberg. ( Fortsetzung.)

Frau Sander war diesen Morgen wie geistesabwesend. Sie| Ich bedauerte im stillen diese Kinder, die, abgeschlossen von der fam in mein Zimmer, wollte mir etwas sagen, besann sich aber und ging wieder, sich hastig entschuldigend. So that sie es einigemale. Mir kam dieser Zustand höchst bedenklich vor. Sie wollen mir etwas offenbaren," sagte ich.- ,, D," versetzte sie, sah dann zur Decke hinauf, seufzte und entfernte sich. Endlich hielt ich sie zurück, und indem ich ihren Arm ergriff, wiederholte ich eindringlicher meine Bitte, sie möge kein Geheimniß vor mir haben. Sie setzte sich, blickte mich mit ihren großen, klugen Augen forschend an und rief nach einer Pause, tief Athem holend: ,, Waren Sie es?" Was?" versetzte ich auf diese seltsame Frage. Die Frau schwieg. Sie sind es wohl nicht gewesen," murmelte sie; ich will es nicht glauben." ,, Aber was war es? Sie muthen mir," rief ich aufgeregt aus, gewiß etwas zu, das nicht in Einklang mit Ehre und Moral steht! Ihr Blick, Ihre Miene, Ihre Aufregung, Ihre Worte sagen es mir, und ich verlange, daß Sie ohne Rückhalt sprechen!" Aus meinem Schrank," sprach sie keuchend, sind mir zweihundert Thaler ge­stohlen worden, meine Nothpfennige, mein Leztes, mein Alles!" ,, Und ich," fuhr ich da auf ,,, ich sollte sie entwendet haben? Der Verdacht hätte sich auch nur einen Augenblick auf mich gewendet? Pfui, schämen Sie Sich!" Ich ging im Zimmer lange auf und ab, und endlich, nachdem ich mich erholt hatte, sagte ich: Fragen Sie Ihren Mann, ich habe das Geld nicht genommen!" Unter heftigem Weinen betheuerte die Frau, daß sie mich nicht beschuldige, aber es wäre doch so gar sonderbar, meinte sie, daß aus einem sicheren Versteckt das Geld genommen sei. Dann ging sie wieder an ihre Arbeit.

Welt, bei einigem Nachdenken zu dem Schluß kommen müssen, daß sie nicht theilnehmen dürfen an den Freuden der Welt, die ihnen so gut wie verriegelt ist. ,, Sie ihnen so gut wie verriegelt ist. Sie entbehren des Familien­lebens, der väterlichen und mütterlichen Fürsorge, und die, welche diese Stelle zu vertreten berufen sind, können ihnen nichts weiter als Zuchtmeister sein. In diesen Armen- und Waisenhäusern erstirbt jede feinere Regung des Gemüthes, und auch der Ver­stand ist nur auf bestimmte Bahnen gezwungen. So verdorren diese armen Wesen an dem Schönsten, was der Mensch besitzt, und frühzeitig gewöhnen sie sich die Härte und Schärfe der Vor­gesetzten an. Später ins Leben hineinkommandirt, beurtheilen sie alles nach starren Regeln und in dem starren Gesez einer Religion, auf die sie selbst bei jedem. Athemzuge hingewiesen werden. Ich dachte an meine armen, kleinen Geschwister und an die Möglichkeit, sie auch in diesen grauen, häßlichen Trachten, angethan mit groben, plumpen Schuhen, die Haare kahl geschoren, zu erblicken, und ich lief, heiß geworden bei diesen Gedanken, eiligst davon.

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,, Sie hätten zuhause sein sollen," rief mir eine lebendige, reso­lute Frau, die in unsrer nächsten Nachbarschaft wohnt, entgegen, als ich im Begriff stand, meine Wohnung zu betreten. Das war ein Höllenspektakel. Man dachte, die Teufel wären los­gelassen und lägen sich in den Haaren! Die Sanders haben sich wieder einmal gehabt. Und warum? Gewiß wieder um ein paar Bibelstellen! Die Leute liefen zusammen, man drängte sich in die Wohnung und fand die Frau ohnmächtig, in Krämpfen. Ihr Mann stand vor ihr und rief ein über das andremal:

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Den Mörder der alten Frau haben sie heute zu lebens-, Das Weib ist vom Teufel besessen!"" Ich öffnete die Thür länglicher Zuchthausstrafe verurtheilt. Seine Kinder schickt man nun in ein Armenhaus, da die Mutter kaum im stande ist, sich selbst zu ernähren. Ich sah vor kurzem so einen Trupp armer Wesen vor der Stadt spazieren gehen. Alle hatten Kleider von gleichem Schnitt und Tuch an, einfach und schlicht. Ich dachte, es seien Verbrecher en miniature, bis ich eines Besseren belehrt wurde. Die Kinder der Bürger gingen ihnen aus dem Wege, und der Mensch, der sie wie eine Herde Schäflein befehligte, hatte nichts an sich, das in ihm einen Philanthropen voraussetzen ließ.

zu Sanders Wohnung. Auf dem Sopha lag die Kranke, zu ihrem Haupte saß der kleine Sohn und weinte und jammerte, und als er mich erblickte, kam er auf mich zu und schrie: Die Was konnte ich in solcher Mama stirbt, die Mama stirbt!" Situation sagen? Herr Sander stand finster blickend an einem Fenster und erwiderte nur kurz meinen Gruß. Man muß den Arzt holen," sagte ich endlich. Ihr hilft fein irdischer Arzt," verjeßte Sander. Rufen Sie den Menschen, der ihre Seele ge­stohlen, rufen Sie diesen Arzt. Sie ist verloren!

Ein Welt­