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diese Bemerkungen feineswegs darauf abzielen, die eminente Tragweite eines gründlichen Studiums aller jener Länder und Himmelsstriche irgendwie herabzuseßen, und daß wir noch viel weniger daran denken, dem Muth und der oft geradezu heldenhaften Ausdauer und Auf­opferungsfähigkeit der Männer zu nahe zu treten, welche diese Fahrten unternommen haben. Aber es ist wahrlich an der Zeit, den nuglosen Opfern in Eis und Frost der Polarmeere, so gut wie in der Sonne und Fieberlust der Tropen, endlich Einhalt zu thun, vor aller Augen klar zu legen, daß der eingeschlagene Weg dort wie hier ein falscher war, daß am Nordpol so gut wie unter dem Aequator , in den Eis­gebirgen Grönlands wie im Laboratorium des Naturforschers, nur durch methodisches Vorgehen, durch andauernde umfassende und auf bestimmte Ziele gerichtete Beobachtung brauchbare Resultate zu erlangen sind, aus denen sich dann mit Sicherheit allgemeinere Schlußfolgerun­gen ziehen lassen.

Es mußte daher jeden, der an den wissenschaftlichen Bestrebungen aller Völker warmen Antheil nimmt, mit großer Befriedigung erfüllen, daß endlich aus den Reihen der Nordpolfahrer selbst der besten einer mit dem offenen und auf innerster Ueberzeugung ruhenden Bekenntniß hervortrat: man habe bisher viel zu sehr einem wesenlosen Phantom nachgejagt und darüber die wirklich bedeutsamen Zielpunkte aus den Augen verloren; man habe von den Zeiten eines Columbus und Vasco de Gama her die alte Sucht nach erstaunlichen Entdeckungen mit sich herumgeschleppt, die, auf allen anderen Gebieten längst überwunden, auf dem Felde der Geographie heute noch in üppigster Blüthe stehe, die aber wahrlich gerade genug Unheil gestiftet habe, um nun scho­nungslos ausgerodet zu werden. Karl Weyprecht war es, der in der ersten allgemeinen Sigung der 48. deutschen Naturforscherversammlung in Graz im September 1875 mit diesem aufrichtigen Geständniß des eigenen Frrthums auftrat, und in schlichter Rede auseinandersetzte, welches allein die vernünftigen Mittel und Wege sein können, vermöge deren die erwünschte Kenntniß der Polarländer zu gewinnen sei, worin der Fehler der bisherigen Versuche liege, und wie man es besser machen könne und solle.

Auch Weyprecht läßt natürlich der Wichtigkeit der Polarforschun­gen volles Recht angedeihen; er durchmustert jedes einschlagende Ge­biet und vergleicht das zu Erreichende mit dem wirklich Erreichten. Die Summe, die schließlich herauskommt, ist allerdings klein genug: sie besteht ,, der Hauptsache nach in der Auffindung des magnetischen Poles( von James Clarke Roß unter 700 5' n. Br. und 96° 46' w. L. im Jahre 1831 entdeckt), in der Erweiterung der naturgeschicht­lichen Kenntniß dieser Gegenden und in der topographischen und phy­sikalischen Beschreibung eines im Detail höchst wichtigen Inselkonglo­merats. Und bei genauerer Analyse schmilzt der wissenschaftliche Werth dieser Resultate noch mehr zusammen!" Weyprecht beweist dies selbst für das ihn zunächst interessirende Feld der magnetischen und meteoro­logischen Forschungen durch einfache Aufzählung dessen, was wir haben und was uns noch fehlt, woraus denn unter anderen hervorgeht, daß die vielen und kostspieligen Expeditionen noch nicht eine einzige Serie vollständiger Beobachtungen über die Störungen aller drei magneti­schen Elemente geliefert haben, während wir das, was in dieser Hin­sicht Brauchbares vorhanden ist, fast ausschließlich den in der Nähe des Polarmeeres errichteten firen Stationen verdanken. Auch diese aber beschränken sich auf ein viel zu geringes Gebiet, so daß es durch­aus unstatthaft wäre, aus ihren Ergebnissen auf die Zustände der ganzen arktischen Zone schließen zu wollen. Und dasselbe gilt, nur zumeist in noch höherem Grade, für jede andere Seite der Naturfor­schung. Man kann leider fast sagen, daß wir von dem Treiben der Natur im hohen Norden und Süden nicht viel mehr wissen, als um einsehen zu können, wie wichtig die gründliche Erforschung der dortigen Verhältnisse für alle Zweige der Naturwissenschaft sein muß."

Sehr beherzigenswerth ist nun, was der erfahrene Nordpolfahrer über die Gründe sagt, welche, troß der so klar liegenden Wichtigkeit der Frage und trotz der Bereitwilligkeit, mit der immer wieder Geld zu neuen Expeditionen gespendet wurde, doch nur so beschämend kläg­liche Resultate haben erzielen lassen: Im Anfang war es der mate­rielle Gewinn, in Form von Pelzen und Thranthieren, der die Fahr­ten in das arktische Meer veranlaßte; dann trat an seine Stelle der Ruhm der geographischen Entdeckung. Die Sucht nach demselben hat heute solche Dimensionen angenommen, daß die Polarexpeditionen zu einer Art internationaler Hezjagden gegen den Nordpol geworden sind, die der wissenschaftlichen Forschung auf allen Gebieten hindernd im Wege stehen. An die Stelle gründlicher wissenschaftlicher Arbeit ist die bloße Ueberwindung materieller Schwierigkeiten getreten. Ueberall wird die arktische Frage diskutirt, überall spricht man von dem besten Wege zum Bolaber nach den wissenschaftlichen Schäßen, die längs desselben liegen, fragen nur wenige." So hat namentlich auch die im großen Maßstab ausgeführte Verwendung des Schlittens bei den Polar­fahrten allgemeine Bewunderung und Nachahmung geweckt; die ganze Instruktion und Ausrüstung der letzten englischen Expedition war ja ausdrücklich darauf berechnet, mit einer ganzen Schlittenkarawane über das Eis vorzubringen, wenn die Schiffe nicht mehr weiter könnten: ,, wo aber der Schlitten in den Vordergrund tritt, da kann von wissen­schaftlicher Beobachtung gar nicht die Rede sein."

Als zweiten Grund für die ungenügenden Resultate der Expeditio­nen führt Weyprecht den Umstand an, daß alle vereinzelt, zusammen­

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hanglos arbeiteten. Es fehlt das unumgänglich nothwendige gleich­zeitige Beobachtungsmaterial. Während man prinzipiell längst ein­gesehen, daß isolirte Daten fast auf keinem Wissensgebiete, am aller­wenigsten auf denen, wo es in erster Linie einer ausgedehnten, statisti­schen Grundlage bedarf, von irgend welchem Werthe sein können; wäh­rend man auch dem entsprechend ganz Europa und Nordamerika mit einem dichten Netze von meteorologischen Stationen überzogen hat, welche alle irgend vorkommenden Veränderungen am Himmel und auf Erden aufs genaueste registriren, um daraus die Geseze derselben zu erschließen und das Wetter, mit allem was drum und dran hängt, vor­aussagen zu können begnügt man sich hinsichtlich der Erscheinungen in den Polarregionen damit, aus den Schiffstagebüchern der Expeditio­nen in den verschiedensten Jahren und von den verschiedensten Punkten jener Zone mit rührender Sorgfalt, alle möglichen Einzelheiten zu Ta­bellen zusammenzustellen, in dem naiven Glauben, dadurch wenigstens für spätere Untersuchungen ersprießliche Anfänge zu liefern. Und doch weiß man schon längst gut genug, daß es gerade bei den Vorkomm nissen in hohen Breiten wesentlich darauf ankommt: diejenigen, welche nur lokalen Ursachen entspringen, möglichst scharf von denen zu son­dern, welche mit den allgemeinen Veränderungen am Pol zusammen­hängen. Wie aber sollte dies bei der bisher ausschließlich beliebten Zersplitterung und Zerfahrenheit der Beobachtungen auch nur im ge­ringſten möglich sein? Selbst über die alleraugenfälligsten und zu­gleich praktisch wichtigsten Vorgänge, wie z. B. über die Bewegungen des Packeises und einen vielleicht durch umfassende und regelmäßige Luft und Meerſtrömungen bedingten Zusammenhang der Verschiebungen desselben auf der einen mit denen auf der andern Seite des Pols, oder über die Wanderungen der Eskimos, der Land- und Wasserthiere, wissen wir noch so wenig, daß fast jede neue Expedition, die auf die Erfah­rungen der Vorgänger basirten Schlüsse umstieß, und sich, oft zum eigenen Schaden, vom geraden Gegentheil überzeugte.

Daß es so nicht weiter gehen darf, daß es geradezu unverantwort lich wäre, noch ferner ungeheure Geldsummen und vor allem Leben und Gesundheit tapferer und tüchtiger Männer aufs Spiel zu setzen, um schließlich doch nichts von bleibendem Werth heimzubringen- dar­über, sollte man denken, konnte nach solchem Bekenntniß bei keinem vernünftigen Menschen mehr ein Zweifel bestehen. Wenn Weyprecht zum Schluß ausruft: Ich bitte Sie, überzeugt zu sein, daß ich weit davon entfernt bin, den Verdiensten meiner arktischen Vorgänger zu nahe zu treten; denn niemand weiß es wie ich zu schäzen, welche Opfer sie gekostet haben. Indem ich dies ausspreche, klage ich mich selbst an und breche den Stab über die von uns erworbenen Resultate" so spricht sich in diesen Worten so unverfälscht die ehrliche Ueber­zeugung eines Mannes aus, der sich durch eigene ernste That und ruhiges Denken das Anrecht auf ein kompetentes Urtheil in der Sache erkämpft hat, so daß niemand weder über die Motive seiner Hand­lungsweise, noch über die volle Richtigkeit des Gesagten im Unklaren bleiben konnte. ( Schluß folgt.)

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Auswanderer auf dem Wege nach den Silberminen von Leadville.( Bild S. 316-17.) Unsere Leser dürften auf der Karte der Bereinigten Staaten Nordamerikas die Stadt Leadville, zu welcher der entjeßliche Knüppeldamm führt, den unser Bild veranschaulicht, ver­geblich suchen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil sie noch auf feiner Karte verzeichnet ist. Trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse, welche die Natur auf dem Wege durch das Felsengebirge den Eindring­lingen bereitet, gehört doch die Straße" nach Leadville zur Zeit zu den belebtesten in den Gegenden des Westens. Die Mühseligkeiten der Reise verschwinden vor der Aussicht auf den Gewinn. gedehnte Prairien, wo der neue Ankömmling nicht selten auf die ge­bleichten Gebeine von Mensch und Thier stößt, die vor ihm die Wan­derung angetreten haben und deren Mühsalen erlegen sind, durch öde Thäler, über reißende Flüsse und steile Berge geht der sich unablässig erneuernde Strom der Auswanderer. Für sie alle ist Leadville der magnetisch anziehende Pol und Gold oder vielmehr Silber die Losung. Diesen Glücksrittern schwebt sammt und sonders die Vision eines im Handumdrehen zu erwerbenden Reichthums vor, mit dessen Hülfe sie dann ihr Leben genießen wollen. Mit fieberhafter Hast drängen sie dem erträumten Ziele zu, ohne sich Betrachtungen darüber hinzugeben, wie wenige im Grunde dasselbe zu erreichen vermögen. An einer der gefährlichsten Stellen des Weges nach Leadville sehen wir auf unserm Bilde den Zug der Schäßesucher. Auf der über das Felsengebirge führen­den Straße, in einer Höhe von mehr als 10 000 Fuß über dem Meeres­spiegel, klimmen sie den steilen, aus tiefer Schlucht aufwärts führenden Pfad hinan, an dessen Seiten sich gähnende Abgründe öffnen. Zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen streben sie vorwärts, manche darunter mit Weib und Kind und dem gesammten Hausrath. Schlägt nun einmal ein Wagen am Rande des Abgrundes um, so werden sich nicht viele der die Straße Ziehenden zu Hülfe und Beistand bereit zeigen; das würde Aufenthalt verursachen, und jede Verzögerung kann ein Vermögen kosten! Man kann wohl annehmen, daß von diesen Schaaren von Schäßesuchern etwa 15 Prozent so glücklich sind, auf das gewinn­verheißende Erz zu stoßen; die übrigen 85 Prozent gehen so ziemlich leer aus. Leadville verspricht dem Besitzenden, aber nicht dem Besitz­lofen eine Vermögensquelle. Wo liegt nun jenes verlockende Metta