358 werden, haben sie gedroht, sie würden die Fremden mit Gewalt vertreiben, mit Gewalt denke dir, mit Gewalt. Nun sage selbst, Wanda, darf so etwas gelitten werden? Dürfen sich die Herren, welche die Arbeit zu vergeben haben, von solcheni Volke für alle Wohlthaten noch tyrannisiren lassen? Nein, Wanda. das wirst du einsehen, das geht nun und nimmermehr." Wanda erregte die Wendung, welche das Gespräch genommen hatte, auf das tieffte. Sie nahm in fast leidenschaftlicher Weise die Partei der Leute im Gebirge. Daß sie ernstlich mit gewalt- samer Vertreibung der Fremden gedroht hätten, wollte sie durch- aus nicht glauben. Sie hätte die Armen kennen gelernt und wisse, daß sie friedfertig seien und gut. Und wenn einer oder der andere, vielleicht ein armer Familienvater mit acht oder zehn Kindern, wie es da oben viele gäbe, aus Angst, daß er wieder der kaum überstandenen schrecklichen Roth anheimfalle im nächsten Winter, wenn es ihm nicht gelingen sollte, gute Arbeit zu be- kommen, bei der er sich einen Nothpfennig zurücklegen könnte, auch wirklich von Vertreibung der Eindringlinge und von Gewalt gesprochen haben sollte, so dürfe man das nicht ernst nehmen und solch' ein Wort der Verzweiflung nicht zum Verbrechen stempeln. Hunger thut weh, und weher noch thut es jedem nicht ganz rohen Menschen, wenn er nicht hindern kann, daß Weib und Kind hungern und vor den Augen dessen, der die Pflicht ihrer Ernäh- rung hat, hinwelken und verkommen, so schloß Wanda ihre ziem- lich lange und heftig hervorgestoßene Rede, bei der ihr Antlitz glühend roth geworden und Thränen in ihre Augen getreten waren. Hildegard Schneemann gefiel sich in der Rolle überlegener Weisheit. Sie zuckte die vollen Schultern und sagte:Ich be- greife nicht, warum du dich so echauffirst, liebstes Kind. Bei solchen Sachen kommen doch hauptsächlich noch höhere Interessen ins Spiel, die dir allerdings fern liegen. Wir wollen uns über so etwas auch nicht entzweien. Aber sage mir, was meinst du zu diesem Schweder, der doch eigentlich, wie mein Papa sagt, die ganze Suppe eingebrockt hat. Du mußt nämlich wissen, mein Papa ist garnicht mehr so entzückt von diesem Schweder, wie früher; ich glaube, der lustige alte Herr, du weißt, der Justizrath Wichtel, der immer so spaßhafte Geschichten erzählt und über- Haupt noch so lebenslustig ist, wie ein junger Herr denke dir, neulich hat er mir gesagt, ich wäre das schönste Mädchen unter der Sonne und ich müßte ihm durchaus einen Kuß geben, du glaubst natürlich nicht, daß ich's gethan habe, blos die Stirn habe ich ihm gereicht, wie meinem Papa, wenn er zärtlich ist, was nur alle Jubeljahre einmal vorkommt; also dieser liebens- würdige, furchtbar komische Justizrath was wollt' ich dir doch gleich erzählen? ganz recht der hat meinem Papa über den Herrn Schweder reinen Wein eingeschenkt; und ich versichere dich, das ist ein ganz abscheulicher Mensch, dieser Herr Schweder." Wanda war des Geschwätzes herzlich müde. Hildegard kam ihr heute beinahe albern und unausstehlich vor und hätte schwer- lich noch andere, als ausweichende Anstandsantworten erhalten, wenn sie nicht jetzt gar einen Mann aus dem Bekanntenkreise ihres Vaters, welchen hochzuschätzen sie auch alle Ursache zu haben glaubte, angegriffen hätte. Herr Schweder ist heut noch ein Freund meines Papas, Hildegard," sagte sie daher nachdrücklich und mit einem Anfluge von Entrüstung. Ja, er kommt in euer Haus und in neuester Zeit sehr oft, das weiß ich eben und deswegen halte ich es für meine Pflicht als Freundin, dich vor ihm zu warnen. Bei deinem Papa hat er sich gradeso einzuschmeicheln verstanden, als bei meinem." Wanda machte eine Bewegung der Ungeduld: Nun, du magst denken, was du willst," fuhr die redselige Freundin fort;das eine kann ich dir als vollkommen verbürgt mittheilen dieser Schweder steht in einem Verhältniß in einem Liebesverhältniß zu einer verheiratheten Schauspielerin sage mir, gibt es etwas Unanständigeres auf der ganzen Welt?" Wanda war ans Fenster getreten und drückte das vor Er- regung und Indignation glühende Gesicht gegen die Scheiben. Sie wollte gegen die Fortsetzung der Mittheilungen Hildegards protestiren, aber diese ließ sie garnicht zu Worte konimen. Mit einer verheiratheten Schauspielerin, sage ich dir. Und wenn das noch ein Geheimniß wäre, da könnte man schließlich wenig dagegen einwenden; es kommt bei allem in der Welt, wie unser Architekt, der Herr von Sommer, sagt, er ist nämlich auch adlig und Reservelieutenant, die Uniform steht ihm reizend, es komint hauptsächlich darauf an, daß man die Dehors bewahrt. Aber diese abscheuliche Geschichte zwischen dem Herrn Schweder und der Frau Bergmann-Stein kommt zum öffentlichen Skandal; denn die Frau will sich von ihrem Manne scheiden lassen, um den Schweder zu heirathen. Aber diese skandalöse Geschichte ist nicht die einzige, die jetzt in der Gesellschaft die Runde zu machen beginnt, ich erfahre so etwas natürlich immer viel eher, als die ineisten anderen Leute, weißt du, weil ich so furchtbar viele Ver- bindungen habe; und da habe ich auch gehört, daß dieser ab- scheuliche Mensch in dem dringenden Verdachte steht, mit noch einer andern verheiratheten Frau gleichzeitig eine Liaison gehabt zu haben oder gar noch zu haben, und dann soll er außerdem noch eine ganze Masse armer, unschuldiger Mädchen unglücklich gemacht haben dieser verbrecherische Mensch, und wenn du willst, Wanda, könnte ich dir Dinge erzählen Dinge, sage ich dir--" Wanda machte eine heftige, abwehrende Bewegung, und die liebenswürdige Freundin würde eine Antwort gehört haben, wie sie ihr gewiß nicht lieb gewesen wäre, wenn sich nicht plötzlich die Thür geöffnet hätte und die Frau Doktor Winter in Beglei- tung eines Herrn auf der Schwelle erschienen wäre. (Fortsetzung folgt.) Die Republiken Südamcrika's in ihrer Vergangenheit «ud Gegenwart. Historische Skizze von Dr. Max Vogler. (FortpKung.) Um dieselbe Zeit wie Peru   wurde Venezuela   entdeckt, nach welchem im Auftrage der reichen augsburger Patrizierfamilie Welser im Jahre 1528 Ambrosius Alfinger   und Georg Ehinger aus Ulm   drei Schiffe ausrüsteten. Dieselben wußten zwar nach mancherlei Widerwärtigkeiten im Lande festen Fuß zu fassen, und einer der Welser'schen Hauptleute, Nikolaus Federmann  , drang tiefer in das Innere vor, während Alfingcr Neu-Gra»ada entdeckte und hier Maracaibo   gründete; sechs Stunden vom heutigen Santa Fe de Bogota   trafen jedoch die Deutschen   mit den mißgünstigen Spaniern zusammen, welche sich auf Queseda's Be- fehl von letztgenanntem Orte und auf das Geheiß Pizarro's von Quito aus aus neue Entdeckungszügc begeben hatten. Es entstand von da ab zwischen den Welser'schen Leuten und den spanischen Abenteurern ein immer erbitterter werdender Streit, infolge dessen die nach Federmanns Heimkehr und Alfingers Tode von Johann Alemann, Georg Hohermuth  aus Speier   und Philipp von Hutten   errungenen Ländergebiete den deutschen   Unternehmern bald wieder verloren gingen. Die Spanier gelangten dagegen in den Besitz fast des ganzen amerikanischen   Südens, denn schon vor der im Jahre 1535 erfolgten Ermordung Pizarro's war Almagro nach Chile   aufgebrochen und durchstreifte es bis zu seinen unwirthlichcn südlichen Regionen. Dazu die bereits vorher, sowie in der Folge noch eroberten Landestheile gerechnet, befand sich Spanien  im Besitz des größten Theils von Amerika   überhaupt, und noch zu An- fang des 19. Jahrhunderts besaß es dort ein Gebiet von etwa 250 OOv Quadratmeilen mit ungefähr 17 mill. Einwohnern. Schon zu Ende des 18. Jahrhunderts hatten das Beispiel der englischen Kolonien in Nordamerika  , der Umsturz des alten Thrones im Mutterlande Spanien  , die infolge der französischen   Revolution und ihrer Nachwirkungen herbeigeführte Ungewißheit der spanischen   und europäischen   Zustände überhaupt, vor allem aber die schlechte und sich immer mehr verschlechternde Regierung einzelne Erhebungen und Aus- stände hervorgerufen, die sich während des ersten Viertels des IS. Jahr- Hunderts immer energievoller fortsetzten und schließlich eine vollständige Umgestaltung der südamerikanischen Staatenverhältnisse zur Folge hatten. Der Mann, welchem der größte Theil Südamcrika's seine Befrei- ung zu danken hat, ist Simon Bolivar  , dem man den Ehrentitel cl Libertador", das heißtder Befreier", beilegte und dessen Name als der eines Washington   des romanischen Amerika  (letztere Bezeichnung im Gegensatz zu dem germanischen Norden) heute nicht blos in dem Namen des Freistaats Bolivia, sondern auch in dem der Hauptstadt der Provinz Chimborazo in der Republik Ecuador   und in dem eines aus den Provinzen Cartagena  , Mampar und Sabanella bestehenden Staates der Republik Neu-Granada fortlebt; jene Stadt(auch Bio- bamba genannt) sowohl wie dieser Staat sind Bolivar geheißen. Dieser südamerikanische Befreier ward zu Caracas   in Venezuela  am 25. Juli des Jahres 1783 geboren. Er studirte in Madrid   die Rechte, besuchte die Normalschule und die polytechnische zu Paris   und erweiterte seine Bildung durch mancherlei Reisen, die er in Frankreich  , Italien  , der Schweiz   und in Deutschland   unternahm. Nach seiner Ver- heirathung mit der Tochter des Marquis von Ustariz(1803) in Madrid  nach seiner Heimath zurückgekehrt, verlor er seine Gattin sehr bald als