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Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

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Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

Idealisten.

Von Rudolf Lavant  . ( Fortsetzung.)

Man war inzwischen zum Thee übergegangen, Arvenberg hatte die verheißenen Süßigkeiten bekommen und der das ganze Zim mer erfüllende Tabaksqualm war von jener Intensität, die mit dem Säbel durchhauen sein will. Nach Mitternacht   beschloß man denn auch, die Sigung aufzuheben und noch nach einem benachbarten Café zu gehen, da Wendt doch mindestens eine Stunde lang lüften müsse, und möglichst geräuschlos setzte sich die kleine Karawane unter Vortritt des Wirths, der sich mit einer brennenden Kerze bewaffnet hatte, treppab in Bewegung; selbst der Maler machte seinem Ingrimm über die ausgetretenen Stufen nur flüsternd Luft und erst auf der Straße sagte er laut:

,, Das nächste mal kommt ihr aber zu mir- ich muß sagen, daß ich wenig Lust habe, diesen Thurm je wieder zu besteigen. Daß Wendt toll genug war, sich in diese Wohnung in der Nähe der Wolken zu verlieben, wundert mich nicht es wäre mir aber von Interesse, seine Gesinnungs- und Geschmacksgenossen kennen zu lernen."

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Lauter Junggesellen und zwar alte!" erwiderte Wendt; das Haus gehört einer alten Frau, die im ersten Stock mit ihrem Dienstmädchen wohnt und nur an Garçons vermiethet. Ich war ihr eigentlich noch zu jung, noch nicht gesezt genug, doch habe ich ihr eine so ausschweifende Schilderung von der Solidität meines Charakters und der Tadellosigkeit meiner Sitten ent­worfen, daß sie endlich, wenn auch mit halbem Widerstreben, ein­willigte; ich wohne eigentlich nur auf Probe und wenn ich ihr Wohlwollen verscherze, muß ich meine doch gewiß originelle Bude sofort wieder räumen."

Im Café hätte man als zufälliger Beobachter die Bemerkung machen können, daß jeder von seinem Zucker ein oder zwei Stück­chen stillschweigend und wie gewohnheitsmäßig Lindner zuschob, der diesen süßen Tribut ebenso stillschweigend und gewohnheits mäßig in seine Westentaschen versenkte. Die befremdliche Mani­pulation erhielt aber bald ihre vollständige Aufklärung durch Wendt, der lachend fragte:

Nun haben Ihre Zeisige, Finken u. s. w. wohl wieder für acht Tage Vorrath?"

,, Gewiß," replizirte Lindner, aber es wird mir immer ganz Angst, wenn Sie meine Vögel aufzählen Lassen Sie das, ich bitte;' Sie können ja taum einen Sperling von einer Lerche unterscheiden."

1880.

,, So wenig, wie Sie Hammelbraten von Truthahn  ," gab Wendt den Stich zurück und ein solcher Mangel an natur­wissenschaftlichen Kenntnissen wog in seinen Augen unendlich schwerer. Es ging in der That die dunkle Sage, der Herr Apo­theker und Chemiker habe sich bei einem Diner Hammelbraten für Truthahn aufreden lassen, eine Anekdote, welche Wendt für die beste und klassischste erklärte, die er in seinem ganzen Leben gehört.

Der Sturm hatte nachgelassen, aber die Straßen waren den­noch still und todt, als die kleine Gesellschaft sich vor der Thür des Café's trennte und nach allen Richtungen der Windrose aus­einanderstob, denn es ging bereits auf zwei und die Polizeistunde war vor der Thür. Es ging regelmäßig so, eine Thatsache, die ein etwas bedenkliches Licht auf die Gewohnheiten der jungen Leute wirft, indessen mußten dieselben ja schon als eine Art ,, Bo­hème" geschildert werden, und es kann ihnen in den Augen des Lesers keinen großen Schaden mehr thun, daß sie den Schlaf vor Mitternacht keineswegs für nothwendig oder auch nur heil­sam hielten. Der Maler, der allerdings gegründete Ursache hatte, sich für eine solche Philosophie zu entscheiden, wies gern und mit einem großen Aufwand von Scharfsinn und Beredtsam­keit nach, daß die Menschen in zwei Kelassen zerfielen, in Tag­und Nachtmenschen; für die letzteren beginne mit der Dämme­rung eigentlich erst die Lebensthätigkeit, und er gehöre in diese Kategorie und könne sich auch nur für Menschen erwärmen, die erleichtert aufathmen, wenn die Schleier der Dämmerung nieder­sinken auf die verstummende Welt.

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Die nächste Versammlung fand also in der Wohnung des Malers statt, die allerdings in einem auffallenden Gegensatz zu der des noch studentischen Gewohnheiten fröhnenden jungen Juristen stand. Ein altes, palastähnliches Haus mit breiten Fluchten hallender steinerner Treppen und jener behaglichen Raumver­schwendung, welche noch die Bauten des achtzehnten Jahrhun­derts charakterisirt. Das Zimmer war sehr groß und wenn man in die tiefen Fensternischen trat, hatte man einen freien Ueber­blick über den Markt, dessen typenreiches, buntes Getriebe dem Maler außerordentlich sympathisch war. Das hervorragendste Möbel war ein mächtiges Himmelbett mit grünen Vorhängen und Wendt hatte schon wiederholt die Befürchtung ausgedrückt,

V. 29. Mai 1880.