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frischer Luft gesorgt werden müsse; und da das eben zu der Jahreszeit, da man der künstlichen Erwärmung bedarf, nicht durch beständiges Offenhalten der Fenster geschehen kann, sondern man sich im Gegentheil um einen möglichst guten Verschluß derselben bemüht, so kann auch die Ventilation in genügendem Maße nur durch künstliche Einrichtungen geschehen, die sich vortheilhaft gerade mit den Heizanlagen verbinden lassen. Alsdann erst lassen sich auch kleine, von vielen Menschen bewohnte Räume, auf welche die große Mehrheit heutigentags angewiesen ist, ohne Nachtheil für die Gesundheit benutzen.
Man bedenke zur Beurtheilung des Ventilationsbedürfnisses, daß ein erwachsener Mensch in der Stunde 300 Liter frischer Luft verbraucht, der er 34 Gramme Sauerstoff entnimmt und dafür etwa 20 Liter Kohlensäure und 60 bis 80 Liter Wasser dampf durch Ausathmung zuführt. Rein oder frisch ist die Luft so lange zu nennen, als sie nicht mehr als 4 Theile Kohlensäure auf 1000 Theile enthält. Nach Morin und Pettenkofer ist das Maximum von Kohlensäure in der Luft, in welcher der Mensch sich ohne Benachtheiligung der Gesundheit noch aufhalten kann, 8 Theile auf 1000 Theile. Er wird also in einem Raum von 20 Rubikmetern ohne jede Ventilation schon nach einer Stunde dieses Maximum von Kohlensäure erzeugt haben. Unter Berück sichtigung dieses Umstandes, und wegen der gleichfalls nöthigen Entfernung des Wasserdampfes, sowie anderer in geringerer Menge auftretenden lästigen Produkte der menschlichen Aus
dünstung, kann man in runden Zahlen annehmen, daß in einer Stunde an frischer Luft zu- und an verdorbener abgeführt werden müssen, bei einem Raum von:
20 Kubikmetern pro Kopf der Einwohner 80 Kubikmeter
30
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40 50 60
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70
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60
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50 40
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Diese Zahlen sind leicht zu behalten, da ihre Summe immer gleich hundert ist. Sie werden leider nur in verschwindend wenigen Privatwohnungen erreicht. Dagegen legt man sie der Einrichtung neuerer öffentlicher Bauten zu Grunde, z. B. den Militärkasernen; in den englischen geht man sogar noch etwas weiter, es werden dort pro Mann 17 Kubikmeter Raum und 85 Kubikmeter frische Luft pro Stunde gerechnet. In Schulen, die nur während vier oder zwei Stunden am Tage von einer größeren Zahl jüngerer Personen benutzt werden, für welche pro Kopf 20 Kubikmeter Raum zu rechnen sind, genügt eine Ventilation, die stündlich 40 Kubikmeter Luft für die Person zuführt; aber es leisten bis jetzt nur wenige der neuesten Schulen diesem Bedürfniß annähernd im angegebenen Maße Befriedigung. Zimmer, in denen sich Kranke befinden, sollten mindestens mit 60 Kubikmetern frischer Luft für Kopf und Stunde, in Hospitälern aber mit 100 Kubikmetern, und bei Epidemien mit 150 Kubikmetern solcher versehen werden. ( Fortsetzung folgt.)
Ueber deutsche Familiennamen.
Von M.
Eine eigenthümliche Thatsache ist es, daß ein Mensch zwei oder mehrere Namen hat; man sollte meinen, eine abgeschlossene persönliche Einheit dürfe auch nur einen Namen führen. Aber das praktische Bedürfniß, welches vorlag, eine Menge von Leuten gleichen Namens zu individualisiren, jeden einzelnen genau zu bezeichnen, bestimmte die Leute, einem Manne zwei, drei, vier, ja noch mehr Namen beizulegen. Zunächst konnte zu dem ersten einzelnen Namen eines Mannes der des Vaters im Genitiv treten, um ihn durch die Abstammung genau zu bezeichnen, oder man bildete Wortableitungen, welche die Herkunft von N. N.( dem Vater) aussagten. So entstand etwas, was in die späteren Familiennamen überging.
Die Familiennamen sind bei weitem jüngeren Datums, als man gewöhnlich meint. Wenn man frühe schon abstammungsbezeichnende Worte auf ung und ing findet, wie Merowinger , Agilulfinger, Nibelungen, Karolinger oder Karlinger, so bezeichnete man mit ihnen doch nur die ganze Sippe, nie aber hieß ein einzelner so. Aufgekommen sind die wirklichen Familien namen im 13. Jahrhundert, wo sie noch nicht recht fest geworden und nur einzeln zu finden sind, allgemein wurden sie erst im 16. Jahrhundert, der Zeit der Reformation.
In den höchsten Höhen und in den tiefsten Tiefen der Gesellschaft, bei Hofe und bei den Bauern, hält sich das Alte am festesten, daher die Bauern denn der Hort des Konservatismus find, aber wohl auch nicht ewig bleiben werden. So haben die russischen Bauern oft heute noch ebensowenig einen Familiennamen wie die deutschen Fürsten , die ersteren setzten zu ihrem einen Namen den des Vaters und die zweiten nennen sich nach ihren Stammburgen oder Stammländern.
In den Familiennamen beginnt noch einmal eine neue, triebkräftige Thätigkeit des Beobachtens und Benennens. Alle jene Gesichtspunkte, welche wir früher bei den Taufnamen als leitende und bestimmende bei der Namenverleihung erkannten, kommen hier wieder in Betracht. Besondere Eigenschaften, Fehler sowie Tugenden, bedeutende Thaten und Unthaten und dergleichen leiten die Wahl der Bezeichnung. Nur kommen hier noch eine Menge neue Elemente hinzu. Die Bildung der Familiennamen ergibt etwa vier große Gruppen.
Die erste der Familiennamenbildung geht so vor sich, daß ein ursprünglich alter Eigenname Familienname wird oder daß eine Weiterbildung von einem solchen alten Namen stattfindet. Einige Beispiele mögen die Sache illustriren. Chuonrat, Konrad, bildet, wie früher erwähnt, die Verkleinerungsform Kunz, davon denn alle heutigen Kunze oder Kunze sich herschreiben; auch
Wittic.
Künzel ist nichts anderes, als eine neue Verkleinerung des alten Konrad, deshalb möglich, weil inzwischen in dem Kunz die Verkleinerung nicht mehr gefühlt und verstanden wurde.
Diese Gruppe, deren Vertreter die längste Geschichte haben und an denen der Zahn der Zeit" am meisten genagt hat, sind für den deutschen Sprachforscher bei weitem die interessantesten. Freilich sind sie auch in ihren heutigen Formen oft recht räthselhaft und schwer zu entziffern, eben weil die Entwicklung und stete Veränderung unserer Sprache auch sie mit erfaßte und umsomehr umgestaltete, als man die alte Bedeutung aus dem Bewußtsein verlor. Dazu kommt noch, daß diese Umbildungen oft nicht von dem einfachen alten Vor- oder Taufnamen herzuleiten sind, sondern zum Theil von schon vorgenommenen Umbildungen und Zusammensetzungen herrühren.
Welches Leben gewinnt aber ein noch heut üblicher Familienname durch Zurückführung auf seine echte alte Form. So ist der vielverbreitete Seifert und seine Brüder Seifart, Seyfert, Seiffert oder wie sie sich sonst schreiben, nichts andres als Seifrit oder Sigfrit, der sagenberühmte Drachentödter, der Sohn König Sigmunds zu Xanten am Rhein , der im Nibelungenlied auftritt und der schließlich auf einen alten Sonnengott zurückgeht; der Untergang der Sonne, ihre Bewältigung durch finstere Mächte ist in der späteren Sage die hinterlistige Ermordung Sigfrieds durch den tückischen Hagen geworden.
Unkenntlich sind viele Familiennamen, die sich von Verkleinerungsformen, Koseformen, Schmeichelformen alter Taufnamen herschreiben. Aus dem alten Marpoto, Marbod ward eine solche Koseform Maro gebildet, daraus ward in jüngerer Zeit der Familienname Marr. Rein braucht nicht das bekannte Eigenschaftswort zu sein, sondern geht wohl eher auf Regin, Regino von Reginhard zurück, Haugt, Hauch, Hock auf Hugo oder Hucco von Hugibert, Härtel auf Hartilo von Hartmann. Reiß und Reiz sind Umbildungen von Rigo, der Koseform des Namens Richard oder eines anderen mit Rich als erstem Bestandtheil zusammengesetzten. Perz geht auf Berzo zurück, das von Bernhard, Sinzel auf Sinzilo, Sinzo, das von Sintram kommt.
Nicht selten mögen einst Zusammensetzungen zweier Koseformen gewesen sein, welche Annahme oft bei seltsam klingenden Namenformen treffliche Dienste leistet und Aufklärungen gibt in dunkle Bildungen, die sonst aller Deutungsversuche spotteten. Von bairischen Namen der Art gibt Steub, ein bedeutender Namenforscher, unter anderen: Bohmwetsch gleich Wezzo( Koseform von Werner), der Sohn des Bomo( Koseform für Botmar); Gotts winter gleich Windheri( d. i. Wendenheld, der sich im Kampf gegen die Wenden