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geschildert). Da uns Aufzeichnungen aus anderen Städten nicht zu Gebote stehen, müssen wir uns an die Detailberichte aus Frankfurt a. M. halten. Im Jahre 1494 verzeichnet die Stadtchronik den ersten Schauspieldirektor, Johann Kohlmesser, der nicht Pfaffe war. Selbiger Komödiantenprinzipal führte das Passionsspiel mit 266 Personen auf. Die Bühne umfaßte einen ganzen Stadttheil. Der Mitteltrakt der Bühne stand auf dem Samstagsberge, der Osthälfte des Römerberges, bis zum Röhrbrunnen, damit der Senat von dem Römersaale aus bequem zusehen konnte. Die Häuser der Ostseite des Plates bildeten die Szenenwand, wo der Himmel erbaut war. Der Keller des Gasthauses zum Engel(!) stellte die Hölle vor und aus der anliegenden Apotheke wurden die Salben von Maria und ihren Jungfrauen geholt, wobei es einmal zu einem drolligen Streit zwischen dem Salbenhändler und seiner Frau fam, weil sich der erstere mehr mit den Jungfrauen, wie mit den Salben beschäftigte. Vom Dom her über den Markt kam die Prozession mit den Pharisäern, dem Hohenpriester Kaiphas und dem Landpfleger Pilatus. Nicht selten hat man die Prozedur der Kreuzigung so naturwahr aufgefaßt, daß der Christusdarsteller der Peinigung erlegen ist. Der ,, Samstagsberg" diente, wie schon oben angedeutet, als Bühne in seiner ganzen Ausdehnung; hier standen auch die Tribünen für das zahlende Publikum nach den drei freien Seiten des Römerbergs. An der Nord- und Südseite waren die sogenannten Stände, wo die Gruppen des Schauspiels wie die Stationen der Handlung, wahrscheinlich lebende Bilder, postirt waren. Von einer zur andern gingen die Afteurs und unterhielten sich in den Zwischenakten mit dem Publikum. Die Stadtchronit meldet uns eine Wiederholung dieses seltsamen Schauspiels im Jahre 1498 in Sachsenhausen , einem Vorort von Frank furt und 1506 wieder auf dem Römerberge. Eine auf dem frankfurter Rathhause aufbewahrte Pergamentrolle belehrt uns über das Szenarium des Rektors und die Ausführung seiner Regisseure. Daraus und aus dem Vergleich mit ähnlichen Aufzeichnungen, die in den Rathhausbibliotheken von Zug und Basel ( Schweiz ) zu finden sind, kann man sich sogar die nach unseren Begriffen geradezu unflätige Auffassung und Wiedergabe der religiösen und profanen Rollen vorstellen. Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts schlugen die Passionsspiele im Gemüth des Volkes eine bisher ungekannte Saite an. Unverkennbar wachsend hatte sich in Frankfurt in die Darstellungsweise ein polemischer Zug gegen die Israeliten der damaligen Zeit gemischt, der mit der Uebertragung der großen Synagoge von Nürnberg nach Frankfurt in Zusammenhang stand, gegen welche eben die Dominikaner , welche die Direktion der Passionsspiele wieder an sich gerissen haben, sehr heftig geeifert hatten. Ungehört verhallte der Einwand der Chronisten, daß viele Juden, z. B. die von Worms , lange vor Christi Kreuzigung das Rheinland besiedelt hatten. An Stelle der würdevollen Ruhe war überall, in der Kirche, sowie bei den Mysterien, die eifernde Gereiztheit getreten, welche den Juden verderblich zu werden drohte. Da stellte sich unerwartet Hülfe ein, die Reformation, welche die Schauspieler in der Mönchskutte, die Ablaßkrämer und Hezer lahmlegte. Die Reformationsidee war durchaus nicht neu, mehr denn tausend Jahre spukte sie in den Köpfen der Denker, aber diesmal drängte alles zur Freimachung des Selbstbewußtseins im Volke. Die Heerde löste sich auf und das Individuum fam zur Geltung. Dieser Umstand sollte auch dem Drama volksthümliches Leben geben, und zwar in einem Lande, in welchem man es am allerwenigsten vermuthet hätte, in England. Hier ward das Kirchenspiel von Spanien eingebürgert. König Heinich VIII. überwarf sich mit der katholischen Kirche und führte statt ihrer aus Groll gegen den Papst, der seine Ehe mit seiner ersten Gemahlin nicht scheiden wollte, die anglikanische Kirche ein. Dadurch ward für die Schauspielkunst der Vortheil der Befreiung von dem Gewissensdruck der Pfaffen erzielt; zugleich aber wurde der katholische Ritus beibehalten, und dadurch das sinnliche Element, der Kunst unentbehrlich, gewahrt. Mit Ausnahme des bigotten Spanien , das seine Frömmigkeit mit dem Wohlstand bezahlte, wehte plößlich ein anderer, ein freier Geist in Europa . Auch in England hörte das Kirchenspiel auf, das Volksschauspiel begann und das Fach der Berufsschauspieler entwickelte sich auf breitester Basis. Hof und Barone, Städte und Klöster hielten sich gutbesoldete Schauleider nur in England. In Deutschland z. B. wurde spielertruppen das fahrende Volk zu den unehrlichen Leuten gezählt und Pfeifer und Schnurranten" durften nicht in der Stadt übernachten, ein Gesetz, das noch heutigentags in Breslau nicht aufgehoben ist, wenn man auch von seiner Anwendung selbstredend Abstand genommen hat. Dies wohl der Grund, daß zu einer Zeit, wo in Deutschland Genie und Lump die gleiche Bedeutung hatte, und das nachmalige Volk der Dichter und Denker sich mit Puppenspielen, den Erben der Kirchenspiele, be gnügen mußte, England eine geachtete Schauspielerzunft besaß, die sich durch Freiheit in der Auffassung und idealen Schwung hervorthat.
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Nur in diesem günstigen Boden konnte sich der Keim entfalten, den die Kulturgeschichte William Shakespeare nennt. Seine Geburt am 23. April 1564 fällt mit der Thronbesteigung der Königin Elisabeth zusammen. Unter der Leitung dieses für alle Zeiten mustergültigen Dramatikers, in dessen unsterblichen Werken sich Ernst und Humor wunderbar vérmählen, suchten die Zunftschauspieler nicht Tagesspäße, noch grelle Effekte, wie ihre Berufsgenossen von heute, sondern die Bescheidenheit der Natur" wie er ihnen im Hamlet" anräth, dem Jahrhundert seinen Spiegel vorzuhalten." Während in Spanien Calderon und Moreto, und in Frankreich Molière eine Nationalbühne zu gründen bestrebt waren, fand in Deutschland die dramatische Muse ein Asyl in der Jahrmarktsbude. Den im protestantischen Deutschland von Stadt zu Stadt ziehenden Puppentheatern verdanken wir die mit Hanswurstspaßen untermischten Dramen Genovefa", Undine " ,,, Melusine " und ,, Doktor Faust ". Im katholischen Deutschland spielten die Jesuiten mit ihren Schülern die schlüpfrigen Lustspiele der römischen Dichter Plautus und Terenz. Die Tradition der mittelalterlichen Passionsspiele wurde nur, wie schon eingangs bemerkt, von oberbayrischen Bauern in Oberammergau gepflegt und bis auf unsere Tage erhalten. Bekanntlich ist Oberammergau ein im bayrischen Hochgebirge, in der Nähe von Partenkirchen liegendes, meist von Holzschnigern bewohntes ansehnliches Dorf, welches sich neben dieser Kunstfertigkeit, in welcher es mit Berchtesgaden glücklich wetteifert, auch durch das ungewöhnliche theatralische Geschick seiner Bewohner auszeichnet. In jedem zehnten Jahre wird nämlich daselbst die sogenannte Passion", das ist eine dramatisch- musikalische Darstellung des Lebens, Leidens und Todes Jesu auf einer großen, eigens dazu erbauten, öffentlichen Bühne aufgeführt, und zwar nicht aus künstlerischem Antriebe oder um des Gewinnes willen, sondern zur Erfüllung eines Gelübdes, welches vor Jahrhunderten in Zeiten schwerer Pestgefahr von der gesammten Gemeinde abgelegt worden war. Das Passionsspiel ist daher im eigentlichsten Sinne eine Gemeindeangelegenheit, an welcher nur eingeborene Oberammergauer theilnehmen dürfen, diese es aber bis zu den kleinsten Kindern herab so vollzählig thun, daß bei der Aufführung 6-700 Köpfe betheiligt sind. Der Bau des Theaters, dessen szenische Einrichtung wohl das interessanteste an dem ganzen Spiele ist, wird im wesentlichen derselbe sein, wie er 1870 war, sowohl in Betreff der Bühne, wie des Zuschauerraums, die von den Oberammergauern als„ Spieltheater" und ,, Sittheater" treffend unterschieden werden. Die bedeutendste Verbesserung ist im Interesse der Gemeinde selbst vorgenommen, indem man hinter dem Bühnenraum noch einen Neubau hinzugefügt hat, welcher die ganze für mehr als 700 Mitwirkende dienende Garderobe aufnehmen soll. Hierbei war sowohl auf die größere Bequemlichkeit Rücksicht genommen, als auch auf größere Schonung der zum Theil sehr reichen Kostüme, welche alle 10 Jahre zum größten Theil neu angeschafft werden müssen. Interessant ist, daß durch die münchener Vermittelung auch das Wagnertheater in Beyreuth seine Wirkung auf das Gebirgsdorf geltend ge macht hat, indem man sich entschloß, das Orchester, das bei dem Spiel eine bedeutende Aufgabe zu lösen hat, etwas tiefer zu legen. In der Besetzung der Hauptrollen ist manches geblieben, wie es vor 10 Jahren war. So wird Christus wieder durch Joseph Mayr vertreten sein. Auch der stattliche und treffliche Chorführer von ehemals, sowie der damals noch sehr jugendliche Johannes sind dieselben geblieben. Die Frauenrollen sind neu besetzt, auch werden im übrigen natürlich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt in der Besetzung der Rollen Veränderungen vorgenommen, so daß auch der jüngere Nachwuchs in der Gemeinde in Thätigkeit kommt. Die erste Aufführung ist, wie schon eingangs bemerkt, auf den Pfingstmontag angeseßt und sollen 23 Wiederholungen stattfinden. Ist der Andrang der Besucher zu groß, so daß der Zuschauerraum die ganze Masse nicht aufnehmen kann, dann werden außerordentliche Vorstellungen eingeschaltet. Dem Stücke liegt ein uraltes Drama zu Grunde, das wahrscheinlich einen Mönch des nahen Stiftes Ettal zum Verfasser hatte, nun aber von dem Pfarrer Daisenberger nach einem Manuskript vom Jahre 1632 umgearbeitet ist. Auch die Musik ist das Werk eines früheren ammergauer Schullehrers namens Rochus Dedler . Der Text ist mit Bemerkungen von der Gemeinde durch den Druck veröffentlicht, welche sich das ausschließliche Eigenthum daran vorbehalten hat. Das Theater selbst ist unbedeckt, während der Zuschauerraum, wenigstens theilweise, vor der Witterung geschüßt ist. Die Bühne ist ein Ueberbleibsel des mittelalterlichen und theilweise auch des altgriechischen Theaters und bietet durch die Dreitheilung des Schauplages die Möglichkeit zur Entfaltung szenischer Vorgänge, wie keine andere übliche Bühnenform sie zu bieten vermag. Ueber die reiche Ausstattung und die ungesuchte Einfachheit der Darstellung haben sich Ed. Devrient, Hermann Schmid und andere Berufene in seltener UeberY. einstimmung lobend ausgesprochen.
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- Wohnungsheizung und Inhalt. Idealisten, von Rudolf Lavant ( Fortseßung). Irrfahrten, von 2. Rosenberg( Fortsetzung). Ventilation, von Rothberg- Lindener. Ueber deutsche Familiennamen, von M. Wittich. Dem Schicksal abgerungen, Novelle von Rudolph v. B......( Fortseßung). Die Republiken Südamerikas in ihrer Vergangenheit und Gegenwart. Historische Skizze von Dr. M. Vogler( Fortsetzung). Die Stadt Säckingen am Rhein ( mit Abbildung). Verkämpfte Hirsche, im Reinhardswalde verendet gefunden( mit Illustration).- Die Mysterienspiele des Mittelalters und das Oberammergauer Passionsspiel( Schluß).
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Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser in Leipzig ( Südstraße 5). Expedition: Färberstraße 12. II. in Leipzig . Verlag von W. Fink in Leipzig . Druck der Genossenschaftsbuchdruckerei zu Leipzig .
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