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wohlschließenden Doppelfenster und Thüren halten gewissenhaft jeden Eintritt gesunder Luft ab, denn die zeitweise Deffnung ohne Durchzug der äußeren Atmosphäre durch das ganze Haus oder Schloß hat keinen Zweck, weil das bloße Deffnen der Fenster die Zimmerluft wohl ab­fühlen oder erwärmen, niemals aber reinigen kann. Die wollenen Teppiche, die Sammet-, Plüsch- und sonstigen Polstermöbel bergen, trop Klopfens und Lüftens, eine Unzahl von Verwesungsprodukten, welche durch den Luftzug des Gehens in die Höhe gewirbelt und von den Lungen eingezogen werden. Die angefüllten Kleiderschränke, welche die durchschwitzten Kleider der Damen und die angesogenen Belzwerke der Herren in sich schließen und durch deren Deffnen von Saison zu Saison eine pestilenzialische Atmosphäre von Verwesungsgasen verbreitet wird, sind die befähigtsten Brutstätten typhöser Krankheitserscheinungen der Wohlhabenden. Wie oft schon mögen schöne Paläste die Siech­stätten fremder Gäste geworden sein, wenn die geschlossen gehaltenen Räume ihnen als Wohnung geöffnet wurden? Als z. B. v. Bismarck das pariser Gesandtschaftshotel beziehen sollte, schrieb er an seine Schwester, die Gräfin v. Arnim, daß er dies um feinen Preis thun würde, da die Luft darin in allen Räumen rein vermodert sei; und wirklich waren seine Vorgänger in der Blüthe der Jahre gestorben, z. B. Ladenberg. Vielleicht war das schnelle Siechthum des Königin gemahl Prinz Albert in Schottland aus einer ähnlichen Quelle entsprungen 2c. Zu den Brutstätten des Kinderfiechthums gehören, außer engen Wohnungen, die zum Uebermaß angefüllten Schulstuben, ohne Zufuhr von frischer Luft, welche die Ausdünstungen der jungen Menschheit fast hermetisch verschlossen halten. Was Wunder, wenn sich die Krankheitsstoffe der Schulstubenatmosphäre den zarten Lungen mit theilen und die Keime zu Lungensucht und dergl. zur Entwicklung tommen? Die verderbliche Einrichtung von Centralheizungen ist darum nirgends verdammungswerther, als für Schulen, denn die Verwesung der organischen Moleküle wird durch sie beschleunigt. Auf den frank machenden Einfluß der weiteren Schul- und Abtrittsatmosphäre sei hier nur kurz hingewiesen. Die Werkstätten und Fabriken sind nicht Die Werkstätten und Fabriken sind nicht minder Entstehungsherde epidemischer wie endemischer Krankheiten, je nach den Rohstoffen, welche sie verarbeiten. Thierwollen, Bließe und Belzwerk bleiben absichtlich lange oder dauernd im ursprünglichen oder wenigstens nur mechanisch von Schmuß gereinigtem Zustande, weil in diesem die Motten fern gehalten werden. Diese Beobachtung ist eine uralte und darum läßt sich ermessen, wie vielfach die Seuchenverschlep pungen und Uebertragungen, zumal der Schafpocken auf Menschen durch das Tragen des gröberen Pelzwerks auf bloßer Haut und auf dem Kopfe stattgefunden haben müssen! Die groben Wolldecken für die Armeen dürften darum nicht selten aus Rohwollen verfertigt werden, die vielleicht schon durch das Lagern in abgeschlossenen Räumen ver­seuchen und epidemische Krankheitserscheinungen hervorrufen; solche Wollen, Vließe und Pelzwerke können darum auf den weiten Wegen des Woll- und Pelzhandels die Brutstätten solcher Krankheitsstoffe wer­den, weil sie, fest verpackt und meist aus warmen Gegenden kommend, die Keime für solche verderbliche Gährung in sich tragen. In fast gleicher Gefahr befinden sich die Arbeiter in den Wollspinnereien und Webereien, der Hutmacherei und Kürschnerei; denn was in einer Be­ziehung die Lüftung der Wollen und Felle an Gefahr vermindert, ver­mehrt in anderer das Einathmen der feinen, in der Luft schwebenden Wollatome. Und diese bei der Arbeit entstehenden staubartigen Ab­fälle, die selbst im metallischen oder mineralischen Zustande, also troß ihres höheren spezifischen Gewichtes, in der Luft sich eine zeitlang schwe­bend zu erhalten vermögen, diese Abfälle kann man, mit Recht, den Staub der Arbeit nennen. Solcher Staub der Arbeit sind die feinen Faseratome der Seiden-, Baumwoll-, Flachs- und Jutespinnereien und Webereien; die Mineralatome der Bergwerks, Steinbruchs-, Stein­hauer- und Steinbohrarbeit und der Schleiferei; die Metallatome der sämmtlichen Metallgießereien und Drehereien; die Atome der Arsenik -, Antimon-, Baryt, Blei-, Chrom- und Quecksilberfarben der Buntpapier­und Zeugdruckereien( vornehmlich Ballkleiderstoffe), der Lettern aus den Buchdruckereien; die giftigen Gase der chemischen Werkstätten aller Art; die Horn- und Holzatome der Drechslereien; die Mehlatome der Müllerei, Bäckerei und Stärkefabrikation u. s. w. Diese auf die Ath­mungswerkzeuge, das Epithelium der Schleimhäute und die äußere feuchte Epidermis sich ablagernden seinen Atome sind, auch die nicht giftig wirkenden, jene Erzeuger von Husten, Bruſtleiden, Lungenentzün­dung und Lungenschwindsucht, welche so zahlreiche Opfer täglich sich ausersehen. Die bewegungslosen Professionen der Schuhmacher, Schnei der, Schreiber u. s. w. leiden am meisten durch den geringen Ath­mungsprozeß und die meist unreine und staubreiche Atmosphäre ihrer Werkstätten. Die Krankheiten der Epidermis dieser genannten Arbeiter­klassen sind zumeist Mitesser und Forunkeln( Assen) Gerstentorn im Auge. Auch die Transportmittel, wie Viehwagen, Waggons und Droschken, welche wegen ihrer beständigen Benutzung die Ansteckungs­stoffe reichlich aufnehmen können, sollten von den Sanitätsbehörden besonderer Kontrole unterworfen werden. Vielleicht wird man bald bei uns auch dahin kommen, wo man in England schon lange ist: die unnachsichtliche Bestrafung über die Droschkenkutscher zu verfügen, wenn sie Krante mit ansteckender Krankheit annehmen. So wurde jetzt ein solcher in Fulham vor Gericht gestellt, weil er eine Dame, die an Scharlach litt, nach dem Krankenhause geführt hatte. Er erhielt einen Monat Gefängniß mit Zwangsarbeit und die Droschke wurde im Polizei­hause sofort desinfizirt. Wir meinen, es kann nicht oft und nicht

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energisch genug auf die hier aufgezählten Pflegstätten menschlicher Dual und menschlichen Siechthums hingezeigt, nicht oft genug dawider zur Selbsthülfe und zur Hülfe durch die Vorsorglichkeit der Behörden auf­gerufen werden.

Aufbruch zur Tigerjagd.( Bild Seite 497.) Indien , das ferne Wunderland des palmenreichen Orients, die alte sagenumwobene Halb­insel mit ihren üppigen tropisch- schönen Landschaften neben mächtigen Laubholzbeständen, auf den Tafelländern im Innern und regenlosen Wüsten im Fünfstromlande, das uralte Kulturland zwischen den heiligen Strömen Indus und Ganges mit deren herrlichen Ufern, das Vater­land der vielbesungenen Lotosblume, ist der Schauplaß unseres heutigen Bildes. Indien ist die Wiege aller Kultur. Bereits um die Zeit der Geburt Moses und noch ehe Homer den trojanischen Krieg besang, Rom erbaut wurde und die alten Deutschen aufhörten, in Pfahlbauten zu wohnen, befanden sich die Bewohner Vorderindiens, des heutigen eng­lischen Kaiserreiches Indien , im Besize eines Schatzes nationaler Lieder und einer in Versen gedichteten Literatur, einer eigenen Schrift, großer Städte, eines ausgebildeten Handels und einer alle Verhältnisse regeln­den Gesetzgebung; die Philosophie erreichte früher als in Griechenland eine hohe Blüthe, und vor Aegypten hat Indien voraus, daß statt Hieroglyphen( Geheimschrift, nur für Wissende und Eingeweihte berechnet) eine umfassende Literatur Zeugniß gibt von einem mannichfachen theo­logischen und philosophischen Denken über die schwierigsten Aufgaben der nach Erkenntniß ringenden wissenschaftlichen Forschung. Mancher weise Spruch, dem wir noch griechischen oder ägyptischen Ursprung zu­schreiben, ist den dortigen Denkern aus Indien über das stammver­wandte Medien und Persien zugetragen worden, denn gleichsam wie in einem Treibhause hat der indogermanische Geist unter der tropischen indischen Sonne früher Keime der Wissenschaft gezeitigt, als irgendwo sonst. Und diese Keime haben sich vom Himalaya bis zum Kap Ko­morin erhalten und entwickelten sich zu erstaunlicher Größe und Festig­feit, troßdem das Land von griechischen, persischen, mongolischen, portu­giesischen, französischen, dänischen, holländischen und englischen Eroberern besetzt wurde. Indien gilt mit Recht als die kostbarste Perle in der englischen Krone. Von 250 millionen außereuropäischer Unterthanen in den fünf Erdtheilen entfallen 240 millionen auf Indien ; Waaren im Werthe von mehr als einer Milliarde Mark werden jährlich durch englische Handelshäuser aus Indien bezogen oder dahingeworfen, vierzig Prozent des gesammten Umsages Englands mit seinen auswärtigen Besizungen werthet der Handel mit Indien . Das englische Kaiserreich Indien hat ein Areal von 38/10 millionen Quadratkilometern und ist siebenmal so groß als das deutsche Reich; hiervon sind 12 millionen Quadratkilometer indischen Fürsten zur Selbstregierung unter englischer Aufsicht belassen worden. Das ist die Achillesserse der englischen Ver­waltung. Die eingeborenen Fürsten hat die Krämerpolitik Englands zum Fluche des Landes belassen, denn dieser Nizam von Haidarabad, der Gaikowir von Baroda , Djulap Singh von Radschputana und wie sie sonst heißen mögen, sind ohne Ausnahme Blutsauger des Volkes, die nur ihren Haremsfreuden und ihrem Jagdvergnügen leben. Der Mittelpunkt und die Hauptperson unseres Bildes ist einer jener Mah­rattenfürsten, die ihr halbes Leben auf der Jagd in den Dschungeln der Malabarküste( dem südwestlichen Theil Indiens ) verbringen. In einer goldvergitterten, mit kostbaren Stoffen ausgeschlagenen Sänfte, Hauda genannt, welche auf den Rücken eines Elephanten geschnallt ist, sigt der gelangweilte Sprößling der höchsten Kaste, hinter sich seinen Minister, der aber nichts zu regieren hat. Das Regieren besorgt der Reiter des zweiten Elephanten, ein nicht minder gelangweilter Eng­länder, der als Resident an dem Fürstenhofe des Maharatten- Emirs fungirt. Der Reiter des dritten Elephanten ist das geistliche Oberhaupt des Maharattenlandes, der Oberbramine, dessen Kopfbedeckung der un­serer Köche nicht unähnlich ist. Die Elephanten leitet der im Nacken derselben hockende Mahaut mit einem dem Bootshaken ähnlichen In­strument. Das übrige Gefolge besteht aus unzähligen Faullenzern, von denen einem jeden eine genau bestimmte Dienstleistung obliegt. Die zwei Vordermänner im bunten Kaftan haben Zeit ihres Lebens nichts anderes gethan, als ihrem Gebieter die grünen Zweige beim öffentlichen Aufzug vorangetragen; andere sind als Pfeifen-, Fliegen­wedel-, Speer- und Schwertträger oder als Pferd- und Hundeführer angestellt. Wie es bei dieser einseitigen Beschäftigung im Kopfe dieser lebenslänglich angestellten Hofbeamten aussieht, bedarf wohl keines Kommentars. Betrachten wir uns näher die Zeit und den Ort unseres Jagdbildes. Der Indier theilt das Jahr in drei Jahreszeiten: in eine Regenzeit( Juli bis Oktober), eine falte( November bis Februar) und eine heiße( März bis Juni); die lettere ist die Jagdzeit. Die Erde liegt unter der allgewaltigen Hiße wie ein sonnverbranntes, schwer­athmendes Geschöpf. Alles was grün war auf der Oberfläche an Gras, Kraut oder blühendem Gesträuch, ist eingeschrumpft in gelblicher, frankhafter Färbung, die Bäume lassen ihre staubigen Aeste und ver­trockneten Blätter leblos herabhängen. Die Ströme, einst die Adern der Erde, sind ausgetrocknet und fließen nicht mehr, ihr Bett ist ganz leer oder zeigt nur einzelne, morastige Pfüßen und Tümpel, die gar nicht mehr in Verbindung miteinander stehen. Die Sonne steigt mor­gens wie eine feurige Kugel herauf und geht abends als blutrother Ofen unter. Die Brunnen sind erschöpft und das Lastvieh, welches die­selben sonst treibt, trauert unter der Hiße im dichtesten Schatten. Das