Die Gegenwart.
( 1880.)
Dort, wo das Meer in schönen Bogen Istriens Gestade einschließt,
Wandelte ich am Ufer frühmorgens einsam.
Ueber die blaue Adriabucht Märchenhaft klar
Grüßten Alpengipfelhäupter Schneeblinkend herüber;
Aber mein Gemüth war kummerschwer
Und bittrer Groll fraß mir am Herzen. Ich dachte der düsteren Gegenwart,
Wie alles scheinbar rückwärts sich gewendet,
Menschenelend ringsum,
Von den Erwartungen der Zeit nichts erfüllt
Und statt geträumter Freiheit allerlei Nachtgespenster
Und Spott und Hohn und Rückschrittsübermuth der Gegner.
Da schlug ein seltsam Geräusch an mein Ohr,
Wie polternd kam es näher und näher;
Und da ich aufblickte,
Sah ich auf der Straße vor mir,
Die von der Werfte draußen zum Hafen führte, Dampfwandeln ein Wagen- Ungethüm.
Sausend schwirrte droben das Schwungrad,
Aber die großen Räder drunten
Wälzten sich langsam,
Langsam vorwärts unter Aechzen und Stöhnen
Und zermalmten auf der Straße den Kies und die Steine Knirschend,
Und hinter sich her an Ketten schleppte der Wagen Auf Rädern eine riesige Schiffsdampfmaschine.
Und ich trat heran,
Doch wie ich in die Räder starrte,
Da durchzuckt' es mich seltsamlich,
Daß die Speichen beim Radumlauf
Von oben nach unten scheinbar rückwärts gingen
Und immer rückwärts nach unten hernieder,
Und doch stampfte der Wagen vorwärts
Und rollten die Räder vorwärts unaufhaltsam.
Da ward ich getröstet wunderbar,
Wie der Koloß an mir vorbeizog,
Ein Bild der Zeit.
Der Wagen der Zeit rollt vorwärts unaushaltsam Unter Aechzen und Stöhnen,
Und ein Niedergang im Radumlauf
Solch' ein Moment ist die Gegenwart;
Wie wenn Fliegen auf den Speichen ſizend
Sich freuen, daß sie rückwärts niedergehen, So ist der Spott der Gegner heute.
Goldig glänzte die Luft und das Meer
Im aufsteigenden Sonnenstrahl,
Und ich grüßte über die Adriabucht
Die schneefunkelnden Alpenhäupter
Freudigen Herzens.
Bäume, die in den Himmel wachsen wollten. Ein zeitgemäß' Wörtlein in der Blüthenepoche des Größenwahns. Von Theodor Drobisch.
Nach der Schlacht von Salamis wurde den Generalen befohlen, eidlich den Mann anzuzeigen, der sich am besten gehalten habe. Sie gaben alle dem Themistokles den zweiten Platz, aber ein jeder sich den ersten.
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Männer dieser Art, ohne gerade Generäle zu sein, gibt es noch heute in Wissenschaft und Kunst; Selbstlinge, denen die Bescheidenheit, diese liebenswürdige Tochter der Selbsterkenntniß, nicht an das Herz gewachsen ist.
Die hohe Meinung, welche sie von sich hegen, scheint auf einen Zweig von Jelängerjelieber gepropft zu sein und jeder ist in Betreff seiner Eitelkeit so ein Doktor Eisenbart, der zur Konservirung derselben die merkwürdigsten Rezepte besitzt.
Lassen wir vor der Hand einige solche Geister aus früherer Zeit aufmarschiren:
Pindar , der lyrische Dichter der Griechen, versicherte: daß weder die Wuth des Winters, noch der Sturmwind seine Verse vernichten könnten. Cicero versäumte nicht, sich immer mit Selbstlob zu überschütten. Horaz ist überzeugt, daß sein Ruhm so lange dauern werde, als die Verehrung der Götter im Kapitol. Als Beweis seiner Selbstüberschätzung dürfte seine Ode gelten: Exegi monumentum aere perennius. Zu deutsch : Meine Verse sind sehr schön, Werden nimmermehr vergeh'n.
Malesherbes sagte zu Heinrich IV. :,,Was Malesherbes schreibt dauert ewig."
Cardan hielt seinen Verstand für ein Mittelding zwischen der göttlichen und menschlichen Natur.
Dumoulin beginnt mehrere seiner Schriften mit den Worten: ,, Ich, der ich niemand etwas nachgebe und den niemand etwas lehren kann." In dem Geschichtsbuche solcher Geister, welche an die Fabel von dem aufgeblasenen Frosch erinnern, befinden sich noch mehrere Blätter, denen man versucht wird ein sogenanntes Eselsohr einzubiegen.
Auf Ausbildung des Geistes und Herzens, Kenntnisse und Fertigkeiten, kann der Mensch allerdings pochen, nur darf dies nicht mit einem Krupp'schen Schmiedehammer geschehen.
Davon sehen aber viele ab und dies sind die Egoisten, deren Streben dahin geht, sich zum Mittelpunkt zu machen und täglich beslissen sind, ihren eigenen Werth mit einer imaginären Größe zu multipliziren.
Man könnte auf einen jeden der sich Ueberhebenden die Versworte des französischen Dichters Delisle anwenden, welche wie folgt lauten: ,, Sein Jch ist ihm der Winkelmesser Womit er sich und andere mißt, Sein Ich weiß immer alles besser, Sein Ich ihm stets Begleiter ist,
Sein Ich ist ihm der Mittelpunkt der Welt, Indeß damit er andern entseßlich lästig fällt."
Es ist zu bedauern, daß Individuen mit solcher Leidenschaft den Werth anderer Gaben verringern, die sie in der That haben, abgesehen davon, daß solche Eitelkeit zugleich die Staffel zur Lächerlichkeit ist. Ich habe im Laufe meines Lebens solche Geister mehrfach kennen gelernt, und wenn ich mir erlaube, jezt hier einiger zu gedenken und ihnen ein Klettchen anzuhängen, so möge dies weniger der Person, als der Sache gelten.
Lenken wir zuerst den Blick auf Christian Andersen , den dänischen Dichter, der aus dem Reiche der Elfen und Märchen so manchen Schaz für die Literatur gehoben, der nicht allein für die Spinnstuben berechnet war. Leider sah er nur seine geistigen Spinnräder für Werkzeuge an, die auch Mühlen treiben können.
Der gute Mann hielt sich in literarischer Hinsicht für einen Adler, obgleich er mehrfach nur in einem Schwalbenneste saß. Zu seiner kindlichen Natur, die sich so schön in vielen seiner Märchendichtungen offenbart, gesellte sich eine Eitelkeit, die, wie Guzkow einmal von ihm sagt: ,, nur einen eitlen, mit Orden behangenen, von Fürstenhof zu Fürstenhof reisenden, sich selbst überschäzenden Mann gesehen hat. Einen Schwächling, dem nur unter Damen wohl war, die ihn wie ein Lämmlein behandelten, ihn von Schoß zu Schoß gaben, einen Gecken, der nur in Kreisen leben zu können schien, wo er zum tausendsten male sein ,, Butt! Butt!" vorlas und entfloh, wenn sich in seiner Gegenwart ein überlegener Geist über Dinge aussprach, die ihn nicht persönlich betrafen."
Zur Porträtirung seiner Natur mögen hier als Beweis des Vorstehenden einige kleine Züge aus seinem Leben folgen:
Es war zur Zeit, als dieser dänische Skalde seinen ersten Ausflug nach Deutschland unternahm und somit auch Leipzig berührte, wo er infolge seines Rufes eine ungemein gastliche Aufnahme fand.
Ich traf ihn Nachmittags im Hause einer liebenswürdigen Patrizierfamilie, wo an dreißig Personen versammelt waren, meist Kaufleute, Künstler und Gelehrte. Man tam dem Dichter mit hoher Achtung entgegen, namentlich die jüngeren Damen, welche sich freudig der Hoffnung hingaben: heute eine Erzählung oder eine Vorlesung von ihm zu hören.
Unter den Eingeladenen befand sich aber auch der damals noch jugendliche Kopfrechner Zacharias Dase aus Hamburg , von dessen Genie namentlich in den Momenten die Rede war, als der Kaffee herumgereicht wurde.
Auf freundliche Veranlassung eines Finanzmannes ließ sich Dase sehr bald herbei, einige Proben von seiner eminenten Begabung abzulegen. Alle waren von Bewunderung ergriffen über das bisher unglaubliche.
So löfte er in Zeit von einigen Sekunden die Frage: Wenn jemand vierundsechzig Jahre alt ist und in jeder Sekunde 7/16 Pfennig zu verzehren hat, wie viel Thaler beträgt dieses?
Es geschahen ferner Berechnungen verschiedenartiger Exempel aus den vier Spezien der Brüche, Multiplikation und Division mit mehrzifferigen Zahlen, z. B. 1635+1274: 3268: 7,571,956. Sodann Ausziehung von Quadrate Kubik-, Biquadrat- Wurzeln und Wurzeln aus höheren Potenzen.
Ebenso unbegreiflich wie sein Gedächtniß für Zahlen war die richtige Auffassungskraft seines Auges. Vierzehn Dominosteine, die ihm vorgelegt wurden, überflog er mit wenig Blicken und er nannte sofort die Zahl der Augen.
Wir holten einen tiefen Teller mit Erbsen herbei, zählten solche in der Stille und streuten sie auf den Tisch. Es waren 280. Er rieth: 270 bis 275 Stück.
Aufgefordert: die Zahl der Ziegel eines nahe gegenüber liegenden Giebeldaches anzugeben, nannte er die Zahl 619. Der Hausherr nahm Tags darauf seinen Operngucker zur Hand und brachte nur 618 heraus. Er zählte noch einmal und da findet es sich, Dase hatte zwei halbe Dachziegel einzeln mitgezählt und somit war seine Angabe: 619, richtig.