durchbricht, auf schlankgewölbten Brücken von einer Wand auf die andere springt und nicht nur dem Fußgänger und Reiter, sondern auch dem schwerbeladenen Frachtwagen einen sichern Weg bietet. Schon sind Ingenieure an der Arbeit, auch durch dieses Felsenlabyrinth, dessen einzelne Partien die Sonne niemals bescheint, den Weg für das Dampf­roß zu bahnen. Bei Tusis, wo der Rhein   aus dem verlorenen Loche rauscht, ist die Landschaft ganz und gar verändert. In dem korn- und weingesegneten Domleschgerthal erschaut man rings eine Menge von hübschen Dörfern und Schlössern, darunter Rhazüns, an den Namen Rhätien   erinnernd, wahrscheinlich die älteste Ansiedlung im Lande. Wir folgen dem Laufe des Flusses, der in diesem Thale   durch die weiße Albula und die schwarze Nolla vergrößert wird, und gelangen so an die Stelle, an der wir schon einmal standen, nämlich nach Reichenau  , wo Vorderrhein  , Mittelrhein   und Hinterrhein   sich verbinden und den gemeinschaftlichen Namen Rhein   annehmen. Mit großem Vergnügen sieht der Wanderer in diese jauchzende wirbelnde Umarmung hinunter, in welcher sich drei Geschwister zusammenfinden, die nun für ihr ganzes Dasein in eins verschmelzen. Dieses Dasein wurde noch oft genug durch Katastrophen bedroht, bevor es im Schoße der Mutter alles Lebens, im Ozean den Abschluß findet. Wir wollen zum Schluß nur eine davon, und zwar die wenigst bekannte erzählen. Wer heutzutage den Rhein   vom Gotthard   in den Bodensee   fließen sieht, wird leicht zur Annahme verleitet, das könne nie anders gewesen sein, sodaß selbst ein Kartograph wie Kiepert in seinem historischen Atlas der alten Welt dem Rhein   schon zur Römerzeit denselben Weg anweist. Und doch wird im Alterthum niemals des Rheinfalls bei Schaffhausen   gedacht; er wird erst im achten Jahrhundert unserer Zeitrechnung erwähnt. Gleich­wohl läßt sich bei der scharfen Ecke von Sargans  , die dort der von Reichenau   kommende Rhein   macht, unschwer eine Vertiefung entdecken, die als das alte Rheinbett in den züricher See führt. Man gelangt dann zum Schlusse, daß vor etwas mehr als tausend Jahren in einem ungewöhnlich strengen Winter eine Eisbank das alte Flußbett verstopft und den Strom in ein neues Bett gedrängt habe, welche Katastrophe zu einer weiteren, dem Ueberfluthen der Felsenbarre bei Schaffhausen  , den Anstoß gab.

Diejenigen Leser, die sich für die weitere Gestaltung des Rheins und seiner User interessiren, verweisen wir auf die Artikel ,, Säckingen  ", Die drei Eren", Odilienberg" und Caub", worin im landschaft lichen Rahmen dieses Flusses zugleich die Schicksale seiner Uferbewohner geschildert werden. Nächstens wollen wir erzählen, wie der gewaltige Rhein   im holländischen Sande ruhmlos verschwindet.

Dr. M. T.

Originelle Kanzelreden. Von den merkwürdigen Predigten des Augustinermönch Ulrich Megerle  , mit dem Klosternamen Abraham a Santa Clara  ( gestorben in Wien   1709) sind bereits früher in dieser Zeitschrift Proben gegeben worden. Wie dieser häufig in seinen Kanzel­reden das schöne Geschlecht apostrophirte, so that es auch der Pfarrer Spörer zu Rechenberg im Fränkischen, der um 1720 in einer Pre­digt bemerkte: ,, Das Frauenzimmer lieb' ich von Natur, wenn es schön, galant, complaisant, honnet, sauber aufgeputzt wie ein schönes Pferd; da weiß ich schon, wie sie zu respektiren seien, die da recht haushalten Ha! können, dem Manne alles an den Augen absehen, was er will. da lacht das Herz, wenn der Mann heimkommt und einen so liebens­würdigen Engel antrifft, die ihn mit den schweeweißen Händchen em­pfängt, küsset, herzet, ein Brätlein und ein Salätlein auf den Tisch trägt, und sich zu ihm hinseßet und spricht: Liebster, wo willst du her­untergeschnitten han? und was dergleichen honig- und zuckersüße Sachen mehr sind. Wenn man aber eine hasche, basche, rasche! einen Rumpelkasten, ein Marterfell im Hause hat, die immer brummt, die eine Thür zu-, die andere aufschlägt, die im Schlot mit der Ofengabel hineinfährt und wieder auf den Herd herunterplumpft, die ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter oder wie ein Nest voll Eulen macht, die lauter Suppen aus dem Höllentopfe anrichtet und was des Teufels­zeug mehr ist: die lieb ich nicht, die mag der Teufel holen!" In einer 1736 in Weißenfels   von dem protestantischen Dorfprediger Banisch gehaltene Kanzelreden heißt es nach einem vor mehreren Jahren aufgefundenen Manuskript: Als Pharao  , ein gewisser König in Aegyp­ ten  , befahl, alle erstgebornen Knäblein zu tödten, so hatte er, meiner Meinung nach, die löbliche Absicht, daß die lieben Mägdlein sollten am Leben bleiben, damit sie könnten zum Heiraten gebraucht werden. Woraus wir sehen, daß das weibliche Geschlecht unentbehrlicher als das männliche ist." Weiter ist folgender Passus höchst originell: Kinder sind gehorsam ihren Eltern. 3. B. Wenn ein Sohn will auf die Heirat gehen, so spricht er zu seinem Vater: Lieber Vater und liebe

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Mutter! Mein Sinn und alle meine Dinge stehen nach unsers Nach­bars Marzipille, d'rum bin ich willens, das Mädchen zu heiraten, gebt mir Euren Rath dazu, seid Ihr's zufrieden? Der Vater spricht: Hans Görge, übereile Dich nicht, nimm sie nicht, sie kommen schon besser. Der Sohn thuts und hat Segen. Tob. 10. V. 1. Ein ungerathener Runks spricht aber wohl gar: Vater was schiert's denn Euch? Habt Ihr mich doch nicht um Rath gefragt, wie Ihr bei der Mutter seid auf die Freit gegangen und habt Euch mit ihr verkuppelt. Weit anders ist es mit Gottes Kindern beschaffen." Zum Schluß versichert der Pastor( nachdem er vorher gegen die Trunksucht geeifert): Ich esse meinen Bissen Brot und trinke dann und wann ein Gläschen guten alten Wein ich bin aber immer nüchtern in meinem Amte."-

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Stenographie, Telephon und Sehmaschine im Dienste der Presse. Die Londoner ,, Times", das bekannte Weltblatt, berichtet in der Nummer vom 27. Mai d. J. über eine wesentliche Vervollkomm­nung der Berichterstattung über die Parlamentsverhandlungen. In neuerer Zeit habe sich bei den hervorragendsten Rednern die Neigung bemerklich gemacht, die Reden im Parlament zu so später Stunde zu halten, daß die wörtliche Wiedergabe in der Morgenausgabe fast un­möglich geworden sei. Es sei schon schwierig, eine 1 Uhr nachts ge­haltene Rede am nächsten Morgen ausführlich mitzutheilen, noch schwie­riger gestalte sich die Berichterstattung über nachts 2 Uhr gehaltene Reden. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, hat ein Parlamentscomité Erörterungen angestellt, die zu folgendem, man kann wohl sagen, groß­artigen Resultate geführt haben: Die erste Hülfe gewährt eine Set­maschine. Der gewandteste Seger kann in der Stunde nicht über 40 Zeilen sezen, in dringenden Fällen allenfalls 50, dies aber nur eine kurze Zeit hindurch. Die Maschine dagegen, welche wie ein Klavier arbeitet, ermöglicht es, daß ein Mann 100 Zeilen in der Stunde sezen kann, selbst wenn er von der Handschrift ablesen muß, 200, wenn ihm die Handschrift vorgelesen wird. Die Maschine ist schon seit einer Reihe von Jahren in Gebrauch und ist nach und nach so vervollkommnet worden, daß sie jetzt treffliche Dienste leistet. Um nun ferner die im Parlament gesprochenen Reden möglichst schnell in die Druckerei zu liefern, wurde eine unterirdische Drathleitung hergestellt, welche den Berichterstatter im Parlament mit dem Seger in der Druckerei in Verbindung setzt. Da durch kann nun die Wiedergabe der Reden noch um 3/4 Stunden ver­längert werden. Der Reporter- Stenograph spricht seine Nieder­schrift in ein Telephon, welches in einem Zimmer neben der Referenten­tribüne aufgestellt ist; der Setzer seinerseits hat die zweite Telephon­scheibe hoch hinter seinem Kopf und von der Scheibe zu seinen Ohren führen zwei Hörrohre. Der Seßer hat einen Sprechapparat, durch welchen er nöthigenfalls dem Berichterstatter signalisiren kann, daß er verstanden oder nicht verstanden hat, daß er fertig ist und um Fort­segung ersucht 2c. Eigennamen werden buchstabirt. Auch das Telephon arbeitet zu voller Zufriedenheit, nur tritt mitunter eine Störung der Leitung durch Inductionsströmungen oder eine zu große Vibration der Scheibe ein. Auch von außen stellte sich ein gewaltiges Hinderniß dem Unternehmen entgegen, nämlich die Post, welche alles that, um eine solche Benugung des Telephon verbieten zu lassen. Sie hat aber nachgeben müssen." Wir rücken dem bekannten Ideale immer näher, bemerkt hierzu die ,, Allg. D. Stenographen- Zeitung", daß dem Redner, der nach einem zweistündigem Vortrage die Tribüne verläßt, an deren Fuße bereits 500 gedruckte Exemplare seiner Rede auf Velinpapier mit Gold­schnitt und mit Kreuzband und Briefmarke versehen überreicht werden; er braucht sie nur noch in den Briefkasten zu stecken. Um zu zeigen, in welcher Weise die praktischen Engländer sich die Stenographie nußbar machen, mögen hier noch die Angaben einer englischen Stenographen­Zeitung, des Phonetic Journal"( über 12 000 Abonnenten) Plaz finden. Das Blatt theilt mit, daß die in Großbrittannien jährlich zirku­lirenden stenographischen Briefe und Postkarten nach hunderttausenden zählen; der Gebrauch, die Adressen in stenographischer Schrift niederzu­schreiben, habe sich seit einiger Zeit sehr eingebürgert und werde nicht beanstandet. Die bei dem Stenographischen Institut" jährlich eingehen­im letzten Winter den stenographischen Briefe belaufen sich auf 20 000 hat das Institut durchschnittlich täglich 200 stenographische Briefe Soweit sind wir in Deutschland   doch noch nicht, wenn empfangen. auch die Stenographie immer mehr an Verbreitung gewinnt. Erwäh nung verdient indeß, daß dem Schreiber dieser Zeilen neulich ebenfalls eine Postkarte mit stenographischer Adresse( aufgegeben Leipzig  , Post­amt III) zuging. Es möge aber niemand aus diesem Kuriosum den Schluß ziehen, daß nunmehr auch in Deutschland   stenographische Adressen zulässig seien!

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Inhalt. Idealisten, von Rudolf Lavant  ( Fortseßung). Ueber die Lösung eines zweihundertjährigen physikalischen Problems, von Rothberg- Lindener( Fortsetzung). Irrfahrten, von Ludw. Rosenberg( Fortsetzung). Dem Schicksal abgerungen, Novelle von Rudolph Bäume, die in den Himmel wachsen wollten. Ein zeitgemäß' von B......( Fortsetzung). Die Gegenwart, Gedicht von Leop. Jacoby. Die erste Rheinbrücke( mit Illustration). Originelle Kanzel­Wörtlein in der Blüthenepoche des Größenwahns, von Theodor Drobisch  . reden. Stenographie, Telephon und Sehmaschine im Dienste der Presse.

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Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser   in Leipzig  ( Südstraße 5). Expedition: Färberstraße 12. II. in Leipzig  .

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Druck und Verlag von W. Fink in Leipzig  .

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