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Das T. allgemeine deutsche Turnfest in Frankfurt am Main . Vom 25. bis 28. Juli war Frankfurt , die altehrwürdige Kaiserstadt am Main , Stelldichein für über IVA» aus allen Gauen Deutschlands herbei- geeilte Turner. Auch aus den sernsten Theilen Amerikas , aus Belgien , Holland , Frankreich , England, Italien , aus der Schweiz , aus Oester- reich, Ungarn und Siebenbürgen waren Vertreter zu diesem großen Feste eMsandt, sodaß, mit Einschluß der vielen einheimischen und fremden Zuschauer, eine recht bunte und reichhaltige statistische Tafel von Pro- vinzen und Ländern entstand, die am besten und schönsten bei dem 1V2 Stunden währenden Festzuge selbst, in dem Defilee der beinahe zahllosen Fahnen und Standarten sichtbar wurde. Frankfurt hatte sich festlich geschmückt, die Stimmung war eine lebendige, und da besonders Frankfurts Damen an Spenden von Blumen, Wehen und Winken mit Tüchern nicht ermüdeten, so dursten sich die Turner nicht beklagen; der Empfang war ein herzlicher. Wäre das Wetter günstiger gewesen, hätte der periodische Regen nicht das Festarrangement des öfteren ge- stört, wäre schließlich das am 28. Juli abends stattgefundene Feuer- werk glücklich und ohne Menschenopfer verlausen, so hätten Gastgeber und Gäste noch lange Zeit Stoff, mit Freuden an die Turnertage in Frankfurt zurückzudenken.— Die einheimische Presse hatte Monate, Wochen und Tage voraus alles aufgeboten, sowohl die Aufmerksamkeit auf das Fest zu lenken, als auch die getroffenen Einrichtungen bestens zu loben. Von einer Kritik war fast nirgends zu lesen. Ist das ein Fehler gewesen, so hat man nun hinterdrein Gelegenheit genug und die Pflicht, über manches tadelnd zu reden, über das man vorher wohl hätte vergebens gesprochen.— Als man an die Verwirklichung des Festes herantrat, war das erste, einen geeigneten, der Stadt nahe- gelegenen Platz zu erlangen. Man wählte das vor dem Friedbergcr Thor gelegene Grundstück des Barons Rothschild, und dieser des Geldes so sehr bedürftige Mann vermiethete das etwa 80 Morgen große Feld für den Sommer 1880 aus Patriotismus zu dem civilen Preise von 7000 Mark. 52 Morgen des Platzes benutzte man zu dem Festorte, den man mit einer Festhalle, einer Tribüne, acht Bierhallen, zwei Dienst- gebäuden, einer Germaniastatue und dem Bildniß Jahns schmückte, so- daß im ganzen 3000 Personen Dachung finden konnten. Bei dieser Einrichtung, die dem frankfurter Architekten O. Lindheimer(nebenbei gesagt, ein Mitglied des Hauptcomite's des Turnfestes) infolge einer erlassenen Konkurrenz, übertragen war, hatte man sich zweifellos nach den Verhältnissen des 1862 in Frankfurts Mauern abgehaltenen deutschen Schützenfestes gerichtet, durchaus aber nicht der Progression der Ein- wohnerzahl Rechnung getragen, und so einen fast um die Hälfte zu kleinen Festplatz hergestellt, was an dem ersten Festtage, an welchem das Wetter günstig war, eklatant in die Augen sprang. Das Gedränge war auf dem Platz so groß, daß Ellenbogen an Ellenbogen stieß. Als daraus nun der Regen herniederströmte, der für ein solches Fest un- günstige Lehmboden erweichte, mußte man einsehen, daß Baron Rothschild ein überaus gutes Geschäft gemacht, das Comitö aber einen ganz un- zureichenden Platz erwählt hatte.— Das Fest sollte ein nationales, ein Volksfest sein, von verschiedenen und gewissen Seiten behauptet man noch, daß es ein solches gewesen sei. Bedenkt man aber, daß das Eintrittsgeld pro Person eine Mark(keine Tageskarte) und die Familien- karte, auf welcher die Familienmitglieder auch noch Beschränkung er- fuhren, 10 Mark für die Dauer des Festes kostete, so ist es klar, daß wir es hier mit nichts weniger, als mit einem Volksfest zu thun hatten. Es war das Fest gutsituirter Bürger und nur in diesem Sinne ein Volksfest. Um diesen Punkt noch klarer zu stellen, müssen wir einfach fragen, wer waren denn die zahlreich anwesenden Turner? Waren sie die wirklichen Vertreter deutscher und außerdcutscher Turnvereine? Einige, manche mögen es gewesen sein, manche, deren Verein pekuniär gut stand, und manche, deren Verein es daran gelegen war, einen oder den andern Turner von Prosession wegen eines zu erringenden Preises bei dem Feste zu wissen. Im großen und ganzen waren es reiche Leute, wie ja kaum der vierte Theil derselben wirklich an den Freiübungen, und hiervon wieder nur ein kleiner Theil sich an den Riegenübungen und dem Preisturnen betheiligte. Man verschaffte sich eben, ob Turner oder Nichtturner, eine Legitimation zu dem Feste, benutzte die ermäßigten Eisenbahnsahrprcise, ließ sich mit Sang und Klang in der ehemaligen freien Reichsstadt bewillkommnen und beendete den Jubel, indem man demselben entweder eine Badekur oder einen Sommcrausflug folgen ließ;.— Lange vor der Festeröffnung kursirten in Frankfurt die ver- sus.roensten Ansichten über die Gesittungsart der erscheinenden Turner. Man malte sich das Benehmen derselben vorzugsweise ordinär aus und kolportirte in öffentlichen Herrenkreisen mit Vorliebe ein epi- grammatisches Gedicht, das an pessimistischer Ausdrucksweise nichts zu wünschen ließ und nur aus Anstand hier nicht reproduzirt werden kann. Bedenkt man nur, daß sich Männer, die sich sonst der Turnerei gegen- über ablehnend verhalten und denen die Turnerei sonst der Beachtung fast unwerth erscheint, dennoch an die Spitze des Festes stellten und sich in Reden über Nationalität und Patriotismus ergingen, so begreift man einerseits den Erfolg, anderseits die Würdigung dieses allgemeinen Festes und erkennt es schließlich in seiner Eigenschaft als politisches Mittel. Bei den abgehaltenen Banketten ist daher viel nach dieser Richtung geredet, hie und da wohl der Anlauf zu einer gesunden An- schauung genommen worden, über die Phrase ist aber kaum einer öffent- lich hinausgekommen; ja, es fanden sich zwei total taktlose Redner, die Herren Dr. Götz aus Lindenau, Schriftführer, und Georgii aus Eßlingen , Vorsitzender des Turnausschusses, welche der von ihnen, resp. der Turner-
schast ergangenen Einladung dadurch hohnsprachen, daß sie sich bei dem ersten offiziellen Bankett in anstößigstem Chauvinismus ergingen. Dem- entgegen ist bemerkenswerth, daß Deutschlands Kaiser, Mitglieder der preußischen Königsfamilie und Bismarck der ergangenen Einladung zur Festtheilnahme nicht entsprachen. Man denkt vom Throne herab also anders über die Turnfesterei, und um so drolliger erscheinen danach die oratorischen Bemühungen der angeblichen Turner. Nach alledem boten der Festplatz und die Festlichkeiten auf dem- selben nur ein wirres, buntes Bild, aber keines, das das Gemüth des Menschen hätte erheben können. Fehlte diesem großen„allgemeinen Feste" auch eine große allgemeine Ungebundenheit der Meinungs- äußerung, so fehlte äußerlich der genügende Raum zur bequemen und ungezwungenen Entfaltung der einströmenden Menschenmenge.„Sein Baum verstreute Schatten", wenn stundenlang die Sonne brannte; und kein genügender Schutz war vorhanden, wenn es regnete. So ward nothgedrungen der Schwerpunkt der Festesfreunden in die Stadtwirth- schasten und in die Cirkel derjenigen Vereine verlegt, welche ihren Landsleuten zu Ehren Bankette veranstalteten. Hier war auch die Freude eine ungleich gehobenere und der Meinungsaustausch ein um vieles freierer. Die Beherbergung der Turner hatten theils die Bürger, theils der Turnausschuß selbst übernommen. Letzterer hatte Massen- quartiere beschafft, in denen bsp. 700 Mann auf einmal Aufnahme erhielten, und die nur mit den denkbar nothwendigsten, dazu meist mangelhaften Utensilien versehen waren. Wer von den Turnern des zweifelhaften Glückes genossen, hier einquartirt gewesen zu sein, wird im Gegensatz zu seinen Kameraden nicht grade mit Lobeserhebungen aus Frankfurt geschieden sein. Von weiter Reise und den Anstrengungen des Tages erschöpft, verlangt der Körper eine bequemere Erholung, als die gebotene war. Jede Militärkaserne hätte in jeglicher Beziehung einen Vergleich ausgehalten, würde man sich die Mühe hierzu gegeben haben. Diese Kalamität entsprang eben aus dem der deutschen Turner- schaft hierorts anhaftenden bösen Renommee.— Von Ausschreitungen einzelner Turner ist nichts verlautet,— man bewegte sich zwar frei, gemächlich, stets aber in den Grenzen der Schicklichkeit, und insofern muß man der anwesenden Turnerschaft alles Lob spenden. Manche Vorurtheile von Süd wider Nord, von West wider Ost und umgekehrt hat das Fest ausgleichen Helsen , und wenn das Allgemeine deutsche Turnfest auch nur diesen Zweck gehabt hätte, wir könnten zufrieden sein, und auch nur in dieser Hinsicht begrüßten wir das lärmende Fest.— Ganz anders stellt sich die Betrachtung, wenn wir den idealen Werth der gebotenen und überhaupt der modernen deutschen Turnleistungen untersuchen. Die Turnerei ist die bewußte Korrektur der in Bezug auf den körperlichen Verfall des Menschengeschlechts grell hervortretenden schädlichen Einflüsse des Kulturlebens, ist das Mittel, unter Aufstellung und Durchführung eines wohlgeordneten Systems von Uebungen des Körpers, die Vervollkommnung desselben zu erzielen. Von dem geheimniß- vollen Zusammenhange des menschlichen Geistes mit dem Körper, sagt Dr. Kloss in seinem„Katechismus der Turnkunst", nahmen die gebil- deten Völker des Alterthums eine wichtige Veranlassung her, die mensch- liche Bildung nicht blos auf die geistigen Aulagen, sondern auch auf die leibliche Ertüchtigung und Ausbildung zu beziehen.— Die Sentenz, in welcher sich die tiefe Lebensweisheit der Alten ausspricht: iMsus saua in corpore sano(ein gesunder Sinn in einem gesunden Körper) hat für alle Zeiten ihre Geltung. Kein Volk der Erde hat eine so plan- mäßige Bildung des Geistes und Körpers erreicht, wie einst das griechische. Nicht blos ein tüchtiges Volk im ganzen, sondern auch eine Reihe öffentlicher Charaktere im besonderen wurde dadurch hervor- gerufen, die von uns noch heute als große Männer in allen Gebieten des Kulturlebens angestaunt und als Muster hingestellt werden. Wir Modernen, die wir die Einheit des Körperlichen und Geistigen nicht blos ahnen, wie die Griechen, sondern davon überzeugt sind, stehen dennoch in der Gymnastik den Griechen noch weit nach. Wie der edleren bildenden Gymnastik der Griechen eine zeitlang das athletische Birtuosenthnm gegenüberstand, welches darauf hinausging, eine gewal- tige Kraftsteigerung zu erzielen, um mit derselben bei öffentlichen Festen zu glänzen und Siegespreise zu erringen, bei welchen Wettkämpfen der äußerliche Verlauf nicht immer gefahrlos für den Betheiligten war; wie diese prahlerischen Gaukelspiele der Athleten gar bald ihr Ansehen verloren, wie sie in ihrem ganzen Wesen und Austreten das Einseitige der Gewinnung einer rohen Körperkrast zeigten, die Harmonie zwischen Körper und Geist mißachteten, so in ähnlicher Lage befindet sich die moderne Turnerci und nur so kommt es, daß sich die Turner nicht grade der größten Hochachtung in unserer Zeit erfreuen.— Zu dieser Betrachtung führte uns von neuem das fünfte Allgemeine deutsche Turn- fest, auf welchem ca. 25 Prozent der Turnenden, bei wirklich vorzüg- lichen Geräthschaften, sich beschädigten und des auf dem Festplatze statio- nirten ärztlichen Beistandes bedursten. Streben wir darnach, der idealen Forderung der Körperentwicklung zu entsprechen, wir haben dann einen großen Schritt nach vorwärts gethan. So aber gehen wir noch lang- sam, sehr langsam, wie wir Deutsche in allen Dingen sehr langsam und leider zu bedächtig vorschreiten.— lieber den jäh eingetretenen Schluß des Festes, veranlaßt durch das Platzen eines Feucrwerkskörpers, dessen eiserne Splitter 26 Opfer trafen, haben die Tageszeitungen längst berichtet. Ohne Zweifel wäre das große, die ganze Stadt tief auf- regende und das Fest mit raschem Schlage störende Unglück nicht ge- schehen, hätte man weniger auf Großartigkeit des Feuerwerks gesehen, und hätte man diejenigen Vorsichtsmaßregeln getroffen, welche auf einem