588genietete Glocke, deren Ursprung bis ins 6. Jahrhundert zurückreicht.Die Benedektiuer, deren Kulturbestrebungen wir bereits in den Artikeln„Ekkehard'",„Kremsmünster" und„Säckingen" lobend erwähnt haben,waren auch im Schmelzen und Formen der Metalle Lehrer des Volkes.Ihre Abtei Sankt Gallen besaß schon gegen Ende des 3. Jahrhundertsim Mönche Tanko einen weitbernhmten Glockengießer. In Englandhaben dieselben Mönche hundert Jahre später ein harmonisches Geläutehergestellt, während in anderen Ländern gegossene Glocken erst im11. Jahrhundert allgemeiner wurden. D".:ch die Ausbreitung dermohamedanischen Herrschast wurden sie im Orient wieder verdrängtund sind dort heute noch selten, weil der Türke eine so geräuschvolleAnkündigung des christlichen Gottesdienstes nicht duldet. Die katholischeKirche hat eine eigene Vorschrift(Ritual) zur Taufe der Glocken, unterderen Vollziehung sie denselben Namen von Heiligen wie belebten Wesenbeilegt. Auch an Pathen fehlt es nicht, die natürlich nicht mit leerenHänden kommen dürfen. Daß die Glocken dadurch zu finanziellenZwecken ausgebeutet werden, ist selbstverständlich. Um die stille Trauerder Charwoche zu erhöhen, wird während derselben nicht geläutet undzur Bekräftigung dieser Maßregel erfand man das Märchen, daßsämmtliche geweihte Glocken zu Ostern nach Rom fliegen. Nach der-selben Version haben auch geweihte Glocken die Macht, schädliche Ge-lvitter zu zertheilen, obzwar schon mancher Küster während des„Wetter-läutens" mit dem geweihten Glockenstrang in der Hand vom Blitze er-schlagen wurde. Die schwerste Glocke, 27 150 üg, trägt das höchste Gebäudeder Erde, der Thurm des kölner Doms, der am 14. August d. I., nach632jähr. Bauzeit vollendet wurde. Die treffliche Charakteristik unseresHolzschnittes, welches die Wiedergabe eines Oelgemäldes von WilliamShirlaw ist, veranlaßt uns zu der lobenden Erwähnung des letzteren.Schotte von Geburt, doch als Kind mit seinen Eltern nach Amerikaausgewandert, hat er einen ähnlichen Bildungsgang wie der TyrolerDefregger und der Ungar Munkücsi durchgemacht; Defregger warMaurer, Munkücsi Tischler und Shirlaw Kupferstecher und alle dreiwidmeten sich erst in späteren Jahren der Malerei. Obzwar alle dreimit Nahrungssorgen zu kämpfen hatten, erlangten sie doch in auffallendkurzer Zeit, und zwar unter Piloty's Leitung in München, einenhohen Grad von künstlerischer Ausbildung. Die unfern Lesern vor-liegende„Tonprobe" ist im Jahre 1874 in München entstanden undhat dort wie später auf der Weltausstellung in Philadelphia lebhasteAnerkennung gesunden, welche wir ihr auch nicht vorenthalten wollen.Möge der ehemalige Kupferstecher, gegenwärtig Professor an der Kunst-akademie in Newyork, allen seinen Schülern die Anleitung zu so treff-lichen, in jeder Figur lebendig sprechenden Genrebildern geben, wie ereines in der„Tonprobe" selbst geliefert hat. I)r. M. T.Entzifferung verbrannter Doknmcnte. Der in jüngster Zeitstattgehabte Brand des mommsen'schen Hauses erregte außer der Theil-nähme an dem Verluste des Alterthumsforschers an eignen Manu-skripten auch ein allgemeines Bedauern über das Zugrundegehcn derausgewählten Bibliothek, die, wie berichtet wird, nicht nur seltene,sondern einzig vorhandene, historisch werthvolle Dokumente und Schriftenenthielt. Es liegt in diesem Ereigniß eine dringende Mahnung fürdie Inhaber solcher Seltenheiten, ihre Befriedigung weniger in demBesitz, als in der Bekanntmachung derartiger literarischer Schätze zusuchen und ihrerseits wenigstens alles mögliche für eine Veröffentlichungund Vervielfältigung des Inhalts zu thun, damit er nicht durch irgendein Naturereigniß oder aus andern Gründen nutz- und spurlos wiederverschwinde. Es ist aber bei dem Brande einer Bibliothek, der nichtmit gänzlicher Zerstörung des Gebäudes und vollkommenem Durch-einandergewürfeltwerden der Trümmer und Bücherreste geendet hat,unter Umständen von dem Wesentlichen, nämlich dem Inhalt der Bücher,noch viel, ja alles zu retten möglich. Man kann leicht beobachten, daßeinzelne Blätter von Papier, die rings von Luft umspült werden, zwarvollständig zu Asche verbrennen, welche vom Lustzug zerstreut wird;am Rücken gebundene Hefte von kleinem Umfange jedoch, die man,ohne sie aufzublättern, anzündet, verbrennen nur schwierig, unvoll-ständig und lassen eine zusammenhängende Kohle zurück, wenn siestarker Hitze ausgesetzt waren. Noch unvollständiger geschieht die Ver-brennung, wenn, wie in Bibliotheken, ganze Reihen von Büchern inRegalen fest aneinander gepreßt ausbewahrt werden, da sie sich dannnicht leicht von selbst durch die Hitze oder den Luftzug aufblätternkönnen. Die Blätter der einzelnen Bände bilden eine homogene Masse,die einem verkohlten Holzblock ähnlich sieht. Ein Versuch, sie zu öffnen,führt in diesem Zustand zu einem Zerbröckeln und Zerfallen und sonachzu völligem Verlust. Von Rathelot wurde jedoch ein Versahren er-sunden, derartige Dokumente zu entziffern. Er schnitt den Rücken derdas Buch bildenden Bogen durch, so daß die einzelnen Blätter denZusainmenhang verloren, tauchte das Buch in Wasser und setzte es so-fort einer ziemlich starken Hitze au der Mündung eines Kalorifers aus.Durch das rasche Verdampfen des Wassers lösten sich die einzelnenBlätter und behielten genug Zusammenhalt, um bei großer Vorsichtvon einander getrennt werden zu können. Die Schrist auf den ver-'kohlten Blättern sieht matt, das Papier glänzend schwarz aus, ähnlichwie Sammtverzierungen aus schwarzem Atlasgrund, so daß das Ab-lesen zum Zweck erneuten Niederschreibens keine Schwierigkeit bietet.Mit Hülfe dieses Verfahrens wurden mehr als 70 000 Dokumentewiederhergestellt, die in den durch die Erstürmung der einzelnen Stadt-theile von Paris nach der Kommunebewegung herbeigeführten Brändenzerstört worden und bereits als verloren angesehen waren. N.-L.Ein schweizerischer Landvogt vor dreihundert Jahren. Vonder drückenden Zwangs- und Gewaltherrschaft, die ehemals die Eid-genössischen Landvögte, in den als„Unterthanenlande" früherbetrachteten und behandelten italienischen Vogteien(heutiger KantonTessin) ausübten, wird heute noch viel berichtet. Daß es unter denLandvögten von Zeit zu Zeit auch„weiße Raben" gab, beweist uns derInhalt eines Briefes, den vor dreihundert Jahren der Landvogt Werd-müller von Locarno(aus Zürich stammend), an die Eidgenössische Tag-satzung richtete. Der Ehrenmann schrieb an seine Vorgesetzten resp. andie Eidgenössische Tagsatzung Folgendes:„Ich habe den Schuldenbetriebin meiner Vogtei bis zur Ernte oder bis aus neuen Befehl von EuerGnaden eingestellt, denn die armen Leute haben weder Korn noch Geld,solches zu kaufen. Sie haben freilich einiges Vieh. Nimmt man ihnenaber ihre Kühe, so haben ihre Kinder keine Milch und gehen zu Grunde.Ich bitte Euch, gnädige Herren, inständig um die Besugniß, ihnentäglich einen Kessel Brod- und Fleischsuppe auszutheilen, um diese Un-glücklichen vom Hungertode zu retten. Die Ehre der Eidgenossenschaftverlangt es, daß wir das Beispiel einer gerechten und wohlwollendenVerwaltung geben, und daß wir den Leidenden helfen. Unsere Nachbar-Völker werden, wenn sie unsere Sorge für das Gemeinwohl sehen, unserRegiment loben und beneiden. Diese Weise, unsere Macht auszubreiten,wird für uns besser sein, als die Eroberung durch Spieße und Helle-barden. Könnte man es nicht auch dahin bringen, den Verwünschungender Leute von Lugano über die Käuflichkeit derjenigen, die sie regieren,ein Ziel zu setzen. O! um Gottes Willen, gnädige Herren, schaffet schmäh-liche Gewohnheiten ab, zur Wohlfahrt und zur Ehre der Eidgenosse»-schaft." Die„gnädigen und gestrengen Herren", die in der Tagsatzung denInhalt des Briefes vernahmen, ehrten die mannhafte Sprache desBriefstellers und sich selbst am Besten dadurch, daß sie den Maßregelndes edelgesinnten Landvogtes beistiminten und seine Vollmachten er-weiterten! So geschehen vor dreihundert Jahren in den Unterthanen-landen der Schweiz, während in den angrenzenden Ländern die hohenHerren, geistlichen und weltlichen Standes, dem schwerbedrückten Land-manne bei ihren wilden, verwegenen Jagden, von mächtigem, zahlreiche»Troß umgeben, die grünende Saat, das reifende Getreide zertrampeltenund Kaiser Maximilian mit mächtigem Heere gegen das, mit„Ver-brechen aller Art vertraute Kühervolk" zu Felde zog! DenStaatsmännern des XIX. Jahrhunderts, die an der Spitze großer Staats-Wesen die Geschicke der Völker lenken, stünde, zum Segen und Heile derMenschheit, die Denk- und Handlungsweise des Landvogtes Werdmüllerwohl an._ C. St.Ein Gesundheitspaß aus dem vorigen Jahrhundert. Gesund-heitspolizeiliche Anordnungen zur Verhütung der Einschlcppung vonepidemischen Krankheiten bestanden in Sachsen schon im vorigen Jahr-hundert, wie der nachstehende Paß beweist:„Wir Bürgermeister undRathmanne der Stadt Zittau im Marggrafthum Ober-Lausitz, uhr-künden hiermit, daß in hiesiger Stadt und Gegend(Gott Lob!) reineund gesunde Luft, und von einiger Pestilenzianischen Seuche, und an-dern ansteckenden Krankheiten nichts zu spühren sey. Dannenhero WirMäniglich nach Standes-Gebühr, ersuchen, Vorzeiger dessen Möns.Christian Benjamin Gerlach Cand. Academiae, 21 Jahr alt, mittlerStatur, in grauer Kleidung.-- Welcher von hier aus nach Witten-berg zu reisen gesonnen, aller Orten ohngehindert paß- und repassirenzu lassen; Welches Wir zuVerschulden erböthig sind. Uhrkundlich unterunserm Gemeinder Stadt wissentlich vorgedruckten Jnsiegel. ActumZittau, den 29. Mai Anno 1759. Oer Rath daselbst." Wer nichtim Besitz eines ähnlichen Passes war, durste in den fünfziger Jahrendes vorigen Jahrhunderts, als in dem nahen Böhmen die Pest wüthete,nicht in die Stadt treten. Die Bewohner der an Zittau grenzendenOrtschaften erhielten Münzen oder Pappkarten, aus welchen ein Z ge-prägt war. Ohne Vorzeigung derselben durften sie nicht durch dieThore der Stadt.-z-Inhatt. Idealisten, von Rudolf Lavant(Fortsetzung).— Ueber die Lösung eines zwcihundertjährigen physikalischen Problems, vonRothberg-Lindener(Fortsetzung).— Betrachtung über die Gesundheitspflege des Volkes, von Gr. Eduard Reich(VII. Pflege der Sinnes-Werkzeuge).— Irrfahrten, von L. Rosenberg(Fortsetzung).— Dem Schicksal abgerungen, Novelle von Rudolph v. B......(Fortsetzung).—Das V. allgemeine deutsche Turnfest in Frankfurt a/M.— Modethorheiten vergangener Jahrhunderte(IV).— Tonprobe(mit Illustration).—Entzifferung verbrannter Dokumente.— Ein schweizerischer Landvogt vor 300 Jahren.— Ein Gesundheitspaß aus dem vorigen Jahrhundert.Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser in Leipzig(Südstraße 5).— Expedition: Färberstraße 12. II. in Leipzig.Druck und Verlag von W. Fink in Leipzig.