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Gerechtigkeit genüge geleistet worden. Nun wurden 12 Geschwo-| die Schulter und trieb ihn so in die Gasse. Eng schlossen sich rene gewählt, die nach geschehenem Vortrag des Anklägers und des Beklagten und ihrer Helfer beiseite traten und das Urtheil fanden oder schöpften. Erkannten die Geschworenen auf schuldig, so brachten sie die Sache wieder vor die Gesammtheit, welche mit dem altüblichen Handaufheben dem Rechtsurtheil zustimmte oder dasselbe verwarf. Nun bedankten sich die Fähnriche ,, für den guten Willen, ehrhaftes Regiment zu stärken", nahmen ihre Fahnen wieder aus der Erde und stellten sich an die stets nach Osten gerichtete Deffnung der Gasse", welche die Lanzenträger bildeten, und senkten die Spigen der Fahnen, der Gasse zugewendet, zur Erde. Dumpfer Trommelwirbel ertönte, die Knechte senkten ihre Spieße und der Profos schlug den ,, armen Mann" dreimal auf

die Mannen zusammen, daß der Delinquent nicht irgendwo durch­breche, denn dann mußte derjenige für ihn weiter laufen, der den Durchbruch ermöglicht hatte. In der Gasse angekommen, ward der Uebelthäter von den Spießen der Kameraden nieder­gestoßen. War er nun todt, so knieten alle zu einem Gebete nieder, dann zogen sie dreimal um den Leichnam herum, wobei die Hakenschüßen eine Salve abgaben, und damit war die Hand­lung vollendet. Daraus entwickelte sich das bis in unser Jahr­hundert üblich gewesene Spießruthenlaufen, welche Milderung" dem ,, allerchristlichsten" König Gustav Adolf zugeschrieben wird, in dessen Lagern so wacker und fleißig gesungen wurde! ( Schluß folgt.)

Heißlporne und Sicherheitskommiffarien im Gebiete der Naturwissenschaft.

Von Bruno Geiser. ( Schluß.)

Am Schlusse des vorigen Artikels gab ich einen Umstand Ebenso ist es mit der von Virchow angezogenen hippo­an, der die strenge Durchführung der an sich sehr löblichen For- kratischen Methode, die doch gewiß durch eine lange Kette derung arg erschwert, der Gelehrte solle zwischen dem wissen- ,, wissenschaftlicher Thatsachen" gestützt wurde und darum auch schaftlich Festgestellten und dem wissenschaftlich Vermutheten vor durch die Jahrtausende hindurch bis in das letzte Halbjahrhundert den Augen seiner Schüler stets eine deutliche Grenzlinie ziehen. hinein unbestritten und anscheinend unbestreitbar geherrscht hat, und heutzutage, nach Virchow ; beinahe bis auf ihre Wurzel vernichtet" ist.

Allerdings spricht Virchow in dem zuletzt angeführten Saße nur von der wahrnehmbaren Abtrennung dessen, was jeder in Frage kommende Gelehrte auf eigne Faust vermuthet. Aber würde denn ein Vortheil für die Lernenden herauskommen, wenn der Professor A bescheiden und scharfsichtig genug wäre, seine eignen Spekulationen als Spreu von dem wissenschaftlichen Weizen zu scheiden, während er dafür unter diesen Weizen vermengt die wissenschaftlichen Vermuthungen seines Nachbarn B mit in den Kauf gäbe? Sicherlich nicht!

Will man also solche Scheidung überhaupt durchführen, so muß man alle wissenschaftlichen Thatsachen als Thatsachen und alle wissenschaftlichen Vermuthungen als Vermuthungen jedem Lernenden verständlich bezeichnen.

Dieses Vorhaben bleibt jedoch, abgesehen von dem schon an­geführten Umstande, daß die Thatsachen und Vermuthungen tausendfach ineinander verfließen, auch noch an verschiedenen anderen Haken hängen.

Ein zweiter Haken z. B. besteht darin, daß es auf dem Boden jeder Wissenschaft nur wenig Pläßchen gibt, um die nicht heißer Meinungsstreit der Fachgelehrten kämpfte; der eine hält für bewiesen, was der andre für höchst zweifelhaft, der dritte jogar für baaren Unsinn erklärt. Wo läuft da die Grenzlinie zwischen Feststehendem und Problematischen?

Ein dritter ist gegeben in der Thatsache, daß es den wissen schaftlichen Thatsachen, die ja für uns erst geboren werden, wenn sie unsre menschliche Wissenschaft als Thatsache erkennt und an­erkennt, gradeso ergeht, wie uns Menschen selbst, sie werden nicht nur geboren und leben, sondern sie sterben auch bei Gelegenheit.

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Das ist gewiß sehr wesentlich nicht nur zur Beurtheilung der virchow'schen Forderung und seines Kampfes wider Häckel und Genossen, sondern für die Werthschätzung der wissenschaft lichen Thatsachen und der Wissenschaft überhaupt.

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Der berühmte Say Harvey's*), den Virchow in seiner Rede anführt: Omne vivum ex ovo, d. h. ,, alles Lebende stammt aus einem Ei", galt sehr lange Zeit für den Ausdruck einer wissen­schaftlichen Thatsache nach Virchows eignem Anerkenntniß-, und dennoch steht jetzt, wie Virchow gleichfalls selbst hervorhebt, fest, daß er nur der Ausdruck eines großen Irrthums war, denn wir haben erkennen gelernt, daß auch durch Parthenogenesis**), ferner durch Theilung wie durch Knospen- oder Sprossenbildung, und durch Generationswechsel***) Lebewesen entstehen.

*) William Harvey ( sprich: Harwi), hochberühmter englischer Arzt, Entdecker des Blutkreislaufs und Begründer einer neuen, troß ihres Grundirrthums sehr wichtigen Zeugungstheorie; geb. 1578, gest. 1658.

**) Jungfernzeugung, Fortpflanzung durch unbefruchtete Keime. ***) Generationswechsel ist die auch Ammenzeugung genannte Art der Fortpflanzung, bei welcher unmittelbar aus dem Mutterwesen nicht ein diesem ähnliches Kind, sondern ein von ihm in seiner Körper­

Daraus geht mit aller möglichen Klarheit hervor, daß sich in der Wissenschaft die Thatsachen und die Probleme nicht wie feindliche Heere gegenüberstehen, die einen in strahlend weißer Uniform, die andern in dunkelblauer, also daß eine Scheidung leicht, ja nur in allen Fällen möglich wäre. Daraus erhellt weiterhin, daß das Problem" nur die Krücken plausibler Gründe braucht, um zur Thatsache" zu avanciren, und der Thatsache" nur das Pech passiren darf, daß diese Krücken unter der Last entgegenstehender Beweismittel brechen, um entweder wieder in die zweite Rangklasse der Probleme zurückversezt oder gar als totaler Irrthum aus der Liste des zur wissenschaftlichen Diskussion Stehenden und für sie als Belegmaterial Brauchbaren gestrichen zu werden.

Die virchow'sche Forderung ist also in ihrem weiten Umfange und in ihrer vollen Schärfe nicht zu erfüllen weder von ihm selbst, noch von Häckel oder sonst irgendeinem Gelehrten; und diese Unmöglichkeit scharfer Trennung besteht nicht blos für Vergangenheit und Gegenwart, sondern sie beharrt auch für alle Zukunft.

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Die virchow'sche Forderung wird nur für die beiden Pole der wissenschaftlichen Errungenschaften beherzigt werden können, für den positiven Pol, an dem sich das kleine Häuflein des mit allen Wassern wissenschaftlicher Kritik gewaschenen, für unser Zeit­verständniß ganz Unzweifelhaften zusammendrängt, und auch da wird uns das hippokratische Gesicht*) der hippokratischen Methode mahnen, allezeit noch ein bescheidenes Fragezeichen hinter dem Worte ,, Thatsache" stehen zu lassen, und für den negativen Pol, an den sich die nur von vereinzelten Gelehrten oder ver­einzelten Gelehrtengruppen brühwarm auf die Tafel der Wissen­schaft gestellten gewagten Spekulationen und Hypothesen anhängen. Bei diesen beiden Kategorien des Wissenschaftlichen wird die virchow'sche Scheidung für die Lernenden auch zweifellos Werth haben, aber für den gesammten mitteninne zwischen jenen beiden Polen befindlichen Körper der Wissenschaft würde jeder Versuch solch scharfer Theilung statt zur Klärung nur zu babylonischer Verwirrung führen und zu einem Gelehrtenkriege aller gegen alle alle dem gegenüber der Kampf Virchow contra Häckel, ja selbst der Kampf der Gelehrten von der Germania" und der Kreuzzeitung " gegen den Darwinismus mit seinen radikalsten Parteigängern bis zu Karl Vogt und Büchner hin nur ein Kinderspiel wäre.

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Ganz besonders würde das der Fall sein, wenn mit Virchows Mahnung Ernst gemacht werden sollte, nur den wissenschaftlichen

organisation völlig verschiedenes Wesen, die Amme, hervorgeht, aus dem sich dann durch Sprossung oder Theilung erst ein der Mutterart angehörendes Wesen entwickelt.

Ein die Anzeichen des Absterbens aufweisendes Gesicht.