zur Darstellung gelangenden Schwindels oder Wahnsinns, ernst und ruhig. Ernst blieb nun zwar Herr Aloys Meßig auch aber von Ruhe war bei ihm nicht die leiseste Spur zu entdecken. Als ob
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er, in des Gedankens schrecklichster Bedeutung, auf Nadeln säße, so rückte er unermüdlich auf seinem Plaze hin und her, fuhr tausendmal in die Höhe, schnitt fürchterliche Gesichter und biß sich nach der Reihe alle Finger wund. ( Fortsetzung folgt.)
Die Herde des Hungers im schlesischen Eulen- und sächsischen zu schlagen( Nothstandshyänen"), dürfte dem einen oder dem anderen
Es kann mir nicht beikommen, hier ein vollständig umfassendes Bild des oberschlesischen Nothstands, dem nach der Erklärung des preußischen Finanzministers Dr. Bitter( der bekanntlich mit dem Minister des Innern Grafen zu Eulenburg sich an Ort und Stelle informirt hat) anfangs Januar d. J. 105 000 bis 106 000 Menschen anheimgefallen waren( und man darf diese Zahl eher für eine zu niedrig ge griffene halten!), entwerfen zu wollen, ich müßte zu diesem Zweck mehrere Nummern d. Bl. in Anspruch nehmen, sondern ich werde mich darauf beschränken, nur einige besonders charakteristische Belege für die grausame Wirkung desselben zu geben. Als ein solcher Beleg erscheint mir vor allem ein Schreiben des Geh. Sanitätsraths Dr. Heer zu Ratibor , in welchem dieser unparteiische Zeuge u. a. folgendes ausführt:
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,, Seit drei Wochen bin ich ununterbrochen auf Reisen in meinem Amtsbezirk, und doch überwältigen mich täglich neue Szenen des grauenvollen Elends, das über unseren unglücklichen Landestheil verhängt iſt. Der Typhus ist nunmehr( Ende Dezember vorigen Jahres) in der Kreisstadt und in den Dörfern Solarnick, Olsau, Bluschezau, Plania, Marquartowig, Kamin, Brzesniz, Raschütz, Bobrownit, Woinowitz und Standza konstatirt, und wenngleich in mehreren Ortschaften erst einzelne Fälle aufgetreten sind, so muß doch die Gleichzeitigkeit ihrer Erscheinung als der Ausdruck einer allgemeinen Ursache erachtet werden. Ueber die Natur dieser Ursache besteht kein Zweifel mehr. Am 21. d. habe ich zwei große Dörfer im Oppathale besucht, die durch sechsmalige Ueberschwemmung ihrer Felder ihre ganze Ernte eingebüßt haben. In diesen zwei Orten sind 700 Personen ohne alle Nahrungsvorräthe; sie werden durch fremde Hülfe bis zum Beginn der Arbeitszeit erhalten werden müssen. Ich habe die Kinder in den Schulen gesehen und unter ihnen eine große Menge abgemagerter, blutarmer Gestalten gefunden, die mittags das Schullokal nicht verlassen wollten, weil sie zu Hause kein warmes Zimmer und kein Mittagsmahl finden. Und was ist die Nahrung der besser Situirten? Zwei Mahlzeiten von schlecht gerathenem Buchweizen, der, auf Handmühlen zerkleinert, mehr als die Hälfte des Gewichts schwarze feste Hülsen gibt. Davon werden Klumpen ohne jede Fettung in Salzwasser gekocht. Leider ist diese elende Kost ein Lurus gegen die zahlreichen ekelerregenden Gerichte, welche aus den zur Zuckerfabrikation nicht geeigneten mißrathenen Rüben bereitet werden und sehr vielen Familien zur ausschließlichen Nahrung dienen. Ich habe gesehen, daß eine Hausfrau fünf Kindern diese Kost dadurch schmackhaft oder wenigstens annehmbar zu machen versuchte, daß sie die gefottenen Rübenstücke mit geriebenem alten Käse der ekelhaftesten Art servirte. Seit mehreren Tagen sind Volksküchen und Suppenanstalten an vielen Orten im Gange; um aber allen Bedürfnissen zu genügen, dazu fehlt noch unendlich viel. Gegenwärtig ist's noch nicht gelungen, mehr als die völlig Hülfslosen zu ernähren. Inzwischen greifen die durch ungenügende und ungeeignete Nahrung bedingten Darm- und Magentatarrhe in bedenklicher Weise um sich und bereiten dem Typhus einen fruchtbaren Boden. Für Fachmänner, die sich für unsere Zustände interessiren, wird die Bemerkung von Bedeutung sein, daß alle bisher hier beobachteten Typhusfälle streng den vierzehntägigen Typhus zeigen, der die großen Epidemien von 1848 und 1849 anszeichnete."
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In Czierzowizz aßen die schon lange darbenden Leute die zur Vertheilung gelangenden Erbsen vor Hunger sofort roh. In Rybnik wurde die Volksküche förmlich belagert, und in Hultschin vermochte man dem Andrange zur Suppenanstalt faum zu genügen, obwohl bereits zwei Kessel zur Suppenbereitung aufgestellt waren.
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Hierzu noch die Bemerkung, daß zum immer weiteren Umsichgreifen des Nothstandes auch der Wucher, wie durch die Provinzialregierung selbst festgestellt ist, ein bedeutendes beigetragen hat. Die ganze arme Bevölkerung äußerte Finanzminister Bitter gelegentlich der Vorlegung des Gesetzentwurfs, betreffend die Bewilligung von Staatsmitteln zur Beseitigung des durch Ueberschwemmung*) herbeigeführten Nothstands in Oberschlesien " am 9. Januar d. J. im preußischen Abgeordnetenhause sei von einem unzerreißbaren Neße des Wuchers umgeben. Wenn das alles wahr ist, was uns über die Einwirkungen wucherischer Bestrebungen, namentlich in Bezug auf den Nothstand gesagt ist, dann können die Verhältnisse so nicht bleiben. Es muß irgend etwas geschehen, um die Bevölkerung in dieser Hinsicht selbst gegen ihren Willen zu schirmen..." Daß es schließlich Leute gibt, welche es nicht verschmähen, den Nothstand in der Weise auszubeuten, daß sie die von dem Nothstandskomité's vertheilten Kleidungsstücke den Empfängern um ein Spottgeld abschwindeln, um für sich Gewinn daraus
*) Es bedarf wohl nach unseren vorhergehenden Ausführungen kaum des Hinweises darauf, daß ,, Ueberschwemmung " nicht die Hauptursache des Nothstands ist. D. Verf.
unserer Leser schon bekannt sein.
Der Nothstand im sächsischen Erzgebirge , und nicht blos in diesem, sondern in allen Weberdistrikten des Sachsenlandes, ist, gleich dem oberschlesischen, schon seit Jahren vorhanden. Arbeitslosigkeit und, wo es allenfalls noch ausreichende Beschäftigung gibt, bis auf das niedrigste Niveau herabgedrückte Löhne sind die Ursachen desselben, zu denen dann wie möglich zu machen. Die Nothleidenden im Voigtlande sind schon noch die Kälte des heurigen Winters gekommen ist, um ihn so fühlbar fartoffeln und Saatgetreide, Errichtung von Suppenanstalten oder seit Jahren auf die öffentliche Unterstützung durch Ankauf von Saatwie manche gibt es doch außer den offenbaren Hungerleidern, die aus anderweitige Beschaffung von Lebensmitteln u. s. w. angewiesen. Und begreiflichem Schamgefühl ihre Bedürftigkeit, so gut es geht, zu verbergen suchen!
liert, dürfte u. a. daraus hervorgehen, daß z. B. in dem bekannten Wie sehr die Handweberei in Sachsen immer mehr an Boden ver Orte Glauchau , welcher in früherer Zeit einen großen Theil des ganzen oberen Muldenthals mit Ketten" versorgte, die Zahl der Handwebstühle im Jahre 1879 nur noch 2513 gegen 3417 im Jahre 1873 be= trug, dieselbe also in dem kurzen Zeitraum von 7 Jahren sich um ca. 1/3 vermindert hat. Mit dieser Verminderung der Webstühle ist der Niedergang der Löhne, wie gesagt, Hand in Hand gegangen. Für zwei Stück von je 126,, Leipziger Ellen" werden beispielsweise( incl. bezahlt. Nach einer Berechnung des Durchschnittslohnes der Handweber aller Auslagen für Spulen, Treiben, Scheeren und Vorrichten) 8 Mark in Meerane belief sich derselbe nach Abzug der Auslagen für die unbezahlten Vorarbeiten per Woche auf ca. 5 Mark, d. h. bei voller Beschäftigung, die aber oft, sehr oft wochen- ja monatelange Unterbrechungen erleidet*). Unter diesen Verhältnissen ist es wohl kein Wunder, wenn Stück um Stück von den wenigen Habseligkeiten der armen Familien ins Leihhaus wandern oder dem Exekutor in die Hände fallen muß. Es erklärt sich aus dieser Nothlage der Bevölkerung auch das massenhafte Entstehen von Pfandverleihinstituten in kleineren Orten, wo an solche vor wenigen Jahren noch gar nicht zu denken war und nachbarten größeren Stadt etwas versetzt hatte, sofort den Geruch in der Meinung der kleinen Leute" derjenige, der etwa in einer beder Lüderlichkeit oder anderer Untugenden und Laster an seine Person heftete. Von durchaus glaubwürdiger und unparteiischer Seite wurde schon zu Anfang des Winters versichert, daß es in Meerane über 300 Familien gebe, die keine Betten mehr haben. Es würde leicht sein, ebenso ergreifende Bilder aus dem Leben der sächsischen Weberbevölkefrau gethan wurde; man kennt Familien, in denen der Vater ſeit rung zu entrollen, wie es oben hinsichtlich der armen schlesischen WeberJahren siecht und arbeitsunfähig ist und denen mit sammt den fünf muß und schafft." Aber die schon weit überschrittenen Raumgrenzen bis sechs Kindern die Frau mit ihrer Hände Arbeit allein Brod schaffen dieser Arbeit erheischen gebieterisch, zu schließen.
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modernen Welt, Wie der bleierne Druck dumpfer, schwerer Luft liegt's über der aber wir zweifeln nicht, und das ist unser Trost, wenn er auch den augenblicklich Nothleidenden selbst wenig hilft, wird, weil sie mit dem strengen Zwang und der unabwendbaren Nothdaß die Kulturentwicklung die Entlastung von diesem Drucke bringen wendigkeit eines Naturgesetzes sie bringen muß.
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*) Ein Hausweber im Mülsengrunde, Vater einer Familie von fünf Köpfen, wurde von dem Referenten über die Petition der mülsener Weber im sächsischen Landtage feſtgeſtellt, bat seit Michaelis, also seit etwa fünfzehn Wochen, fünf Stück gewebt und dafür 48 Mart eingenommen, das ist nur ein Beispiel von vielen! Außerordentlich niedrig sind auch die Löhne in den mechanischen Webereien. So werden in einer mir naheliegenden Fabrik, dessen Besizer die Einwohner des kleinen Orts durch 5, 6 und 7 Mark bezahlt, und wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir den lettdie sich ihm hier bietenden billigen Arbeitslöhne trefflich zu nüßen versteht, per Woche genannten Betrag( 7 Mart) als den daselbst gewährten Durchschnittslohn bezeichnen. Daß es einzelne Ausnahmsfälle gibt, in denen sich manche Arbeiter günstiger stehen, Fabrikant, bem von ihm gemachten Aufwand zufolge, erzielen muß, dürfen wir keinesändert an der Hauptsache nichts. Aus dem enormen Gewinn, welchen der betreffende
wegs schließen, daß er nicht mehr Lohn zahlen tönnte.
D. Verf.
Baldurs Tod( Bild Seite 32). Es wäre dem Wesen unserer realistischen Zeit nicht entsprechend, sich in die religiösen Anschauungen unserer heidnischen Vorfahren zu vertiefen, wenn ihr düsteres Götterwalten uns nicht sofort in jenes Fabelreich brächte, in welchem dem sinnenden Menschen die Erdumwälzungen der Urzeit zu formenschönen Sagen werden. Die nordische Mythologie( Götterlehre), ein Werk der Stalden( Sänger), ist eine Kosmogonie( Weltentstehungsgeschichte), deren Absonderlichkeiten zugleich von der wilden Phantasie ihrer Urheber und der Beschaffenheit des Landes zeugen, wo sie entstand. Die physikalische Allegorie der skandinavisch- germanischen Völker, die Naturkräfte zu verkörpern, ist in der That nicht schlechter als in anderen Mythologien, ja zum Theil noch sinniger. Da die Mehrzahl unserer Gebildeten das lüsterne Göttergesindel, mit welchem griechische Dichter den Olymp bevölkerten, ziemlich genau kennt, die Namen Wotan und Frigga,