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Die um die Mitte des achten Jahrhunderts ausbrechenden inneren Kriege scheinen dem Geistesaufschwung im chinesischen Reiche wenig Eintrag gethan zu haben, theilweise wohl deshalb, weil die durch diese Unruhen auf den Thron gelangende Taitsu dynastie sich nicht nur militärisch und politisch stark, sondern auch den Wissenschaften und Künsten hold erwies.
Dem stetigen Kulturfortschritt im neunten Jahrhundert folgte die Epoche höchster Blüte im zehnten und elften, wie sie China in ähnlicher Weise wahrscheinlich nie vorher, bestimmt aber niemals nachher zu verzeichnen hatte. Die lyrische Poesie war durch die beiden chinesischen Dichterfürsten Tufu und Lithaipe soeben zu höchstem Glanze gelangt. In mannichfaltigen Rhythmen und wohlklingenden Reimen, in spielendem Wortwizze und blumigen Andeutungen gaben die Dichter ihren poetischen Gefühlen Ausdruck, und das Volk nahm solchen Antheil an der Poesie, daß es seit jener Zeit bis jetzt in China für ein Zeichen grober Unbildung gilt, wenn man nicht selbst Verse machen kann. Unter andern Gattungen der Poesie schwang sich auch der Roman zu erstaunlicher künstlerischer Höhe empor. Das Drama hingegen blieb unreif, so uralt dramatische Versuche in chinesischer Sprache sind und so sehr viel Interesse für schauspielerische Darstellungen auch allezeit im Publikum des Reichs der Mitte sich regte. Noch heute ist die chinesische Bühne, auf der nur männliche Schauspieler auftreten dürfen, seit dereinst ein Kaiser sich herbeigelassen, eine Schauspielerin zu heiraten, viel eher die Schule schmählicher schmutziger Unsittlichkeit und Roheit, als eine Stätte intellektueller und moralischer Volkserziehung, die sie bei allen Kulturvölkern sein sollte.
Die bemerkenswerthesten Erfolge, ja man darf sagen, ewig bewundernswerthe Resultate, wenn auch weit mehr der Menge und des Umfanges der Leistungen nach, als in Beziehung auf ihren Gehalt, lohnten die wissenschaftlichen Bemühungen der er wähnten Jahrhunderte.
Der Vernichtungskrieg, welchen der Kaiser Schihoangti, zweihundert Jahre vor Christi Geburt, gegen die Gelehrsamkeit durch Verbrennung der Bücher und Ermordung hunderter von Gelehrten, deren er habhaft werden konnte, geführt hatte, war die Ursache der ungeheuren Ausbreitung eines die chinesische Literatur besonders charakterisirenden Zweiges, der kommeutirenden, frühere Werke erklärenden und kritisirenden Werke. Nur in geringer Anzahl waren die Denkmäler der alten Literatur der furchtbaren Berstörung entgangen, und nur theilweise und mangelhaft konnte das Vernichtete durch das gute Gedächtniß der Zeitgenossen wiederhergestellt werden. Auf die Ergänzung des Lückenhaften, Erläuterung des Dunkeln, die Widerlegung irrthümlicher Auslegungen u. s. f. verwendete eine ganze Reihe von Gelehrtengenerationen den größten Theil ihrer auf das allersparsamste ausgenugten Zeit.
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Der größte dieser vorzüglich in kommentarischen Werken ihre Stärke suchenden Schriftsteller war Tschuhi, der Fürst der Literatur", der da lebte im 12. Jahrhundert nach Chr. Eine riesige Arbeitskraft, getragen von bewunderungswürdig vielseitigen Kenntnissen und einem überaus scharfen Verstande, dem noch dazu feiner Geschmack hülfreich zur Seite stand, machte es ihm möglich, in 66 Bänden die wichtigsten Werke der Vorzeit mit seinen Auseinandersetzungen zu beleuchten, und so für die chine sische Gelehrtenbildung Studienmittel zu schaffen, die bis heute zu den maßgebenden gezählt werden. Troß dieser seiner gewaltigen kommentirenden Thätigkeit verzichtete Tschuhi keineswegs auf originale Schriftstellerei, vielmehr legte er in einer großen Menge von Lehrbüchern über Politik und Naturphilosophie, Moral und Pädagogik seine eignen Gedanken systematisch geordnet nieder. Noch ein andres Gebiet der Literatur ist von den Chinesen in einem Maße angebaut worden, wie von keinem andern Volke. Es ist dies das Gebiet der encyklopädischen Werke, d. i. der jenigen Sammelwerke, welche eine Uebersicht über alle Wissensgebiete, ihren Inhalt und ihre Geschichte, oder zum mindesten über mehrere, sonst von einander getrennte Wissenschaften geben sollen. Zu einer in Wahrheit ungeheuren Ausbildung ist die encyklopädische Literatur in China gelangt, in den einzelnen, oft von mehreren Gelehrtengenerationen gemeinschaftlich verfaßten Werken sowohl, als in der Ausbreitung des ganzen Literaturzweiges. Das größte derartige Werk, von dem wir Kunde haben, befindet sich in der kaiserlichen Bibliothek zu Peking ; neben ihm erscheinen unsere großen Konversationsleriken mit ihren 15 bis 20 voluminösen Bänden, wie die Maus neben dem Elephanten: es zählt über 22 000 Bände!
In derselben Blüteepoche wie Tschuhi, nur etwa ein Jahrhundert später, lebte der größte chinesische Encyklopädist: Matwanli. Sein Wissen, vereint mit größter Urtheilsschärfe und einer Arbeitsfähigkeit, welche die des Tschuhi fast noch übertrifft, stellen ihn als Ebenbürtigen den berühmtesten Gelehrten der ganzen Welt zur Seite. In seinem 348 Bücher umfassenden Universalwerke, betitelt ,, Wanhingtungkao", behandelt er alle möglichen Themata aus der chinesischen Landes- und Volkskunde, der Regierungslehre, Gesetzgebung, Nationalökonomie, Religion, Naturlehre, Kultur- und Literaturgeschichte, Ackerbauwissenschaft, Astronomie 2c. Wie genau die betreffenden Aufzeichnungen sind und wie werthvoll auch für unsre Wissenschaft eindringende Kenntniß derselben wäre, geht u. a. aus dem Umstande hervor, daß sich darin ein vollständiges Verzeichniß der vom Jahre 2158 bis zum J. 1223 vor Christus in China beobachteten Sonnenfinsternisse vorfindet, ferner eine Beschreibung der vom J. 301 nach Chr. bis 1205 unsrer Zeitrechnung wahrgenommenen Sonnenflecken, schließlich eine umfangreiche Mittheilung über den Sternenhimmel und die zwölf Beichen des Thierkreises aus derselben langen Zeit. Die Astronomie ist überhaupt immer in China sorgfältig ausgebaut worden, enthält aber neben solchen beachtenswerthen Beobachtungen auch viel sterndeuterische Thorheit.
Von den übrigen Einzelwissenschaften sind Philosophie und Geschichte die meistbegünstigten und mit größtem Erfolge behandelten. An Werken über alte Schriftzeichen, über Inschriften und eigenthümliche Ausdrucksarten hervorragender Schriftsteller, vor allen aber an Wörterbüchern sind sie reich. Auch in diesem Fache übertrifft der Umfang ihrer Werke weit den der bezüglichen literarischen Leistungen aller andern Kulturvölker. Das, soviel wir wissen, größte Lexikon der chinesischen Sprache nämlich tritt in der imposanten Zahl von 237 Büchern auf. Ihre Sprache grammatisch zu behandeln, dazu sind die Chinesen nicht gekommen, was ziemlich merkwürdig ist, da sie Versuche grammatischer Bearbeitung bei fremden asiatischen Sprachen, der der Mandschu, der Mongolen u. a. gemacht haben.
Die chinesische Geschichtschreibung zeichnet sich durch Vollständigkeit und Verläßlichkeit ihrer Mittheilungen aus, soweit es sich um Thatsachen handelt, und erweitert sich vielfach zu ordentlichen Kulturbeschreibungen; wo sie aber, besonders in ihren neueren historischen Werken, sich um die die Thatsachen beeinflussenden Motive der Regierungen fümmern, da färben sie schön, verdunkeln und entstellen nach Leibeskräften. Wir werden weiter unten davon eine Probe geben.
Sehr bedeutend sollen auch die Schäße der chinesischen Literatur auf den Gebieten der Länder- und Völkerkunde, der Ackerbauwissenschaft und Gewerbekunde sein. Dieselben sind bisher nur zum allergeringsten Theile erschlossen; was wir davon wissen, verspricht uns aber eine außerordentliche Bereicherung unsrer eignen Kenntnisse. Den Büchern über Gesetzgebung und Rechtswissenschaft wird Uebersichtlichkeit und logische Konsequenz nachgerühmt; an denen, die von Naturgeschichte und Medizin handeln, hat man auszusehen, daß sie mehr besprechend und in äußerlicher Weise äußerliche Wahrnehmungen aneinanderreihend gehalten sind und nirgend in den Kern der Sache, der Funktionen und Organisationen, in den Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu dringen versuchen. Insbesondere liegt die neuere Heilkunde völlig in dem Banne sterndeuterischen Aberglaubens.
Von allem, was Mathematik heißt, wissen die Chinesen nichts; sie besigen nicht einmal Ziffern, sondern schreiben die Zahlworte mit Buchstaben.
Von den Künsten habe ich oben schon die Dichtkunst besonders hervorgehoben; sie verdient es darum, weil sie die einzige Kunst ist, in der die Chinesen sich nach unsern Begriffen als kunstbegabt bewährt haben. In allen übrigen Künsten haben sie es höchstens zur Künstelei gebracht, diese aber in gewohnter Weise zu hoher technischer Ausbildung gebracht. So besitzen sie bedeutende Fähigkeiten in der Knetung weicher Massen, in plastischer Kunst leisten sie aber schon deshalb nichts, weil sie nicht den Menschenkörper darstellen, vielmehr die größte Sorgfalt auf die genaue Nachbildung der Kleiderhüllen legen. In der Malerei liefern sie ängstlich der Natur nachgemalte Schattenbilder in Wasserfarbe oder Tusche; um die Perspektive kümmern sie sich dabei nicht im entferntesten. Ihre Musik ist, troß des Reichtums an Instrumenten, dessen sie sich rühmen dürfen, an Geigen, Guitarren, Lauten, Flöten, Drahtharmoniken, Glocken, Trommeln, Pauken 2c., nichts weiter, als ein greulich unharmonischer, ohrenzerreißender