Spektakel. Den Tanz kennen sie und lassen sich zum Zeitvertreib vortanzen, selber zu tanzen hält jeder gebildete und anständige Chinese für Unsinn und Schande.

Der Ackerbauwissenschaft und Gewerbelehre ist natürlich ein sehr ausgedehnter praktischer Ackerbau- und Gewerbebetrieb vorausgegangen. Ersterer gilt den Chinesen als das feste Funda­ment aller Staatengebäude, und in letzterem haben sie vielfach eine Handfertigkeit erlangt und sich technische Kunstgriffe an­geeignet, mit denen das Abendland vergeblich zu konkurriren sucht. Die unerreichbar schönen chinesischen Lackwaaren und die nur von den Japanesen an Vortrefflichkeit und Künstlichkeit über­botenen chinesischen Porzellansachen sind allbekannt und werden überall in Museen und auf internationalen Ausstellungen be­

wundert.

In derjenigen Kunst, welche mit dem Landbau in engster Verbindung steht, in der der Gartenanlagen, der Gruppirung von Bäumen, Blumen und Rasenflächen sind sie uns gleichfalls noch weit voraus, so sehr wir auch die großartigen englischen Parkanlagen und die reizenden Gärten nach französischem Muster, wie wir sie in Europa finden, zu bewundern gewöhnt sind.

Aus dem allen, was wir über chinesische Religion, chinesische Wissenschaft und Künste, Ackerbau und Gewerbe gesagt haben, erhellt bereits, daß die Kultur des Reiches der Mitte neben viel Glanz und Licht auch viel Schatten aufzuweisen hat, und daß der Schluß ein Fehlschluß ist, zu dem man sich berechtigt glauben möchte angesichts des Alters der chinesischen Kultur, der impo­santen Höhe, welche bei ihnen schon vor vielen Jahrhunderten einzelne Wissenschafts- und Kunstzweige erreicht hatten, gleichwie in Rücksicht auf die Ueberlegenheit ihrer jede Verkeßerung und Belästigung Andersdenkender verschmähenden Religion- der Schluß nämlich, daß dem Reich der Mitte der erste Platz in der Reihe der Kulturländer gebühre und das chinesische Volk das erleuchtetste und glücklichste aller Völker der Erde sein müsse.

Ich habe an dieser Stelle nicht den zehnten Theil des Raums zur Verfügung, welcher dazu gehörte, ein umfassendes Bild der Entwicklung und des gegenwärtigen Standes der Kultur Chinas zu geben. Aber einige Schlaglichter auf die Zustände im ,, himm­lischen" Reiche werden genügen, zu beweisen, daß dem himmlischen Reiche nicht der erste, sondern der letzte Platz unter den Kultur­völkern eingeräumt werden muß, und daß, so groß auch das Päckchen Thorheit und Elend ist, an welchem jedes europäische Volf zu tragen hat, dennoch auch das ungebildetste und unglück lichste, selbst Russen und Türken nicht ausgenommen, den Chinesen voransteht.

109

Selbstsucht warnten(!); Wir sind der eitlen Vergnügungs­sucht, dem Wohlleben und der Verschwendung von jeher feind gewesen.

,, Wenn kein Regen erfolgte, bei Ueberschwemmungen und Hungersnöthen haben wir die Schuld selbst übernommen; Wir waren früh und spät in Jammer versunken(!), daß unsre Mängel solche Not über das Volk gebracht. Wären Wir rein und tugend­haft gewesen, so hätten diese Abirrungen der Natur nicht statt­gefunden(!).

,, Aus unsrem Schatze sind zalreiche Unterstützungen gewährt worden, um die Menschen in ihrer Betrübniß zu trösten; Wir haben auf den Vorschlag Unsrer Beamten ganzen Provinzen die Steuern erlassen und in jeder nur erdenklichen Weise ihrer Not abgeholfen. Unsere Wohltaten kamen wie ein reicher Regen über das Volt. Geiz ist uns immer fremd geblieben."

Bezüglich seines Tronfolgers sagt Taofuang am Schlusse seines Testaments:

,, Sicherlich wird er sich der großen Aufgabe, welche wir auf seine Schultern legen, würdig zeigen. Der Himmel hat Menschen geschaffen und über sie einen Fürsten gesetzt, welcher sie wie Schafe weide(!). Das möge der Nachfolger, mein Sohn, bedenken immer­dar; er möge unermüdlich sein in Sorgfalt, Fleiß und Aufmerk­samkeit, um das Volk zu erforschen und für sein Wohl arbeiten fleckenlosen Herzens zu können. Mögen seine Beamten sein und unermüdlicher Tätigkeit in ihrem Berufe, damit durch ihren Beistand Meines Nachfolgers Regierung überaus glänzend und ruhmvoll werde."

-

-

Dieses ebenso von Eigenlob als von heuchlerischer Bescheiden­heit erfüllte kaiserliche Testament kennzeichnet nicht allein die Beschränktheit seines Urhebers, sondern auch die des Volkes, welches einem solchen Herrscher zwanzig Jahre hindurch in sklavi scher Verehrung anhängen, das solch ein Aktenstück als Ausfluß höchster Weisheit aufnehmen konnte.

Freilich thaten das doch nicht alle Chinesen; wir wissen sogar von einem, der auf das Testament mit einer anonymen Denk­schrift geantwortet hat, worin er die Zustände im Reiche der Mitte, im Gegensaße zu der kaiserlichen Schönfärberei, als völlig trostlos schildert. Diese Denkschrift ist aber unsers Wissens spur­los an dem Gemüthe und Verstande der ungeheuren Mehrheit des chinesischen Volkes vorübergegangen, für dieses paßte Ton und Inhalt des Manifestes, mit dem der himmlische Taofuang von ihm Abschied genommen hat, vollkommen.

-

Ein besonders bezeichnender Passus aus der erwähnten Denk­schrift möge uns die gegenwärtigen chinesischen Verhältnisse in den lezten dreißig Jahren haben sie sich um nichts Wesent­liches gebessert im Lichte der Wahrheit schildern:

,, Der Himmelssohn hätte bedenken sollen," sagt der Verfasser,

Chinesische Geschichtsschreiber mögen zunächst selbst reden. Seit mehr als einem Jahrtausend schreibt jede Regierung die Geschichte der vorangehenden und legt dabei meist die Mit­theilungen zugrunde, welche ihre Vorgängerin selbst hinterlassen, daß die Beamten selbst es sind, welche die Verdorbenheit des hat. Daß solch eine Geschichtschreibung unparteiisch ausfallen fönnte, wird niemand glauben, charakteristisch wird sie aber auch gegen den Willen und trotz aller Verschleierung und Entstellung der thatsächlichen Verhältnisse ausfallen.

Solch' eine chinesische Geschichtsquelle, das Testament des Kaisers Taofuang, der von 1820 bis 1850 regierte, also vor kaum einem Menschenalter noch gelebt hat, enthält folgende inter­essante Ausführungen:

Seitdem das Reich von Seiner verstorbenen Majestät des wohlthätigen, einsichtigen Ahnen( nämlich des Kaisers Kiating, 1796-1820) uns( dem Taokuang) anvertraut wurde, seitdem seine Gnade Uns erleuchtete, sind 30 Jahre verflossen. In dieser langen Zeit befolgten Wir die Vorschriften der heiligen Vor­fahren; Unser unabänderlicher Grundsay war es, den Himmel zu verehren und nach den Vorschriften der Altvordern zu leben. Wir haben das Volf geliebt(!) und der Staatsverwaltung die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Eingedenk unsrer Schwächen und Mängel haben wir uns von Tages Anfang bis zur Nacht angestrengt und uns selbst mit der größten Sorgfalt beobachtet. Wir haben alle die schriftlichen und amtlichen Eingaben sorg­fältig durchgelesen; nicht selten hatte die Sonne schon ihre höchste Höhe erreicht, und Wir saßen noch nüchtern da über den Staats­papieren; selbst einen großen Theil der Nacht haben wir den Staatsgeschäften gewidmet. So sind dreißig Jahre, ein Tag nach dem andern vergangen; Ruhe und Erholung haben Wir Uns niemals gegönnt. In Sparsamkeit und Einschränkung suchten Wir dem Reiche als Muster vorzuleuchten.

,, Gleich bei Beginn der Regierung sind Erlasse ergangen, worin Wir das Volk vor Ausschweifungen, Ueppigkeit und

-

Volkes hervorrufen; da sie unterdrücken, betrügen und rauben, so bleibt der armen Bevölkerung nichts übrig, als sich ebenfalls durch Raub und Trug zu helfen. Die öffentliche Sicherheit wird theils durch die Polizei selbst gefährdet, theils läßt diese Dinge geschehen, welche in Wahrheit furchtbar sind. Die Leute werden aus ihren Häusern entführt und nur für große Summen wieder losgelassen. Räuber als Mandarine verkleidet, ziehen in Booten Andere treiben flußauf flußab und erheben unbefugt Steuern. sich im Lande herum, wo ihnen die Bauern Abgaben entrichten, damit sie ihrer Ernte, ihres Besitztums und Lebens sicher sind. In den Städten legen Banditen Feuer, schleichen dann herbei und tragen alles davon, unter dem Vorwande, zu retten und zu helfen. Die höheren Beamten, welche aus der Ferne kommen haben niemand erhält eine Stelle in seinem Geburtslande- keine Kenntnis der vielen Mundarten im Reiche; sie sind auf die Inhaber der niedersten Stellen, auf ihre Diener und Dolmetsche angewiesen. Diese nehmen Bestechungen, übersetzen falsch und er­sinnen tausenderlei Mittel und Wege, um Geld zu erpressen. Die Einnehmer setzen einerseits die Abgaben höher an; andrerseits ver­schweigen sie gewisse steuerbare Erzeugnisse, streichen hiervon selbst die Erträgnisse ein und betrügen den Staat. Am ärgsten aber steht es mit der Land- und Seemacht; sie gereicht dem Staate in voller Wahrheit nur zur Schande. Die Offiziere sehen blos auf Gewinn; eine große Anzal der in den Listen aufgeführten Soldaten ist garnicht vorhanden; den Sold verteilen die Herren untereinander. Die faiserliche Marine steht mit den Schmugglern in Verbindung, und so wird der Staatsschaz um Millionen betrogen. Am meisten Nachteil aber bringt dem Staate die Opiumeinfuhr in physischer, moralischer, wie in staatswirtschaftlicher Hinsicht. Die Bevölkerung

-