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galant sein müssen, um mich nur etwas zu erleichtern." Er tänzelte| Bestimtes mer zu unterscheiden, nur das Gefül dominirte. Und zur Tür hinaus, Heini zuwinkend, ihm zu folgen.

Dieser aber sperrte die Tür rasch ab und eilte mit hastigen Schritten zum Spiegel zurück. Endlich ein günstiger Augenblick, ein Augenblick des Alleinseins! Bisher hatte er vergeblich darauf gewartet. Schon hatte er seiner Westentasche ein Stückchen Tusche und einen kleinen Pinsel entnommen, er befeuchtete ihn mit den Lippen, und ihn hierauf an der Tusche hastig hin- und her­streichend, hatte er bald so viel Schwärze, um den braunen Flaum seines teimenden Schnurrbartes dunkel zu färber.

,, Er tritt hervor, er tritt hervor," rief er sich selbst mit innigem Vergnügen zu. Ich habe garnicht so wenig Bart, man siet ihn nur nicht. Aber jezt, das wirkt, und wie männlich einen das erscheinen läßt! Ich hoffe, Elvira wird mich heute mit andern Augen betrachten, ich werde ihr etwas imponiren." Um diese Absicht möglichst zu unterstüßen, strich er sich auch noch die Brauen und die Wimpern an, und nachdem er, wie um den Effekt zu berechnen, seine Augen hin und her rollen ließ und sie hinlänglich feurig fand, steckte er seine Tusche wieder ein, sperite die Tür wieder auf und begab sich auf seinen Posten. Gleich darauf langten die ersten Damen an. Sie stürzten sich mit ihren hochaufgeschürzten Röcken und großen Gummischuhen in die Garderobe, sie wollten so nicht gesehen werden. Dort begann dann ein Zurechtpuzen und Entfalten, ein Drehen und Wenden und Sichbespiegeln und dabei ein gegenseitiges Angaffen und heimliches Kritisiren, ein Lachen und Flüstern und sehr bald ein Durcheinanderdrängen, sodaß die Garderobe schier zu klein

wurde.

Zu den Frühankommenden zälten auch die Schwestern Depauli mit Alfred, der in seinen Reisekleidern erschienen war. Malchen zeigte sich aufgeregt, es war ihr erster Ball. Schon der Teppich, der über die Treppe gebreitet lag, die Pegasusse im Vorhaus, die Laube des Konditors, die Lichter und die befracten Kellner, dies alles imponirte ihr gewaltig, machte sie befangen, fast ver­legen. Sie war doch so jung, so unbedeutend und sollte all' dieser Herrlichkeit mitteilhaftig werden! Sie begrüßte den ihnen die Garderobe weisenden Kellner höchst ererbietig und trat dann mit Minna in dieselbe ein. Minna nam ihr die Hülle ab und fürte sie vor den Spiegel. Sie lächelte, und als ihr jezt Minna zu­flüsterte: Du siest reizend aus, da wurde sie rot bis über die Oren. Es kamen jezt merere der Mädchen auf sie zu und sie sagten ihr ebenfalls, daß sie allerliebst aussehe, ja, sie verhelten nicht ihr Staunen, ihre Üeberraschung über diese elegante Toilette der kleinen Depauli.

,, Sieh nur, wie modern der Schnitt ihres Kleides ist, gradeso hätte ich das meine auch gewünscht," meinte die eine zur andern, ,, und wie hübsch Sie frisirt sind, Malchen, und die Rosen, wie frisch, wie duftend das alles aussiet."

Malchen senkte ganz verwirrt die Augen, sie hätte die Mädchen um Verzeihung bitten mögen, daß sie es gewagt hatte, so schön zu sein, wie sie, aber Minna ließ ihr keine Zeit dazu. Sie fürte sie nach dem Vorhause, wo Alfred ihrer wartete. Er bot Minna den Arm, Malchen drängte sich von der andern Seite an die Schwester heran. An der Tür des Ballsales empfingen sie die Herren vom Comité, zugleich drangen die schnarrenden Töne der Geigen, welche gestimmt wurden, an ihr Dr. Malchen schrat zusammen vor soviel Festlichkeit, und ihr Herz begann noch stärker zu klopfen. Sie fand es ganz abscheulich verwegen, als ihr die Schwester zuflüsterte: Schau den Doktor an, man fürchtet immer, daß ihm der Kopf aus der Binde purzelt," ja, sie fand es un dankbar in dem Angenblick, wo er sie beide so freundlich be­komplimentirte und ihnen mit einem Teller voll schöner Sachen aufwartete. Sie vermochte nicht zu erkennen, was es sei, und sie knigte deshalb, und den Teller zurückschiebend, lispelte sie: ,,, ich danke vielmals, Sie sind wirklich zu gütig."

Dann neme ich zwei," hörte sie ihre Schwester sagen. Und in der Tat, diese nam zwei der schönen Dingerchen von dem Teller hinweg. Ach Gott," dachte sie, die nimmt alles so leicht, und geberdet sich, als ob das so garnichts wäre und sie selbst Gott weiß wer. Aber sie sah dennoch mit unverholner Bewun­derung zu ihrer kühnen Schwester empor. Man war im Ballsal und Malchen war geblendet. Der große Lüster, die Spiegel, die farbigen Draperien und Fänchen und die gepuzten Damen, ach! und dies alles in einer gewissen Atmosphäre, von einem Parfüm geschwängert, nicht grade wolriechend, aber undefinirbar, rätsel­haft. Es wurde ihr wirblich, es begann sich alles zu drehen, vor ihren Augen ineinander zu fließen. Sie vermochte nichts

so empfand sie denn, daß sie leicht und äterisch über einen glatten, glänzenden Boden dahinglitt, den Boden des Tanzsals, und daß sie in leichte duftige Gewänder gehüllt war, so leicht und duftig, daß es sie eisig kalt durchschauerte und doch im nächsten Augen­blick schon wieder heiß überflutete.

Das war also ein Ball!

Alfred, der nicht im Ballanzuge war, wollte nicht länger im Sale verweilen. Er stieg die wenigen Stufen hinan und trat in das kleine Speisezimmer.

Die Mädchen promenirten auf und nieder. Allmälich wurde es Malchen möglich, die Vorgänge um sich herum zu erfassen und sich davon Rechenschaft zu geben. Der Sal füllte sich rasch. Alles kannte sich untereinander, es gab ein unaufhörliches Grüßen und Händeschütteln. Die beiden Depaulis wurden von einigen angesprochen, von allen neugierig gemustert. Malchen war recht froh, als sie Minna zu einem freigebliebenen Sitz in einer Fenster­vertiefung fürte. Sie drückte ihr eines der hübschen Dingerchen in die Hand und sagte ihr, dies sei eine Tanzordnung und da­hinein würden sich ihre Tänzer einzeichnen.

,, Werde ich denn einen Tänzer kriegen?" fragte Malchen fast verwundert.

Ich werde dir schon einen verschaffen," versicherte Minna, sei unbesorgt."

Ein Gesnmme und eine gewisse Bewegung, die am Eingange entstand, ließ die Schwestern dahin blicken. Die Familie Weiß war angekommen, Frau Weiß und Marie, die wunderhübsch aus­sah, schritten durch den Sal. Minna hüpfte ihnen entgegen, ihre Freundin zu umarmen. Malchen hätte sich das nimmer getraut, sie blieb auf ihrem Plaze und sah spähend nach der Tür und nach Elvira, die am Eingange zurückgehalten wurde. Der junge Doktor, Heini und noch viele andre Herren machten ihr Kompli­mente und umdrängten sie immer mer. Und Elvira lächelte, und sie spielte mit ihrem Fächer, und sie sah so stolz und so schön aus, wie eine Königin. Und jezt sah Malchen, wie sie dem Doktor ihre Tanzordnung übergab; er schrieb etwas hinein; aber da erhoben die übrigen bittend ihre Hände, auch sie wollten das kleine Büchelchen haben, es ging von Hand zu Hand, einer entriß es dem andern. Und jezt traten noch andre Herren hinzu, ein noch größeres Gedränge entstand um Elvira, sie verschwand vor ihren Blicken. Ihre Schwester kam mit Marie auf sie zu. Malchen trat ihnen einen Schritt entgegen, knigte und blieb wieder stehen. Marie lachte und füßte sie auf die Stirne.

,, Sie siet wie ein Engel aus," sagte sie ,,, ich freue mich herz­lich darüber, daß ihr beide so hübsch seid, ja sogar elegant." Sie tat einen kurzen, schüchternen Blick im Sale herum. Suchst du Elvira?" fragte Malchen.

Marie wurde rot. Ich suche niemanden, ich wollte nur-" Sie stockte.

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,, Ah, du guckst, was es da unten an der Tür gibt? Die Frau Bürgermeisterin ist soeben hereingetreten, wie sie sich durchdrängen muß, und das schöne Atlaskleid, das sie trägt, und die Schleppe! Aber sie siet sehr geärgert aus, findest du nicht?"

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Alles im Sale blickte der Neuangekommenen, der ersten Standesperson des Städtchens, entgegen. Diese war eine kleine, nicht mer ganz junge, aber desto korpulentere Dame, die in diesem Augenblick ungemein flammend aussah. Das Atlaskleid und die Wangen, der Teint ihres Busens und ihrer Arme, die Federn auf ihrem Haupte und ihre Nasenspitze, alles war rot, schön rot. Ihr folgte Herr Germanet, und zwar mit einer gewissen ängstlichen Eilfertigkeit, sodaß er ihr immer auf die rote, lang­nachwallende Schleppe stieg, worauf die Wellenlinien ihres Körpers etwas nach rückwärts fluteten, um schon im nächsten Augenblick, nach einem Ruck und einem zornigen Ausruf, wieder nach vor­wärts zu streben. Sie weigerte sich offenbar, den Arm des Apo­tekers anzunemen, der ihr vergeblich, bald von der einen, bald von der andern Seite, beizukommen suchte. Den Kopf nach dem fetten Nacken zurückgeworfen, sprach jeder Zug ihres leuchtenden Gesichtes Aerger und stolzes Abweisen aus. Sie strebte den Sigen unter dem Spiegel zu, wo auch Frau Weiß und neben ihr die Hofrätin   plazgenommen, und sie ließ sich auf die mit einem roten Tuch überspante Bank niederfallen, die ob dieser wuchtigen Besizergreifung ächzte und ſtönte.

Marie, die mit Minna beobachtend dagestanden, erhielt jezt einen leichten Schlag mit dem Fächer. Sie wendete sich rasch um und blickte in Elvira's übermütige Augen.