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Habt ihr das Entrée unsrer Oberältesten bemerkt?" fragte sie leise mit einem unterdrückten Lachen ,,, ich Unglückliche habe ihren ganzen Zorn heraufbeschworen."

,, Was hast du denn getan?"

" Ich? Nichts; aber ich bin die unschuldige Ursache, daß dieses Empfangscomité über meiner unbedeutenden Persönlichkeit die höchst wichtige der Frau Bürgermeisterin ganz und gar über­sehen hat."

,, Wie ist das möglich?"

" Ich weiß selbst nicht recht, wie das gekommen ist. Die Herren machten mir Komplimente und sagten mir allerlei Artig­feiten über meinen Gesang, Herr Germanek nannte mich eine Künstlerin, und hierauf wollten sie alle mit der Künstlerin tanzen. Sie balgten sich untereinander um die Touren und um die Tanz­ordnung; der Doktor beschwor mich soeben, ihm die lezte Quadrille zu gewären, und er hatte seinen schönen Hals tief über mich herabgebeugt, als wolle er durch seine giraffenartige Beweglich feit auch mich bewegen. Ich verlangte meine Tanzordnung zurück, Heini wollte sie mir nur dann geben, wenn ich ihm diese lezte Quadrille überließe. Ich bezeigte meine Unzufriedenheit, der Doktor drohte, Heini lachte. Da hörten wir das Rauschen eines seidnen Kleides und Stimmen hinter uns, aber ich wollte mein Buch, und der Doktor zeigte nicht übel Lust, es mir zurück­zuerobern. Da werde ich plötzlich unsanft beiseite geschoben, auch die andern sehe ich zurückprallen, und zwischen uns woget und wallt ein rotes Meer hindurch es war die Bürgermeisterin. Man hatte sie nicht empfangen und keine Tanzordnung und kein Kotillonorden war ihr präsentirt worden; die Herren hatten diese Gegenstände, ich weiß nicht wohin gesteckt. Die arme Frau! Sie wird ihren Groll über diese Vernachlässigung lange nicht über­winden können."

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Elvira lachte wieder, und Minna und Marie, konnten sich's nicht versagen, hinter ihren Fächern mitzulachen. Die Bürger­meisterin war eine so stolze Frau, so vielverlangend, so auf ihre Würde pochend. Malchen hatte keinen Fächer, sie lachte auch nicht; sie fürchtete ein wenig den Zorn der Frau ihres Vormundes, aber sie blickte, wie die übrigen, nach ihr hin. Man konnte jezt Germanek vor ihr in Entschuldigungen sich erschöpfen sehen. Er nam alle seine Liebenswürdigkeit zuhülfe, er drehte seinen Schnurr­bart noch zierlicher, er offerirte ihr Bonbons, er sprach sogar französisch. Als sie noch immer sich unversönlich zeigte, zog er seinen Foulard aus der Tasche, trocknete sich den Schweiß von der Stirn, und ihn dann auf den Boden breitend, stürzte er darauf und vor ihr auf die Knie. Dieser Teatercoup verfelte nicht seine Wirkung. Sie neigte sich gnädig vorwärts; er sah es wogen und waren, es wurde ihm rot vor den Augen, er wollte sich diskret zurü iehen sie hob ihn auf.

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In dem M. ent hatte ihn ein beschleiftes Individuum von rückwärts gefaßt und flüsterte ihm etwas ins Dr. Germanet durchfur's. Meine Frau!" flüsterte er, und den Foulard in die Höhe reißend, schwenkte er ihn, wie zum Gruße, gegen die schöne Rote und entfernte sich hierauf eilends.

Die Mädchen promenirten Arm in Arm, die beiden Weiß in gleicher Toilette, in einfachen weißen Kleidern, mit einem Tuff

dunkler Rosen in den prächtigen, schwarzen Haren , sahen sehr distinguirt aus. Besonders Elvira, hoch und schlank, den schönen Kopf etwas zurückgeworfen, mußte auffallen. Sie blickte mit freundlicher Anmut nach allen Seiten, als sie plötzlich merklich zusammenzuckte. Im nächsten Augenblick beugte sie grüßend das Haupt. Minna, aufmerksam gemacht, sah nach derselben Rich­tung. Auf den Stufen, die nach dem kleinen Zimmer fürten, stand Friz, seine Augen hatten die Geliebte gesucht und begegneten nun frolockend den ihrigen.

Er verließ seinen Standort und kam auf sie zu. Die Mädchen begrüßend, wante er sich zunächst an Minna und bat sie um den ersten Walzer. Sie lächelte; hatte sie ihm doch vorher versprechen müssen, nur seine Tänzerin an diesem Abend zu sein, und er wollte es ebenso halten. Aber hier vor den Leuten mußte man die Form beobachten; sie sollten es nicht merken, wie sehnsüchtig sie zueinander verlangten, wie sie's kaum erwarten konnten, in gleicher rhythmischer Bewegung dahinzufliegen.

Elvira wante sich mit einer gewissen kollegialen Vertraulich­keit an den jungen Mann.

Haben Sie den Tenorpart für den nächsten Sonntag über­nommen?" fragte sie ihn.

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Ja, Fräulein Elvira."

Wir werden also wieder zusammen singen?"

,, Das kann für alle andächtigen Dren nnr erfreulich sein." Gewiß, unsere Stimmen harmoniren so gut, sie geben ein prächtiges Ensemble, finden Sie das nicht auch?"

,, Noch weit mer; ich finde, daß Sie etwas von dem Feuer, das Sie beseelt, auch auf mich zu übertragen verstehen, und so oft ich mit Ihnen singe, kann ich auch mit mir zufrieden sein."

Elvira sah in freudiger Ueberraschung zu ihm auf, vielleicht war es das erstemal, daß Frizz ihr etwas Verbindliches sagte; der Blick ihrer Augen, der dem seinigen begegnete, strafte ihn warlich nicht Lügen, er hatte etwas Sengendes. Aber ihr Ton blieb munter und kül.

,, Da wir so gut miteinander zu singen verstehen, sollten wir's nicht auch einmal mit dem Tanze versuchen?"

,, D, Fräulein Elvira," entgegnete Frizz in bescheidener Ab­lehnung, da käme unsereiner doch schon viel zu spät, ich hab' es ja gesehen, wie man Sie umstürmte, Sie haben sicher keinen einzigen Tanz mer übrig."

,, Und wenn ich nun doch einen mir zurückbehalten, wenn ich ihn für Sie aufgespart hätte?"

,, Das wäre so liebenswürdig, daß" Er stockte, aber sein heimlich drängender Blick forderte Minna heraus, sich doch schnell auf eine Lüge zu besinnen, um ihm zuhülfe zu kommen.

Aber Minna lachte und schien Elvira's Ansinnen zu prote­giren. Es machte dem Schelm offenbar Spaß, den spröden Tänzer gegen seinen Willen zu engagiren. So blieb ihm denn nichts übrig, als Elvira um ihre Tanzordnung zu bitten. Sie reichte sie ihm hin, und auf eine leere Zeile deutend, rief sie frölich:

,, Hierher sehen Sie Ihren Namen, Sie dürfen Sich für den zweiten Walzer einschreiben." ( Fortsetzung folgt.)

Aus dem Leben der Insekten. Naturgeschichtliche Skizzen von Dr. L. Jacoby.

1. Mimicry .

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Bist du schon einmal, lieber Leser, auf die Käfer- oder Schmetterlingsjagd gegangen? Du wandelst an einem hellen Sommermorgen eine eichenbewaldete Anhöhe hinan und suchst vielleicht eifrig nach dem Riesen unter den deutschen und euro­päischen Bockkäfern, dem Cerambyx heros, der mit seinem lang­gehörnten Haupt aus einem Loch der Eichenrinde hervorguckte, aber bei deiner Annäherung alsbald hurtig in die Labyrintgänge des inneren Stammes sich zurückzog, wohin ihm keine Bange und kein Messer folgen kann. Du entschließest dich, an dem Stamm zu warten in der stillen Hoffnung, er werde wieder her­vorkommen; da fliegt plötzlich dicht vor deinen Augen von der Eichenrinde empor ein großer braunschwarzer Schmetterling mit breitem, weißlichgelben Flügelbande und mit großen, hell­geränderten Augenflecken auffallend genug gezeichnet. Du fragst

dich erstaunt, wie es möglich war, daß du dieses große Tier vor= her gar nicht bemerken konntest und folgst mit gespannten Blicken seinen schnellen, fledermausänlichen Flatterbewegungen. Du siehst den Schmetterling an einen benachbarten Eichenstamm heran­fliegen und in dem Moment, wo er sich darauf niederläßt, ist er vor deinen Augen von neuem verschwunden; du bist bei der größten Aufmerksamkeit nicht im Stande den Ort zu bezeichnen, wo der Gegenstand deiner Beobachtung sigt. Du trittſt ein paar Schritte näher; noch immer siehst du nichts als die rissig aufge­worfene Eichenrinde; jetzt aber zeigt dir ein dreieckiger Schatten an der sonnenbeschienenen Rinde etwas ungewönliches an, und nun endlich erblichst du unmittelbar vor dir den Schmetterling, der mit zusammengeklappten Flügeln unbeweglich an dem Eich­baum sizt, und nun erkennst du auch, welcher Art und Natur die unsichtbar machende Tarnkappe ist, deren das schlaue Tier