„ Und er ist auch ein guter und braver Junge, treu wie Gold," erwiderte die Hausfrau, indem sie ihre Augen an dem Stück Tannenholz weidete, das über dem Kamin befestigt war, zwischen einer Kukuksur und einem wächsernen Kalvarienberg.
A- ah! dem widerspreche ich nicht," sagte der Müller, einen Schluck aus seinem Zinnkrug thuend.
„ Und wenn es dann nun schließlich zu Dem käme, was Du befürchtest," sagte die Frau zögernd, wäre das denn ein so großes Unglüc? Sie wird genug für zwei haben, und besser als glücklich kann man nicht sein."
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Du bist eine Frau und darum töricht," versetzte der Müller in schroffem Ton, die Pfeife auf dem Tisch klopfend. Der Bursche ist nichts als ein Bettler, und mit diesen Malerideen schlimmer als ein Bettler. Sorge ja dafür, daß sie in Zukunft nicht mer zusammen sind, oder ich schicke das Kind in sichere Obhut zu den Nonnen vom heiligen Herzen."
Die arme Mutter war durch diese Drohung eingeschüchtert und versprach demütig, ihm den Willen zu tun. Nicht, daß sie es über's Herz hätte bringen können, das Kind vollständig von ihrem Lieblingsgespielen zu trennen, und auch der Müller wollte im Grunde nicht so grausam gegen den jungen Burschen sein, dessen einziges Verbrechen seine Armut war. Aber die kleine Alois wurde doch gehindert, so oft mit ihm zusammen zu sein wie bisher, und Nello, der rasch auffaßte und bei all seiner Sanftheit sehr stolz war, merkte bald, daß man Alois von ihm fern hielt; er fülte sich verletzt, und stellte es ein, die rotbraune Müle mit Patrasche zu besuchen, wie er es früher gewont war.
Was er verbrochen hatte, wußte er nicht; er vermutete, Baas Copez sei ihm bös, weil er Alois auf der Wiese gezeichnet hatte. Und wenn das Kind, welches ihn sehr gern hatte, zu ihm lief ihre Hand in die seinige legte, dann lächelte er traurig und rieth ihr, nicht mehr zu ihm zu kommen.
,, Du darfst Deinen Vater nicht erzürnen, Alois. Er meint, ich mache Dich träge und faul, und er mag es nicht leiden, daß Du mit mir zusammen bist. Er ist ein guter Mann und er hat Dich lieb: wir wollen ihn nicht erzürnen, Alois!"
Aber er sagte das mit traurigem Herzen, und wenn er des Morgens mit Batrasche nach der Stadt ging, lächelte die Erde ihn lange nicht so heiter an, wie sonst.
Die alte braunrote Müle war ihm eine Landmarke, ein Warzeichen gewesen; er hatte stets beim Gehen wie beim Kommen Halt bei ihr gemacht, und die Einwoner gegrüßt, vor Allem die kleine Alois, die, sobald er sich nur zeigte, ihr Flachsköpfchen aus der Tür hervorstreckte und Patrasche eine Brodkruste oder einen Knochen reichte.
Jezt war die Tür verschlossen, und Nello und Patrasche gingen vorbei one Halt zu machen- Patrasche mit einem sensüchtigen Blick nach der Tür, und Nello, der zu stolz war, um hinzublicken, jedesmal mit einem Stich durch das Herz. Und drinnen, auf einem Stul am Ofen, saß das Kind, und Tränen liefen ihr über das Strickzeug, an das man sie- sehr gegen ihre Neigung- gesezt hatte; und Baas Copez, der unter seinen Welsäcken und an seinem Mülenwerk herumarbeitete, verbiß sich immer mer und mer und sagte sich:„ Es ist am besten so. Der Bursche ist ein Bettler und voll unnüßer, müssiger Träumereien und Narrheiten. Wer weiß, was für Unheil noch in Zukunft daraus wird."
Er war also in seiner Weise ein kluger Mann, und ließ die Türe nur bei seltenen Gelegenheiten aufriegeln, und dann kam keine rechte Frölichkeit und Wärme in die Kinder, die Jare lang täglich mit einander verkert hatten in Rede und Spiel- heiter, glücklich, sorglos, von Niemand beaufsichtigt, und von Niemand belauscht, ausgenommen von Patrasche, der, seinen Kopf nach denklich schüttelnd, mit ernster Aufmerksamkeit ihrem phantastischen Geplauder folgte und mit sympatischer Bereitwilligkeit auf jede ihrer Launen einging.
Wärend all dieser Zeit blieb das Holzbrett über dem Kamin zwischen der Kukuksur und dem wächseren Kalvarienberg, und manchmal kam Nello der Gedanke, daß es doch eigentlich unrecht sei, sein Geschenk anzunemen und ihn selber zurückzuweisen.
Aber er klagte nicht: es war seine Gewonheit, ruhig zu sein, der alte Tehan Daas hatte ihm immer gesagt:„ Wir sind arm; wir müssen nemen, was Gott uns schickt das Schlimme wie das Gute; der Arme hat nicht zu wälen."
Der Knabe hatte das stets schweigend angehört, denn er verehrte seinen Großvater; trotzdem hatte ihm eine unbestimmte süße Hoffnung, wie sie den Kindern des Genius zu lächeln pflegt, in das Herz geflüstert:„ Und doch wälen die Armen mitunter, wälen es als ihr Ziel, groß und berümt zu werden, und die Menschen können es ihnen nicht verweren."
Und in seiner Unschuld dachte er noch immer so; und eines Tags, als die kleine Alois, die ihn zufällig allein in den Kornfeldern am Kanal traf, jubelnd zu ihm hinsprang, ihn umhalste, und dann bitterlich zu weinen anfing, weil morgen ihr Namenstag war und zum erstenmal in ihrem Leben die Eltern es unterlassen hatten, ihn zu dem kleinen Schmaus einzuladen, mit dem ihr Geburtstag stets gefeiert wurde da küßte er sie und sagte mit Zuversicht:
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,, Eines Tages wird es anders sein, Alois. Eines Tages wird das kleine Stück Holz, das dein Vater von mir hat, sein Gewicht in Silber wert sein, und er wird mir Eure Türe nicht mehr verschließen. Bleibe mir nur immer gut, liebe kleine Alvis; bleibe mir nur immer gut, und ich werde groß werden!"
,, Und wenn ich dir nun nicht gut bin?" fragte das hübsche Kind durch ihre Tränen hindurch ein bischen schmollend, und der angebornen Koketterie ihres Geschlechts entsprechend.
Nello's Augen wandten sich von ihrem Gesicht ab und wanderten in die Ferne, wo im flammenden Goldrot der Abendröte die Katedrale sich erhob.
Es lag ein Lächeln auf seinem Gesicht, so sanft und doch so traurig, daß es der kleinen Alois ganz beklommen ward.
Ich werde noch groß werden," sagte er mit leiser, feierlicher Stimme, ich werde groß werden, oder sterben, Alois!"
,, Du hast mich also nicht lieb?" sagte das kleine verwönte Kind, ihn von sich stoßend; aber der Knabe schüttelte den Kopf und lächelte, und er ging seine Wege durch das wogende gelbe Korn, und vor seinem Geiste stieg eine stolze Vision auf, wie er einst aus der Ferne in die unvergessene Stätte seiner Jugend zurück komme und Alois von ihren Eltern zur Frau begehren und wie man ihn nicht abweisen, sondern in Ehren empfangen würde, wärend die Dorfbewoner sich um ihn drängten, ihn anschauten und sich ins Dr zischelten: Siehst du ihn? Er ist ein König unter den Menschen, denn er ist ein großer Künstler und die Welt spricht seinen Namen; und doch war er früher nur unser kleiner Nello, ein Bettler, der sein Brod nur mit Hilfe seines Hundes verdiente."
Und er dachte, wie er seinen Großvater in Pelz und Purpur hüllen und wie er ihn malen wollte, änlich dem alten Mann der Familie in der Sankt Jakobskirche; und wie er Patrasche ein goldenes Halsband umhängen, und ihn zu seiner Rechten setzen würde und dem Volf sagen:„ Das war einst mein einziger Freund"; und wie er sich einen großen weißen Marmorpalast bauen, und an dem Abhang, der nach der Katedrale hin schaut, sich prächtige Lustgärten anlegen, und nicht allein da wonen, sondern alle jungen, armen, freundlosen Männer zu sich einladen wollte, die den Willen hätten, Großes zu leisten; und wie er, wenn sie seinen Namen zu segnen wünschten, zu ihnen sagen würde: Nein, dankt nicht mir, sondern Rubens! One ihn wäre ich nichts".
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Diese Träume, schön, unmöglich, unschuldig, frei von jeglicher Selbstsucht, voll heldenmütiger Hingebung an das Kunstideal, beherrschten ihn so mächtig, daß er ganz glückselig wegging glückselig, obgleich heute der Namenstag der kleinen Alois war und er mit Patrasche allein in die kleine dunkle Hütte und zum Male von schwarzem Brod zurückkehren mußte, wärend da drüben in der Müle alle Kinder des Dorfs sangen und lachten, und die großen runden Kuchen von Dijon und die Mandel- Lebkuchen von Brabant aßen und in der großen Scheune beim Licht der Sterne und bei der Musik einer Flöte herumtanzten.
Sei nicht betrübt Patrasche", sagte er, den Hals des Hundes umschlingend, als sie auf der Schwelle der Hütte saßen, und die Nachtiuft das heitere Lachen von der Müle zu ihnen herübertrug, ,, jei nicht betrübt. Mit der Zeit wird das anders werden."
Er glaubte an die Zukunft; Patrasche, der mehr Erfahrung und Philosophie hatte, meinte, der Verlust des gegenwärtigen Essens in der Müle sei sehr schlecht aufgewogen durch die Aussicht auf Milch und Honig in einer unsicheren Zukunft. Und Patrasche knurrte von jezt an immer, wenn er an Baas Copez vorbeiging. ( Fortsetzung folgt.)