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Cartelius und Spinoza  . Ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung.

Von Dr. Arthur Mülberger.

Wir hielten es für unsre Pflicht, für diejenigen Leser, denen die Werke Spinoza's   nicht zugänglich sind, zalreiche seiner Aus­sprüche wörtlich anzufüren, und haben unsre Auswal natürlich mit Rücksicht auf den Zweck unsrer Untersuchung getroffen. Ver­suchen wir es jezt, uns in gedrängtester Form Rechenschaft von dem zu geben, was aus dem bisherigen für die moderne Welt anschauung von entscheidender Bedeutung ist. Spinoza   zerbricht den Dualismus des Cartesius  , der die Natur zum bloßen Mecha­nismus herabwürdigt. Geist und Materie, das Denken und die Ausdenung, sind ihm bloße Attribute der einen, höchsten Sub­stanz. Spinoza   spricht also den Grundgedanken der modernen Weltanschauung, die Einheit von Körper und Geist, in aller­direktester und positivster Weise aus; ja, diese Einheit ist der

( Schluß.)

| Springpunkt seiner ganzen Philosophie. In ihr liegt die Größe, die Bedeutung, die Erhabenheit des Denters. Spinoza   ist Monist  vom Wirbel bis zur Zehe, aber ist er es im modernen Sinne des Wortes? Ist er Vertreter des Monismus" in dem Sinne, daß seine Philosophie noch heute berechtigt ist, das lezte Wort über das Wesen der Dinge zu sprechen? Um diese Frage zu prüfen, gilt es, den monistischen( einheitlichen) Gedanken Spinoza's alles Beiwerks enkleidet, so unverhüllt als möglich, herauszustellen. Der Gott, die Substanz Spinoza's  , fällt, wie gesagt, mit der Natur, mit der Gesamtheit der Dinge zusammen. Die Natur ist ihm aber nicht als Natur, sondern als Gott   Gegenstand seines Denkens. Er siet z. B. im Wasser, wie wir oben gesehen haben, nicht das belebende und erfrischende Element, das eben, weil es

Geschmacksverirrungen im Gesichtsschmuck.( Seite 267.)

ist und kraft der Art und Weise, wie es ist, den Menschen seine Einheit mit der Natur lert und sich ihrer erfreuen läßt. Das dem Wasser und mit ihm allen übrigen Naturwesen Gemeinsame, das Absolute, mit einem Wort, das Wesen des Wassers ist seinem Denken Gegenstand. Das Wesen des Wassers ist natürlich etwas ganz anderes, als die Eigenschaften des Wassers, es ist viel­mer das diesen Eigenschaften zugrunde liegende Gemeinsame. Die sinnlichen Erscheinungsformen der Materie sind alle trügerisch, nichtig, vergänglich, endlich; sie haben keine ware Existenz; was warhafte Existenz in ihnen hat, ist nur die Natur, ist nur Gott  . Und ganz dasselbe gilt selbstverständlich vom Gedanken. Dieser oder jener bestimte Gedanke stet zum Denken überhaupt in dem selben Verhältnis, wie diese oder jene Eigenschaft des Wassers zum Wesen des Wassers. An sich ist er nichtig, hat keine Gri­stenz, auch bei ihm hat nur das zugrunde liegende Gemeinsame, die denkende Substanz, d. i. Gott  , Existenz. Die warhafte Eri stenz, das Wesen eines Dinges, kann man also nur ergründen, wenn man eben auf dieses Gemeinsame sein Auge richtet, wenn man sich in Gott hineinversezt, wenn man mit Gott eins wird. Wie die Natur( oder Gott  ) aus ihrer Einheit, aus ihrer absoluten Existenz die Gesamtheit der Dinge hervorquellen" läßt, so muß sich der Gedanke in diese Einheit hineinversezen und im unmittel­baren Erfassen derselben oder, was dasselbe ist, in seiner Identi­

TRICHON.

fizirung mit Gott   kann er dieses Hervorquellen" sozusagen selbst unmittelbar begreifen, unmittelbar anschauen. Der Weg zu den Dingen liegt also keineswegs in den Dingen, sondern allein in dem allen Dingen Gemeinsamen. Wenn wir das eben Gesagte seiner abstrakten Redeform entkleiden, sagt denn der Monismus von heute, oder richtiger, sagt denn die nüchterne, objektive Natur­wissenschaft nicht dasselbe, nur mit etwas andern Worten? Die Materie, lehrt sie, ist unzerstörbar, also hat sie ihren Wesens­grund in sich selbst. Die Kraft( Energie) ist unzerstörbar, also hat sie ihren Wesensgrund in sich selbst. Keines von beiden kann sich die Wissenschaft getrennt, unabhängig vom andern vorstellen, folglich müssen sie eine Einheit haben; diese Einheit ist das sie in sich aufnemende höhere Prinzip, und dieses Prinzip nennt die Wissenschaft mit Spinoza   Natur. Beide also, Spinoza   und die moderne Naturwissenschaft, sagen dasselbe, fast mit denselben Worten. Meinen sie auch dasselbe, oder gilt hier der alte Say: wenn zwei dasselbe sagen, ist es nicht dasselbe? Spinoza  , dieser Titan des Absoluten, geht in deduktiver Weise von der höchsten und allgemeinſten Abstraktion aus, deren der Geist seines Jarhunderts fähig war. Er glaubt, im unmittelbaren Erfassen dieser Abstraktion den Schlüssel zum Wesen aller Dinge zu haben. Die Naturwissenschaft get umgekehrt von den Dingen, von der lebendigen Wirklichkeit aus, stellt deren Erscheinungsformen fest,