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zälen. Worin aber berut denn der seltsame Zauber und der wunderbare Einfluß, den sie späterhin gerade auf die Besten unter uns ausübte und der heute wieder mächtiger und dringen­der zu sein scheint, denn je? Die Antwort hierauf sollte nach dem bisherigen nicht zweifelhaft sein. Wenn wir die Gesamtheit der wissenschaftlichen Erkentnis einem großen Baue vergleichen, an dem die Menschheit schon Jartausende lang gearbeitet hat und noch unendliche Jartausende arbeiten wird, wie klein und geringfügig ist die Leistung der einzelnen! Vom Baue selbst ist noch kaum das Fundament fertig. Spinoza gleicht einem genialen Baumeister, der mit großen Zügen eine Skizze der Welt ent­worfen, der den Bau der Zukunft vorausgeahnt und in seinen Hauptzügen zu firiren versucht hat. Freilich deckt diese Skizze die Wirklichkeit, die Warheit nicht, aber wer unter uns fülte sich nicht von der gigantischen Künheit des Entwurfs angezogen? Ist es ein Wunder, wenn selbst der moderne Forscher zu Spinoza

greift und aus dem erhabenen Traume dieses Denkers neuen Mut und neue Begeisterung schöpft, denn eine innere Stimme sagt ihm, daß die wirkliche Natur immer noch viel, viel groß­artiger ist, als dieses erhabenste Gemälde, was der menschliche Geist von ihr entworfen. Das Bewußtsein unserer Einheit mit der Natur hat keinen beredteren Verteidiger gefunden, als Spinoza , und hierin vor allem liegt der unendliche Zauber, den seine Schriften noch heute ausüben. Hat sich gleich seine Hoff­nung, diese Einheit zum Gegenstand unmittelbarer Anschauung, unmittelbaren Begreifens machen zu können, trügerisch erwiesen, vor seinem geistigen Auge stand sie klar und sonnenhell. Ja, wir, seine Epigonen, denen die Arbeit von zwei Jarhunderten ganz andere Waffen, als sie dem einsamen Denker zu Gebote standen, geliefert, um in die Werkstätte der Natur einzudringen, fönnten wir uns vermessen, zu sagen, daß wir der Warheit selbst heute schon näher stehen, als er?

Die Herrin von Dar- Dschun.

Von Wanda v. Dunajew.

Einmal lag Lady Hester Nachts in schneeweißen Atlas ge­kleidet, umwogt von ihrem goldenen Har, das aufgelöst über ihre Schultern fiel, und umflossen von dem magischen Licht des Mon­des, in den weichen Kissen ihrer Ottomane auf einem Balkon ihres Schlosses; zu ihren Füßen, scheinbar ihren Worten lauschend, in Wirklichkeit aber trunken in dem Anblick ihrer Schönheit schwelgend, saß Armand. Es entstand eine Pause.

Lady Hester hatte ihn zweimal um etwas gefragt, er gab feine Antwort, er hatte sie nicht gehört. Sie hatte den Blick der schönen Augen auf die Sterne gerichtet und ihn nicht beobachtet. Jezt sprach sie, ungeduldig das schöne Haupt nach ihm wendend: Warum antworten Sie nicht?"" Vergeben Sie, ich hatte ihre Frage nicht gehört" erwiderte Armand, wie abwesend.

Sie erhob sich und blickte ihn durchdringend an. Armand," sagte sie mit ihrer tiefen ruhigen Stimme, ich warne Sie, Sie lieben mich."

,, Und warum warnen Sie mich?" rief der junge Mann leiden­schaftlich.

Weil es ein Unglück wäre, und ich möchte Sie nicht un­glücklich sehen, denn ich bin Ihnen von Herzen gut."

Ist es denn ein Unglück, Sie zu lieben?" fragte er mit blei chen Wangen und glühenden Augen.

" Ja," sagte sie ruhig und gelassen wie immer, es ist für jeden Mann ein Unglück, ein Weib zu lieben, das er nicht be­ſizen kann."

Armand legte die Hände vor die Augen und suchte sich ge­waltsam zu fassen. Ich begreife Sie vollkommen," sagte er dann in gepreßtem Ton ,,, Sie sind zu stolz, sich einem Manne zu er­geben. Ich hätte das wissen sollen."

Wenn Sie wollen, ja," erwiderte sie eben so ruhig wie früher, ,, hören Sie mich an, Armand, so wie Sie mich hier sehen, habe ich England beherrscht, und beherrsche heute den Orient, wie sollte ich mich je in den kleinen beschränkten Kreis einer Hausfrau fin­den können? Das glauben Sie wohl selbst nicht? Ich kann nicht Gattin und nicht Mutter sein." Sie reichte ihm die Hand, auf die er einen Langen, heißen Kuß drückte. Dann entfernte er sich mit schweren Schritten und gesenkten Hauptes. Unten in Sal fand er Ellis über den Stickrahmen gebeugt, aber er ging an ihr vorüber, one sie zu beachten. Ein langer, schmerzlicher Blick des jungen Mädchen folgte ihm.

In den nächsten Tagen war Lady Hester so gut wie gar nicht zu sehen, sie arbeitete fast ununterbrochen in ihrem Zimmer. Wichtige Dinge mußten sie beschäftigen, da fortwärend Boten gingen und kamen. Armand verkehrte ausschließlich mit Ellis.

Der ganze Zauber eines reinen Mädchenherzens erschloß sich Armand in diesen wenigen Tagen, und er konte nicht begreifen, daß er dieses reizende Geschöpf bis jezt fast unbeachtet gelassen hatte. In Hesters Wesen lag etwas faltes, berechnendes, alles, was sie sprach und tat, kam aus ihrem Geist, ihrem überlegenen Verstand, wärend Ellis ganzes Sein eine angeneme Wärme ausströmte und sie ihre bescheidenen Worte aus ihrem reichen Herzen und tiefen Gemüte schöpfte. Der junge Mann fülte sich so wol in ihrer Nähe und benam sich so unterwürfig gegen sie, als habe er ihr ein großes Unrecht abzubitten.

( 1. Fortsezung.)

Es war nach einem furchtbaren Gewitter, dessen Regenschauer die Luft angenem abgekült hatten, als Lady Hester Stanhope ihr Pferd satteln ließ, um auszureiten.

Sie war immer in Männerkleidern und saß wie ein Mann zu Pferde. Ihr ungewönlich großer, schlanker und doch kräftiger Bau begünstigte sie in diesem Falle ser, und sie sah in ihrer reichen, türkischen Tracht, wenn sie kün und mutig auf ihrem feurigen Araber dahinsprengte, wirklich wie ein junger, schöner, ritterlicher Mann aus.

Diesmal trat sie, in dieser Weise gekleidet, aus der Halle des Schlosses, als man ihr das Pferd vorfürte. Die Fülle ihres Hares hatte sie unter einen Turban verborgen, Sporen klirrten ihr an den Füßen und im Gürtel staken ein par Pistolen. Mit einem künen Sprung, one jede Hülfe, war sie im Sattel.

Armand und Ellis standen am Fenster, als sie wegritt, sie sah lächelnd zu ihnen auf und grüßte sie mit der Hand. Er sah ihr bewundernd nach, das Mädchen zog sich vom Fenster zurück, beachtete jedoch ängstlich den Ausdruck in seinem Gesichte.

Es verging kaum eine halbe Stunde, als die beiden jungen Leute durch wildes Pferdegetrappel und lautes Geschrei neuer­dings an das Fenster gelockt wurden; ein seltsamer Anblick bot sich ihnen dar. Lady Hester war zurückgekert. Ihr Pferd wollte den von den Regengüssen angeschwollenen Bach nicht nemen, und trotz Sporen und Peitsche hatte es sich energisch geweigert, den Sprung über das wild rauschende Wasser zu machen. Lady Hester, welche jeder Widerspruch auf das heftigste empörte, war nichts übrig geblieben, als umzukeren. Bleich vor Zorn und Aufregung, rief sie nach ihren Sklaven, die nicht gleich zur Hand waren, da sie die Herrin nicht so bald zurückerwartet hatten, und erst auf wiederholtes Rufen kamen.

Ehe noch einer von ihnen ihr Pferd am Zügel nemen konnte, hatte sie die ihr zunächst stehenden mit ihrer Reitgerte so heftig getroffen, daß sie vor Schmerz zusammenzuckten und laut auf­schrien, dann sprang sie ab, stellte sich vor das Pferd, riß eine Pistole aus dem Gürtel und schoß dasselbe durch die Brust. Dann ließ sie sich ein anderes Pferd bringen, bestieg es und galoppirte davon.

Armand hatte mit Staunen diesem Vorgange zugesehen, den er nicht fassen konnte, Ellis aber war bleich geworden und zitterte, Tränen standen in ihren Augen.

,, Was ist Ihnen?" frug Lucnay besorgt.

" Der Vorfall erinnert mich an einen änlichen," erwiderte sie, den ich nie vergessen werde."

Und darf ich wissen, was Ihnen so unvergeßlich ist?" frug er.

Ellis schüttelte den Kopf und wollte nicht sprechen.

Es ist nichts Großes," sagte sie ,,, nur die Geschichte eines Hundes, und sie würden über mich lachen."

Armand versprach, nicht zu lachen, und bat so dringend, bis sie ihm die Geschichte ihres Lieblings und mit dieser ihre eigene erzälte.

Ellis hatte ein kleines Hündchen aus England mitgebracht, als Lady Hester sie nach dem Tode ihrer Eltern in ihr Haus nam. Dieses Hündchen war das lezte und einzige Erbstück ihrer